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Profit gegen Menschenrechte

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"So billig, so gut, so geil." Mit derlei Sprüchen bewerben Konzerne Produkte der Ausbeutung, für die sie Menschenrechtsverletzungen und Todesfälle in Kauf nehmen. Geschützt werden sie von der Bundesregierung, die Gesetzesinitiativen sabotiert, mit denen Unternehmen zu sauberen Lieferketten verpflichtet werden sollen.

Die Gefahr war bekannt: Ein Prüfbericht von 2007 weist der Näherei "Ali Enterprises" im pakistanischen Karatschi gravierende Mängel beim Brandschutz nach. Daraufhin habe es Nachbesserungen gegeben, teilt der deutsche Textil-Discounter KiK, größter Auftraggeber der Fabrik und laut Mitarbeitern eine Art "heimlicher Chef", mit. Dies habe eine Untersuchung vom 30. Dezember 2011 bestätigt. Am 12. September 2012 bricht ein Feuer bei "Ali Enterprises" aus. 260 Menschen sterben. "In der Fabrik gab es keine Notausgänge, und die Fenster waren vergittert", berichtet das "Handelsblatt".

Einstürzende Staudämme und Nähereien, erschossene Mineure in Südafrika: Nach mehreren dramatischen Todesfällen in der globalisierten Arbeitswelt war es an der Zeit, sich zur eigenen Verantwortung zu bekennen: "Unser Ziel sind menschenwürdige Arbeitsbedingungen weltweit", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 21. Mai 2015 vor den G7-Staaten. Dafür müssten "bei einer Ausweitung des Freihandels soziale und ökologische Standards besser umgesetzt" werden, "insbesondere bei internationalen Lieferketten". Hierzu wollte die Kanzlerin "kraftvolle Signale der Glaubwürdigkeit und der Unterstützung" aussenden.

Wenige Monate zuvor, im November 2014, hatte eine ministerienübergreifende Arbeitsgruppe der Bundesregierung begonnen, an einem Nationalen Aktionsplan (NAP) zu Wirtschaft und Menschenrechten zu arbeiten. Dieser sollte, so das Ziel, Leitlinien der Vereinten Nationen umsetzen und damit Unternehmen dafür haftbar machen, wenn ihre Zulieferer unter unwürdigen oder sogar lebensbedrohlichen Bedingungen produzieren lassen. Im Koalitionsvertrag von 2018 bekräftigt die schwarz-rote Bundesregierung: "Wir setzen uns für eine konsequente Umsetzung des NAP ein." Falls eine umfangreiche Überprüfung zu dem Ergebnis kommen sollte, "dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht", Menschenrechte in der Praxis zu gewährleisten, "werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen".

Wie durch ein Wunder hat Mohammed Hanif den Brand bei "Ali Enterprises" überlebt. Gegenüber der "Zeit" schildert er, wie es ihm gelang, die Rotorblätter einer Entlüftungsanlage zu verbiegen. Durch einen etwa einen Meter breiten Schacht zwängt sich der damals 20-Jährige ins Freie und stürzt ein paar Meter in die Tiefe. Seine Gesundheit ist lebenslang beeinträchtigt. Gemeinsam mit drei Hinterbliebenen, die in den Flammen ihre Kinder verloren, versucht er, vor dem Dortmunder Landgericht 30 000 Euro Schmerzensgeld von KiK zu erstreiten. Eine Sprecherin des Unternehmens bezeichnet den Vorfall als bedauerlich, aber betont, dass "Ali Enterprises" als Produktionsstätte "rechtlich und wirtschaftlich selbstständig" sei: "Wenn man bei einem Bäcker Kunde ist und dort ein Brötchen kauft, ist man auch nicht mitschuldig, wenn einen Tag später die Bäckerei abbrennt."

Der Rechtsstreit hätte als Präzedenzfall klären können, inwieweit multinational aktive Konzerne für Menschenrechtsverletzungen ihrer Zulieferer haftbar gemacht werden dürfen. Im Januar 2019 wies das Dortmunder Landgericht die Klage jedoch ab, ohne sie inhaltlich zu prüfen: Die Ansprüche der Betroffenen seien bereits verjährt.

Schon 2011 hat sich der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) einstimmig auf Leitprinzipien verständigt, die Betroffenen bessere Klagemöglichkeiten einräumen sollen – etwa, wenn sie Opfer von Kinderarbeit oder von mangelhaftem Arbeitsschutz werden.

An den Verhandlungen einer Arbeitsgruppe, die diesen vermeintlichen Konsens in einem völkerrechtlich verbindlichen Abkommen umsetzen soll, sind aktuell 89 von 193 UN-Mitgliedsstaaten beteiligt. Deutschland gehört nicht dazu, und ist bislang vor allem durch Blockade-Versuche aufgefallen: So beantragte die Bundesrepublik Ende 2013 bei der UNO-Generalversammlung in New York, alle finanziellen Mittel für die Verhandlungsrunden zu streichen.

Wie bereits in Vorjahren war Deutschland daher nur mit passiven Beobachtern ohne Verhandlungsbefugnisse vertreten, als im vergangenen Oktober in Genf zum fünften Mal über verbindliche internationale Rechtsgrundlagen diskutiert worden ist. Die EU-Kommission wollte ihre Mitgliedsstaaten gar nicht erst um ein formales Verhandlungsmandat ersuchen und konnte sich daher inhaltlich nicht einbringen. Laut dem Karlsruher Bundestagsabgeordneten Michel Brandt, der für die Linkspartei vor Ort war, hätten EU und Bundesregierung damit "aufs Neue bewiesen, dass ihnen die Profitinteressen von Konzernen wichtiger sind als die Menschenrechte".

Wer bei "Ali Enterprises" Jeans zusammennäht, wird pauschal entlohnt und erhält laut "Spiegel" je nach Produktivität zwischen 1,50 Euro und 5 Euro für einen 14-Stunden-Tag: "Im Monat kam kaum ein Arbeiter auf mehr als 7000 Rupien, umgerechnet nicht einmal 60 Euro." Die Gewerkschaft verdi hat berechnet, dass die Kleidungsstücke durchschnittlich nur um 12 Cent teurer würden, wenn man den Arbeitern 50 Euro mehr im Monat zahlte. Vor dem Fabrik-Brand warb KiK mit Slogans wie "So billig, so gut, so geil". In den Trümmern der Todesfalle fanden Aktivisten Etiketten, die sie mit Angeboten in deutschen Filialen des Textil-Discounters verglichen: Die Hosen waren demnach für 15,99 Euro zu haben.

Wo bleiben eigentlich die kraftvollen Signale?

Vergangenen Donnerstag debattierte der Bundestag über den am Monatsanfang veröffentlichten Jahresbericht des Instituts für Menschenrechte, in dem es unter anderem heißt: "Es fehlt ein Nachdenken darüber, wie von Menschenrechtsverletzungen Betroffene durch deutsche Unternehmen unterstützt werden könnten, Beschwerden gegen diese Unternehmen vorzutragen." Außenminister Heiko Maas (SPD) nutzte die Gelegenheit, daran zu erinnern, dass es "keinen Automatismus für den Fortschritt bei Menschenrechten" gebe und "wir stattdessen einen besorgniserregenden Pushback erleben, und zwar weltweit".

Der Mann weiß, wovon er spricht: Wie die "Zeit" berichtet, sind vor allem Maas, damals noch als Justizminister, und der frühere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dafür verantwortlich, dass aus dem NAP, mit dem Deutschland Menschenrechte schützen möchte, nie ein verbindliches Gesetz mit einklagbaren Ansprüchen wurde: "Übrig blieb ein vager Plan: Ab dem Jahr 2018 soll die Bundesregierung regelmäßig überprüfen, was Unternehmen für die Arbeiter im Ausland tun."

"Was wir sehen und erleben, ist eine organisierte Verantwortungslosigkeit und eine riesige Diskrepanz zwischen dem, was auch die Bundeskanzlerin in Sonntagsreden verkündet und dem, was wirklich am Ende das Wirtschaftsministerium gepaart mit den Wirtschaftsverbänden an konkreter Politik betreibt." So urteilt der SPD-Bundestagsabgeordnete und Fraktionssprecher für Menschenrechte, Frank Schwabe, im Politmagazin "Monitor". Denn auf Druck der Arbeitgeber-Lobby wurde der Fragekatalog entschärft, mit dem ermittelt werden soll, wie viele Unternehmen den Leitlinien der Vereinten Nationen schon heute gerecht werden – das Wirtschaftsministerium versuche laut Schwabe, "diesen ganzen Prozess zu unterminieren, zur Farce werden zu lassen".

Auf den lieben Peter ist Verlass

Zum Thema Lieferkettengesetz sind  in den vergangenen Monaten immerhin elf Treffen zwischen Lobbyisten und dem Wirtschaftsministerium dokumentiert. "Lieber Peter", so wandte sich etwa Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes (BDA), Mitte dieses Jahres an den Wirtschaftsminister und Parteifreund Altmaier (CDU), um ihm mitzuteilen, dass er "sehr besorgt" sei. Bauchschmerzen bereitet ihm das Szenario, die Bundesregierung könnte "ein für die Wirtschaft derart schädliches Gesetz" einführen. Noch eindringlicher warnt sein Kollege, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer: Im Gespräch mit der "Rheinischen Post" äußert er seine Hoffnung, dass die Bundesregierung "von diesem Unsinn absieht". Denn "mit so einem Gesetz für alle Unternehmen stehe ich ja schon mit beiden Beinen im Gefängnis".

In einem Nachhaltigkeitsbericht, den KiK 2010, also zwei Jahre vor dem tödlichen Brand in Pakistan, veröffentlichte, habe der Textil-Discounter laut "Tagesspiegel" noch "auf 90 Seiten auf die hohe Verantwortung der Auftraggeber gegenüber den Lieferanten hingewiesen". Außergerichtlich stellt das Unternehmen 6,15 Millionen US-Dollar für die Opfer bereit und teilt dazu in eigener Sache mit: "Obwohl es sich bei der Fabrik nicht um eine eigene Fabrik von KiK gehandelt hat, war der Textildiscounter bereit, die Betroffenen finanziell zu unterstützen, jedoch ohne dass dies mit einem Schuldanerkenntnis gleichzusetzen wäre." Der Konzern bestreitet zudem Mängel bei den Arbeitsbedingungen und geht von Brandstiftung aus.

Nach einer Intervention von Kanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium ändern sich die Spielregeln für den NAP. Von den gut 7000 Unternehmen in Deutschland mit mehr als 500 Mitarbeitern, werden circa 3000 angeschrieben und um Antworten gebeten. Wenn dabei mehr als 400 Unternehmen einen ausgefüllten Fragebogen zurückschicken, gilt der Vorgang als repräsentativ. Ein verbindliches Gesetz ist nunmehr obsolet, wenn ausreichend Unternehmen, also 50 Prozent und mehr, in einer freiwilligen Selbstauskunft von sich behaupten, Menschenrechtsanforderungen bereits zu erfüllen.

"Das Ganze ist völlig anonym und intransparent. Unabhängige Experten haben keinerlei Möglichkeit, das Ergebnis zu überprüfen", beklagt Armin Paasch, Referent für Menschenrechte beim katholischen Hilfswerk Misereor, gegenüber "Monitor". Den Moderator Georg Restle veranlasst das zur Prognose, dass sich unter den über 7000 Unternehmen bis zum Ende der Befragung im kommenden Sommer "wohl 200 finden lassen, die die Menschenrechtsstandards einhalten – irgendwie, so oder so". Doch da hat er die deutsche Wirtschaft offenbar überschätzt.

Selbst Konzerne fordern jetzt: Bitte kontrolliert uns!

Seit vergangenem Mittwoch liegen erste Zwischenergebnisse der Überprüfung vor, und die sind, in den Worten von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), "mehr als ernüchternd". Bislang haben sich 464 Unternehmen zurückgemeldet. Davon erfüllen, selbst nach eigener Einschätzung, nicht einmal 20 Prozent die Vorgaben. Ein bisschen Realsatire am Rande: Das Design der Unternehmensbefragung, bemängelt Peter Clever vom Arbeitgeber-Verband im "Handelsblatt", sei "so angelegt gewesen, dass gar nichts anderes dabei herauskommen konnte".

Die Zwischenergebnisse der NAP-Befragung decken sich jedoch mit den Erkenntnissen externer Beobachter: Eine Untersuchung des "Business & Human Resource Centre", veröffentlicht im November 2019, kommt zu dem Befund, dass von den 20 größten deutschen Unternehmen kein einziges den Menschenrechts-Leitlinien der UN gerecht wird: "Die meisten Gefahrenanalysen [der Konzerne] räumen nicht den gravierendsten potenziellen Bedrohungen für Menschen Priorität ein, sondern schienen sich auf mögliche Schäden für die Unternehmen zu fokussieren, etwa einen Verlust des Ansehens."

Auf öffentlichen Druck ist KiK, neben Aldi, H&M, Adidas, C&A und der Otto Group, 2015 dem "Bündnis für nachhaltige Textilien" beigetreten, dessen Ziel es nach eigenen Angaben ist, die "sozialen und ökologischen Bedingungen in der weltweiten Textilproduktion zu verbessern". 2018 landet der Textil-Discounter bei dem deutschen CRS-Preis auf Platz 2 in den Kategorien "Globale Verantwortung" und "Philanthropie" (was übersetzt so viel wie Menschenliebe heißt). Auch bei den Kunden genießt das Unternehmen einen guten Ruf: Laut der Verbrauchs- und Medienanalyse 2019 landet KiK im Ranking der beliebtesten Bekleidungsgeschäfte und Textilkaufhäuser in Deutschland auf Platz 4. Jeans gibt es dort anno 2019 für noch günstigere 7,99 Euro.

"Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel", das sagt nach dem Bekanntwerden der Zwischenbilanz zum NAP jetzt auch Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Zusammen mit Minister Heil will er sich für ein verbindliches Lieferketten-Gesetz für Deutschland einsetzen, zum Unverständnis von Peter Altmaier, der aktuell von "wohlmeinenden Schnellschüssen" abrät.

Während Arbeitgeber-Verbände und Wirtschaftsminister gegen Verbindlichkeiten wettern, mehren sich auch Stimmen aus der Industrie, die eine gesetzliche Regelung befürworten. Zuletzt meldeten sich 42 deutsche Unternehmen mit einem gemeinsamen Appell zu Wort: So hätten Erfahrungen gezeigt, "dass freiwillige Selbstverpflichtungen allein nicht ausreichen. Es bedarf verbindlicher Sorgfaltspflichten, die von allen angemessen umgesetzt werden". Zu den Unterzeichnern gehören bekannte Namen, etwa Tchibo, Nestlè und Ritter Sport. Sogar KiK ist mit dabei.


Info:

Die "Initiative Lieferkettengesetz", ein breiter Zusammenschluss von Organisationen wie Brot für die Welt, Robin Wood und Verdi, sammelt Unterschriften, um Menschenrechtsverletzungen in globalen Produktionsprozessen durch einen rechtlichen Rahmen einzudämmen. Bis jetzt ist die Petition, die sich an die Bundesregierung richtet, von gut 90 000 Menschen unterzeichnet worden. 


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1 Kommentar verfügbar

  • K. Schulz
    am 24.12.2019
    Antworten
    Mich würde mal interessieren, wo Famila dort steht. Der Laden verkauft neben Lebensmitteln genauso auch günstige und gute Kleidung, teilweise mit ÖKO TEX Standard. Dieses Label ist allerdings nur eine Schadstoffprüfung und sagt, soviel ich weiß, nichts über die Herstellungsbedingungen aus.
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