Die jüngste Post aus der Bodmaner Bildhauerei schmückt der "Schwäbische Konfuzius", wie ihn Peter Lenk nennt. Es ist Manfred Rommel mit erhobenem Zeigefinger und einem seiner legendären Sinnsprüche: "Ist der Weg auch falsch und steinig. Hauptsach' ist, wir sind uns einig." Das passe doch gut zu Stuttgart 21, erläutert der Künstler, sowohl inhaltlich als auch personell. Schließlich zählte der einstige Oberbürgermeister zu denen, die sich und anderen wahre Wunderdinge von dem unterirdischen Bahnhof versprachen. Wobei, auch das sei eingeräumt, Rommel nicht der schlimmste Märchenerzähler war.
Die Einigkeit im Rathaus jedenfalls hat gehalten. Bis hin zum grünen OB Fritz Kuhn, der für sich allerdings in Anspruch nimmt, dem Bündnis nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus demokratiepolitischen Erwägungen anzugehören, was am Ja zum Fortschritt, zur Magistrale Paris-Bratislava, freilich nichts ändert. Selbigem steht jener Lenk entgegen, der behauptet, Stuttgart 21 sei die "Chronik einer grotesken Entgleisung", ein "irrer Tunneltrip durch Gipskeuper und Mineralbäder"; und diese Provokation will er auch noch verewigt sehen. Mit einem monströsen Denkmal in der Landeshauptstadt, das einen Laokoon mit einer ICE-Schlange ringend zeigt, umgeben von allen, die mit Rommel einig sind, und weil das so viele sind, ist die Skulptur inzwischen auch zehn Meter hoch. Ein so unheimliches Wachstum von WürdenträgerInnen, dass es keinen Kommentar aus dem Rathaus vertrug. Zumindest keinen offiziellen.
Lenksche Werke haben die Eigenart, zu bleiben
Das hat sich jetzt geändert. Martin Schairer (CDU), der Bürgermeister für Recht, Sicherheit und Ordnung, weiß um die Heikligkeit des Themas und persönliche Befindlichkeiten ("wer will schon seinen nackten Arsch gezeigt kriegen?"), weist aber im Gespräch mit Kontext schon mal Wege. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen tatsächlich alle Demos, Veranstaltungen, Versammlungen auf der Straße, sogar die Einweihung eines Denkmals zählte dazu, so es denn temporären Charakter hätte.
Ein zehn Meter hoher Laokoon auf Wanderschaft? Das dünkt auch Schairer eher unwahrscheinlich, zumal die Arbeiten des "skandalumwitterten Bildhauers" (Südwestrundfunk) die Eigenart haben zu bleiben. Der bürgernahe Bürgermeister denkt deshalb schon mal laut weiter. Auf dem Gelände der Bahn? Die wird nicht mitspielen. Gegenüber dem Hauptbahnhof neben der Mahnwache? Zuviel Geraffel. Am besten findet er den Schlossgarten. Dort könne das Kunstwerk wirken. Schairer sagt, er sei nie ein glühender Fan von Stuttgart 21 gewesen, aber jetzt müsse eben zu Ende gebaut werden. Und das vertrage auch einen Lenk.
Nun ist ein Ordnungsbürgermeister nicht für Kunst verantwortlich, sondern nur dafür, dass sie ordentlich steht, nicht umfällt oder sonstwie für öffentliches Ärgernis sorgt. Aber bemerkenswert ist schon, dass es ein CDU-Politiker ist, der Lenk die erste Tür aufmacht. Die zweite öffnet sich im Beritt von Kulturbürgermeister Fabian Mayer (CDU), dessen Amtsleiter Marc Gegenfurtner im vergangenen Monat an den Bodensee gereist ist, um mit Lenk über sein Werk zu sprechen. Der 38-Jährige hat einen Vorteil: Er ist neu im Amt, erst seit Mai dieses Jahres, noch nicht durch die S-21-Mühle gedreht, da lange in München lebend – und humorbegabt. Sie haben sich offenbar gut verstanden.
Dem Amtsleiter hat's bei Lenk gefallen
Er sei nahezu beglückt von dannen gezogen, erzählt Gegenfurtner nach seinem Besuch in Bodman, wo ihm alle schwarzen Ministerpräsidenten, von Filbinger über Oettinger bis Mappus begegnet sind. Begleitet von Lenks Geschichten über seine Figuren, die immer gerne bei "Schnappus Krokodilus" landen, dem er das "große Verdienst" zurechnet, die 58-jährige CDU-Herrschaft beendet zu haben. Dem jungen Mann habe es gut gefallen bei ihm, bestätigt Gastgeber Lenk, der ihm dann auch noch die nötigen Papiere mitgegeben hat. Insbesondere die Daten zur Statik. Das werde jetzt, versichert Gegenfurtner, "gelassen und objektiv" geprüft, und danach finde das Kunstwerk seinen Weg. Für sein Dafürhalten am besten Richtung Schlossgarten, in die Nähe des Staatstheaters – "dorthin, wo's sinnvoll ist". War da nicht auch der Schwarze Donnerstag?
Kunst solle zum Grübeln anregen, sagt der Literaturwissenschaftler, wobei man im Gespräch mit ihm den Eindruck nicht los wird, dass sein Grübeln in diesem Fall genereller Natur ist. Der Grund: Es gibt kein Konzept für Kunst im öffentlichen Raum in Stuttgart. Im Gegensatz zu München, wo er im städtischen Kulturreferat gewirkt hat. Im Falle Lenk könnte das auch ein Vorteil sein, wegen der Flexibilität.
Lenk musste sich ohnehin von dem Gedanken verabschieden, das zu tun, was er am liebsten tut. Bei Nacht und Nebel installieren, die Menschen mit einem Riesenpenis am Berliner taz-Haus oder einer despektierlichen Imperia am Konstanzer Hafen überraschen. Er weiß, dass das diesmal nicht geht. Nicht mit einem tonnenschweren Laokoon, der von einem Tieflader in die Großstadt gefahren und aufgebaut werden muss. Zumal er ihn wirklich mitten drin, neben der Mahnwache am Hauptbahnhof, haben will. Dort, wo's wehtut, wo ihn auch die 524 Spenderinnen und Spender erwarten würden, die von den benötigten 100 000 Euro bereits 76 000 zusammengetragen haben. Dafür würde er sich auch vertraglich verpflichten, die Skulptur nach zwei Wochen wieder abzubauen, falls über den Verbleib keine Einigkeit erzielt werden könne. Die Bürgermeister am Bodensee, für die Lenksche Kunst längst ein Tourismusfaktor geworden sind, würden sich freuen, sagt er.
Auch Kretschmann ist für Kunst im öffentlichen Raum
Nach jüngsten, Kontext vorliegenden Informationen wird es jedoch so weit nicht kommen. Ausweislich eines Vorworts in einem neu erschienenen Buch ("Ist das Kunst oder 'muss' das weg?"), ist der baden-württembergische Ministerpräsident ein großer Verfechter von Kunst im öffentlichen Raum. Es sei dem Autor gelungen, schreibt Winfried Kretschmann, deren "wirkliche Potentiale" zu zeigen, "dabei immer ganz nahe an der Praxis der Kommunalpolitik".
Der Autor ist der frühere Bürgermeister von Hüfingen (Schwarzwald-Baar-Kreis), Anton Knapp, der aus seiner Bewunderung des Lenkschen Schaffens keinen Hehl macht. Seine Formensprache sei "grandios", urteilt Knapp, egal ob es sich um die nackte Angela Merkel oder den nackten Gerhard Schröder handle, bei aller Bissigkeit weise sie "noch ansprechende, ja ästhetische Züge" auf, bis hin zu einem "gewissen Maß an Zuneigung" wie bei Martin Walser, der mit Schlittschuhen auf einem Esel reitet.
Und da man im Rathaus davon ausgeht, dass der grüne Landesvater ein Wörtchen mitreden will, dürfte einem würdigen Platz für den schwäbischen Laokoon eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Er sei jetzt auch zuversichtlich, dass es klappt, meldet Lenk vom Bodensee.
Der Autor gehört zum Unterstützerkreis des Lenkschen S-21-Denkmals. Die Spendenkampagne ist hier zu finden.
3 Kommentare verfügbar
Christoph
am 24.12.2019Ich würd gleich noch 3 weitere Werke bestellen.Themen hätte die Stadt ja genug.