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Beim Klima alle Register ziehen

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Nach den enttäuschenden Ergebnissen der UN-Klimakonferenz in Madrid fordern WissenschaftlerInnen neue Anstrengungen nicht nur auf der Ebene der Nationalstaaten, sondern auch darunter. Ein Motor dieser Strategie ist die Under2-Koalition, die von Baden-Württemberg mitinitiiert wurde.

Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, sieht die 13 Tage in der spanischen Hauptstadt mit fast 30 000 TeilnehmerInnen und zwei durchverhandelten Nächten deutlich weniger negativ als viele andere. So seien im Madrid "keine faulen Kompromisse" beschlossen worden, sagt der frühere Chef des Nabu Deutschland, der zwischen 2009 und 2013 das Umweltbundesamt leitete. Schon andere Klimakonferenzen – diese war Nummer 25 – hätten nicht das Gewünschte gebracht. Außerdem habe es zumindest eine wichtige Bewegung gegeben, die sogar über das Pariser Abkommen hinausging: "Es ist verabschiedet worden", sagt Flasbarth, "dass es im nächsten Jahr eine Erhöhung der Klimaschutzbeiträge der einzelnen Staaten geben wird." Eigentlich sei nur eine Überprüfung des bisher Geleisteten vorgesehen gewesen, jetzt gelte es, ein Jahr lang wirklich alle Register zu ziehen.

Das nimmt die EU schon für sich in Anspruch, wenn auch – vorerst – vor allem auf dem Papier. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat einen "Green Deal" angekündigt. Und wenn sie ihn ernst nimmt, tritt sie in Vorlage. "Jetzt komme es darauf an", sagt Ottmar Edenhofer, der Chef des Potsdam-Instituts für Klimaforschung, "dass wir uns nicht nur auf das UN-System verlassen". Stattdessen müsse nach seiner Ansicht die EU alles daran setzen, andere Länder zu finden, die mitmachen.

Baden-Württemberg hat Mitmacher schon seit vier Jahren: 2015 wurde gemeinsam mit Kalifornien die "Under2-Koalition" geschmiedet, Resultat eines Treffens des baden-württembergischen Umweltministers Franz Untersteller (Grüne) und des kalifornischen Gouverneurs Jerry Brown im Jahr davor. In einer Absichtserklärung verpflichteten sich die zwölf Erstunterzeichner, darunter Wales und Katalonien, Ontario und Vermont, ihre Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern oder sie alternativ auf weniger als zwei Tonnen pro Person und Jahr – daher "under 2" – zu begrenzen. Nun ist Papier geduldig, und SkeptikerInnen halten das Vorgehen noch immer viel zu sehr an Zielen und nicht an deren Umsetzung durch konkrete Maßnahmen orientiert. Doch immerhin haben sich den Zielen inzwischen mehr als 220 Staaten, Regionen und Städte angeschlossen. Und die stehen für mehr als 1,3 Milliarden Menschen in über 40 Ländern und vor allem für rund 43 Prozent der Weltwirtschaft auf sechs Kontinenten. Es gibt ein Sekretariat in London und Co-Vorsitzende für Afrika, Asien-Pazifik, Nord- und Lateinamerika und Europa.

Wo Nationalstaaten bislang scheitern, handelt das Land schon konkret

Was für eine solche Initiative jenseits der nationalstaatlichen Ebene spricht, ist das Versagen der Nationalstaaten. Die Konferenz in Madrid ist gescheitert auch an einer der ganz großen Fragen, dem sogenannten Warschau-Mechanismus. 2013, auf der 19. Konferenz ihrer Art in der polnischen Hauptstadt, wurde ein Hilfsfonds beschlossen für arme, besonders von Hurrikans und Hochwasser, von Dürren und ansteigendem Meeresspiegel betroffene Länder. Im Fonds herrscht anhaltend Ebbe, was in zweifacher Hinsicht peinlich ist. Denn eigentlich haben sich die reichen Staaten schon 2008 verpflichtet, arme Staaten "in die Lage zu versetzen, sich an die Folgen der Erderwärmung anzupassen".

Die Under2-Koalition dagegen greift gerade Entwicklungs- und Schwellenländern konkret unter die Arme: Regionen überall auf der Welt werden dabei unterstützt, überhaupt erst einmal Treibhausemissionen zu messen, Langfristziele zu entwickeln und auf dieser Basis zu berechnen, um wieviel die Emissionen bis wann zurückgehen müssen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Austausch von Erfahrungen und Erfolgsmeldungen, etwa im Bereich von erneuerbaren Energien oder Energieeffizienz im Gebäudebereich und auf dem Industriesektor.

Franz Untersteller hat dazu eben erst eine Zwischenbilanz vorgelegt. Das Lieblingsbeispiel des grünen Umweltministers zeigt, wie mit vergleichsweise wenig Geld viel bewegt werden kann: Die Bundesregierung finanziert dank des Engagements des Grünen mit insgesamt 3,5 Millionen Euro ein bis 2021 laufendes Projekt in Pernambuco (Brasilien), Chhattisgarh und Telangana (Indien), KwaZulu-Natal (Südafrika) sowie in Baja California, Jalisco und Yucatán (Mexiko). Erstellt werden regionale Bestandsaufnahmen, die das Bewusstsein für die Dramatik der Situation schärfen sollen. Politische EntscheidungsträgerInnen vor Ort lernen mehr über Emissionsquellen, Steigerungsraten, Trends und Strategien. Und zugleich wird, gerade in Mexiko und Donald Trumps Mauer hin oder her, die Anschlussfähigkeit ans klimapolitisch so viel höher entwickelte Kalifornien geprüft.

Baden-Württemberg hat sich speziell im "Zero Emission Vehicles Project" engagiert, um gemeinsam mit Kalifornien (USA), Navarra (Spanien), Santa Fe (Argentinien) Schottland und Queensland (Australien) den Anteil emissionsfreier Fahrzeuge im jeweiligen eigenen Zuständigkeitsbereich zu erhöhen. Der deutsche Südwesten kann punkten mit seiner dichten Ladeinfrastruktur und Queensland damit, dass es überhaupt dabei ist. Denn Australiens Mitte-Rechts Bündnis gehörte, anders als seine frühere Labour-Regierung, in Madrid zu den nervigen Bremsern, die von Kohle und Öl nicht lassen wollen. In der Under2-Koalition machen trotzdem oder gerade deshalb vier Regionen aus dem Staat auf der Südhalbkugel mit. Brasilien übrigens, der zweite Quertreiber, ist mit acht Regionen vertreten, darunter Acre als Erstunterzeichner. Und die USA, die als Nationalstaat bereits ausgestiegen sind aus den internationalen Klimaabkommen, bringen es sogar auf 26 Mitglieder.

Kretschmann: Baden-Württemberg soll "Perspektiven bieten"

Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, zur Zeit einer der Ko-Vorsitzenden der Under2-Koalition und zuständig für Europa, erklärte das Engagement der beiden von ihm geführten Landesregierungen noch mit einem ganz anderen Mechanismus. Erst vergangene Woche, als er sich in im Klimateil der Haushaltsdebatte kurz und knapp die AfD ("Nackte Realitätsverweigerung") zur Brust nahm, erläuterte er die Notwendigkeit, dass gerade forschungs- und wirtschaftsstarke Länder wie Baden-Württemberg "den Nationen andere Perspektiven bieten, die bisher gut von der Ölförderung und dem Ölverkauf gelebt haben".

Die Konferenz in Madrid hat es also noch nicht wirklich gebracht, "wenn man bedenkt, dass es das Ziel war, Fortschritte beim Klimaschutz zu erzielen", so Untersteller. Nur mit Ach und Krach sei es gelungen, den Rückschritt zu verhindern – für ihn "ein trauriges Resultat". Auch der Umweltminister setzt nun auf die EU und darauf, den Weg des Green Deal engagiert zu gehen. Vieles werde jetzt von der Vorbereitung der nächsten Konferenz in Glasgow abhängen. Davon, ob alle Register gezogen werden. Denn fünf Jahre nach Paris greift in der schottischen Stadt erstmals der Beschluss, dass gemeinsam strengere Ziele zur Eindämmung der Erderwärmung festgelegt werden müssen, wenn sich "dies nach wissenschaftlichen Erkenntnissen als erforderlich erweist". Da geht es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch ums Wie.


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2 Kommentare verfügbar

  • chr/christiane
    am 19.12.2019
    Antworten
    Gerade gelesen:

    In Aachen findet vom 29.Mai bis 7.Juni 2020 das "Weltfest des Pferdesports" statt.

    Der Rat der Stadt Aachen hat am 19.Juni 2019 mit nur 2 Gegenstimmen den Klimanotstand ausgerufen.

    Aachen könnte in Sachen "Mondlandung" bzgl. Klimaschutz zum Vor-Reiter werden.

    Die…
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