Hier soll er also stehen: Am Charlottenplatz, direkt neben dem Stadtpalais und in Sichtweite des Landtags wird der schwäbische Laokoon verzweifelt mit ICE-Schlangen ringen. Zehn Meter hoch soll das Stuttgart-21-Denkmal des Bildhauers Peter Lenk in die Höhe ragen, 160 Personen spielen mit, und keiner der "Polit-Puttos" sei Modell gestanden, betont der Künstler gegenüber Kontext: "Wer sich aber unbedingt als Wolkenkuckucksheimer erkennen will, der darf Abbildungen ungestraft für Bewerbungen verwenden: für ein politisches Amt, einen Beraterposten oder ein schönes Hallelujaplätzchen im Himmel." Ein Denkmal für ein Projekt, das Edzard Reuter als "politischen Skandal" kritisiert und der Künstler selbst als "groteske Entgleisung". Es ist auch ein Denkmal für den Protest gegen den Tiefbahnhof. Nun hat es endlich einen Ort.
Vor sechs Jahren, bei einer Sendung der SWR-Reihe "Leute", kam Peter Lenk die Idee, sich mit der "Chronik einer Entgleisung" (Lenk) künstlerisch zu beschäftigen. Seit knapp zwei Jahren modelliert, schweißt und gießt der Bildhauer aus Bodman am Bodensee nun daran, hat um die 3.000 Arbeitsstunden in die Skulptur gesteckt. Jetzt ist er fast fertig und mit dem Standort am Charlottenplatz sehr zufrieden. Denn Lenks provokative Kunst braucht den öffentlichen Raum, die Sichtbarkeit, die Debatte. Seine satirischen Figuren leben von und mit der Auseinandersetzung, sorgen immer wieder auch für Zoff, wie etwa sein Relief "Friede sei mit Dir" am früheren taz-Haus in Berlin.
"Das passt gut hierher", sagt Veronika Kienzle, die das kritische S-21-Denkmal als Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte immer unterstützt hat und auch als grüne OB-Kandidatin keinen Grund für einen Rückzieher sieht. Kienzle sitzt auf einer gelben Düne aus Holz vor dem Stadtpalais, die Füße in ein Planschbecken getaucht, einen Grillkorb vor sich: An diesem Samstag wird hier die Eröffnung des Festivals "Stuttgart am Meer" gefeiert. Das Stadtmuseum im Stadtpalais sei schließlich ein Ort des Nachdenkens, sagt Kienzle, und genau dies wolle Lenk ja erreichen: Nachdenken über Sinn und Unsinn eines tiefer gelegten Bahnhofs, der Milliarden Euro und Bäume verschlingt und eine Stadt tief gespalten hat. Aktuell wird bei "Stuttgart am Meer" eine städtebauliche Utopie für eine lebenswerte Stadt beschworen. Eine lebenswerte Stadt – ja, passt schon hierher, der rebellische Lenk.
Verkehrsminister Winfried Hermann ist gespannt
Das sieht auch Stuttgarts Kulturamtsleiter Marc Gegenfurtner so – "Der Lenk hat schon ein Händchen für gute Orte" –, bei dem die Fäden für die Platzprüfung zusammenlaufen. Bereits im vergangenen Jahr ist er an den Bodensee gereist, um Künstler und Kunstwerk kennenzulernen. Sie haben sich gut verstanden, der Kulturamtsleiter und der Künstler, was wohl am Humor liegt, den sie teilen, und der Lust am Lachen. Die Kunst werde er nicht beurteilen, sagt Gegenfurtner, aber "ich bin beeindruckt von Haltung und Konsequenz des Künstlers". Nur Kleinigkeiten zu Statik und Sicherheit müssten jetzt noch geprüft werden, Ende der Sommerferien seien sie durch, "es sieht gut aus". Kein Gemeinderatsbeschluss, kein Plazet vom Oberbürgermeister mehr? "Nicht dass ich wüsste", sagt Gegenfurtner.
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Werner Heber
am 06.08.2020Ich glaube viele aus der Kirche der…