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Seit die deutschen Autokonzerne den Einstieg in die E-Mobilität verschlafen haben, hagelt es Kritik am Elektroauto. Ganz vorne mit dabei sind Springers "Welt" und Burdas "Focus".

Glaubt man Henryk M. Broder, dem früheren "Spiegel"- und heutigem Springer-Schreiber, dann ist der amerikanische Milliardär Elon Musk komplett durchgeknallt. Und auch dem Konzernchef der Deutschen Post, Frank Appel, spricht er Rationalität ab. Denn für Broder sind Elektroautos, mit denen Musk (mit Tesla) und Appel (mit dem posteigenen E-Streetscooter) derzeit die hiesigen Autokonzerne aufschrecken, ein "einziger großer Denkfehler". Das <link https: www.welt.de motor article172169525 broder-das-e-auto-ist-ein-einziger-grosser-denkfehler.html external-link-new-window>verkündete Broder jüngst in der "Welt".

Batteriegefährte sind Ladenhüter, sagt Broder in seiner Kolumne, und macht dies am schleppend laufenden Förderprogramm fest, mit dem der Bund den Kauf eines E-Autos bezuschusst. Tatsächlich ist der Fördertopf noch prall gefüllt: Von 600 Millionen Euro waren bis Jahresende nur 65 Millionen abgerufen. Vor allem stützt sich Broder aber auf eine "Enthüllung" aus dem eigenen Laden: Ein <link https: www.welt.de wirtschaft article171801021 e-auto-der-deutschen-post-winterprobleme-mit-dem-streetscooter.html external-link-new-window>kurz zuvor erschienener "Welt"-Artikel bescheinigt dem gelben E-Scooter der Post eine "aberwitzige Liste an Mängeln":

Unter einem Prozent

Rein elektrische Autos hierzulande sind noch keine große Konkurrenz für Diesel und Benziner. So wurden im Jahr 2017 insgesamt rund 3,44 Millionen Fahrzeuge neu in Deutschland zugelassen. Davon waren nur 25 056 E-Autos, ihr Marktanteil erreichte 0,73 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr legten die Batterieautos aber zu. In 2016 kamen noch 11 410 reine Elektroautos neu auf die Straßen, was einem Anteil von 0,34 Prozent entsprach. (jl)

Paket-Zusteller trauten sich mit dem Fahrzeug nicht mehr auf die Straße, manche litten bereits an "unglaublichen psychischen Belastungen", heißt es darin. Weil die an der Universität RWTH Aachen entwickelten Stromer "mitten in der Pampa auf der Strecke liegen blieben", zitiert das Blatt Postler und Betriebsräte aus ganz Deutschland. Freilich ohne Namen und Arbeitsorte der Traumatisierten zu verraten.

"Ich bin wirklich kein Anhänger von Verschwörungstheorien, aber es gibt interessierte Kreise, die eine schnelle Verkehrswende nicht wollen", kommentiert Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), derartige Horrorgeschichten. Schließlich bedrohen E-Autos einen ganzen Industriezweig, der bislang viel Geld mit dem Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren verdiente. "Da gerät ein Milliardengeschäft in Gefahr."

Schmierstoffindustrie protestiert beim Professor

Wie ernst die Autobranche das Thema mittlerweile nimmt, konnte Quaschning schon selbst erfahren. Nach <link http: pvspeicher.htw-berlin.de wp-content uploads htw-2016-sektorkopplungsstudie.pdf external-link-new-window>einer Publikation, die das Produktionsende von Diesel- und Benzinfahrzeugen zum Schutz des Klimas ab dem Jahr 2025 postulierte, wurde der Verband der Deutschen Schmierstoffindustrie direkt bei dem Wissenschaftler vorstellig und protestierte. Bislang machen Motoren- und Getriebeöle für Kraftfahrzeuge rund ein Viertel des Schmierstoffabsatzes der Branche aus. Bei Elektroautos entfällt ein Ölwechsel.

Doch nicht nur Hersteller und Zulieferer machen gegen das Elektroauto mobil. "Viele Politikbereiche tun die Elektromobilität als grüne Spinnerei ab", ergänzt Quaschning den Kreis der Gegner. Was wenig verwundert, wenn man sich die engen Beziehungen zwischen Parteipolitikern und Autoindustrie hierzulande vergegenwärtigt. Daimler und BMW gehören etwa zu den größten Parteispendern.

Autolobbyisten gehen bei der Regierung ein und aus

Selbst der Dieselskandal brachte die alte schwarz-rote Bundesregierung nicht dazu, auf Distanz zu den "Betrügern" zu gehen, wie eine <link https: www.lobbycontrol.de wp-content uploads lobbyreport-lc-2017-web-1.pdf _blank external-link-new-window>Auswertung durch den Verein Lobbycontrol zeigt. Demnach traf die Bundesregierung zwischen September 2015 und Mai 2017 fast zweieinhalb mal so häufig auf Autolobbyisten wie auf Interessensvertreter für Umwelt- und Gesundheitsschutz, Verbraucherschutz und Beschäftigte. Selbst der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann machte jüngst Schlagzeilen, weil er sich gegen eine schnelle Verkehrswende positionierte. "Verkehrspolitik betrifft aber nicht nur die Autokonzerne, sondern vor allem auch die vielen Millionen Menschen, die unter schlechter Luft in den Städten leiden", fordert Lobbycontrol eine ausgewogenere "Gästeliste".

Daneben gibt es auch viele Verbraucher, die prinzipiell gegen Elektroautos sind. Wie groß die Ablehnung ist, kann Quaschning an den mittlerweile 700 Kommentaren ablesen, die er auf sein Youtube-Video bekam, das eigentlich mit den zahlreichen Vorurteilen gegenüber der Elektromobilität aufräumen sollte.

Der Kampf ums Auto der Zukunft erinnert an die Diskussion um die Energiewende. Wie die erneuerbaren Energien, die das Geschäftsmodell der großen Energiekonzerne ins Wanken brachten, sieht sich auch die Elektromobilität massivem Gegenwind ausgesetzt. Die Kritik ähnelt sich. Gegner von Windkraft und Photovoltaik führen gern die Versorgungssicherheit an, die durch den Ausbau der Erneuerbaren angeblich nicht mehr gewährleistet ist. Skeptiker der Elektroautos verweisen auf unzureichende Netzkapazität und Ladeinfrastruktur.

Unfaires Duell: schwerer Tesla gegen kleinen Benziner

En vogue ist es gerade, wie bei Windmühlen, auch bei Stromautos den ökologischen Nutzen in Frage zu stellen. Klimaschädlich soll vor allem die Batterieproduktion sein, die extrem viel CO2-Ausstoß verursache. "Da werden gern Äpfel mit Birnen verglichen", kritisiert Quaschning, dass bei entsprechenden Tests häufig ein schweres Tesla Model S, aktuell das E-Auto mit der größten Batterie, gegen einen Kleinwagen mit Benzin- oder Dieselmotor antritt. Mit einer Mercedes-S-Klasse sähe das Ergebnis anders aus, betont er. "Ab etwa 30 000 Kilometer Fahrleistung ist die Ökobilanz eines Teslas positiv", bekräftigt Quaschning.

Oft verweisen E-Auto-Gegner auch auf seltene Erden, die in den Batterien eingesetzt werden. Als Problemstoff gilt vor allem Kobalt, das in kongolesischen Kleinminen teilweise von Kindern abgebaut wird, kritisiert etwa Amnesty International die fehlende Kontrolle der Lieferkette. Regelmäßig warnen Medien auch vor einer angeblichen Rohstoffverknappung. "Kobalt findet sich auch in der Elektronik von Autos mit Verbrennungsmotoren und in jedem Smartphone", weist Quaschning auf die weitreichende Verwendung dieses Metalls hin. Es sei aber richtig, den Finger in die Wunde zu legen, ergänzt er und fordert, dass Autokonzerne die nachhaltige Produktion forcieren: "Nicht nur die Autos selbst, auch ihre Herstellung muss sauberer werden."

Nimmt man die Häufigkeit kritischer Berichte als Maßstab, haben sich Springers "Welt" und das Magazin "Focus" aus dem Hubert Burda Verlag als Sturmgeschütze gegen die Verkehrswende profiliert. Die Autoanzeigen sind eben immer noch fett. Besonders ungeniert <link https: www.welt.de wirtschaft article171957187 welt-momente-2017-mit-dem-elektroauto-in-der-provinz-gestrandet.html external-link-new-window>ging "Welt"-Redakteur Nando Sommerfeldt vor, der auf seiner "ersten Testfahrt in einem Elektroauto in der Ostprignitz – irgendwo zwischen Berlin und Hamburg" mit leeren Akkus strandete. "Der Wagen erwies sich schnell als autobahnuntauglich, und eine Möglichkeit ihn aufzuladen, gab es schlichtweg nicht. Gott sei Dank aber hatte Frau Hanisch an diesem Tag Dienst in der Agip-Station Heiligengrabe", beschreibt er seine Erfahrung.

Überraschender Test: "Welt"-Fahrer strandet in der Pampa

"Fünf Stunden und 47 Minuten später war es dann so weit. Das Auto hatte genug Strom, um die Testfahrt fortzusetzen", schildert er sein Martyrium mit einem BMW I3 – das ihm aufmerksame Leser nicht abkauften. "Man fährt auch mit einem Verbrenner nicht an Tankstellen vorbei, wenn die Tankanzeige auf Reserve steht", verwies ihn ein Kommentator auf eine Schnellladesäule in nur neun Kilometern Entfernung zu seinem Zwangsstopp hin. Dort wären die Akkus in 20 Minuten wieder soweit aufgeladen gewesen, um nach Berlin oder Rostock zu fahren, ergänzte er. Eine Kontext-Anfrage, warum er es nicht so machte, ließ der Redakteur unbeantwortet.

Erstaunlicherweise stammen die kritischsten Berichte in beiden Medien nicht aus den Federn eigener Redakteure. Ein am 29. Dezember 2017 veröffentlichter ausführlicher Beitrag über die angeblich schlechte Öko-Bilanz der Stromer, Titel: "Unbequeme Wahrheiten über das Elektroauto – Zweifel sind angebracht" (<link https: www.welt.de motor news article172013345 zweifel-sind-angebracht-unbequeme-wahrheiten-ueber-das-elektroauto.html _blank external-link-new-window>Artikel bei "Welt", <link https: www.focus.de auto news unbequeme-wahrheiten-ueber-das-elektroauto-zweifel-sind-angebracht_id_8149889.html _blank external-link-new-window>Artikel bei "Focus") lieferte eine Agentur den Medien zu. "Mit dieser Agentur besteht eine Kooperation", bestätigt eine "Welt"-Redakteurin auf Nachfrage. Eine redaktionelle Überprüfung der Textinhalte erfolge in der Regel nicht.

Für Leser ist die redaktionsferne Urheberschaft kaum am Autorenkürzel "SPS" erkennbar. "Focus"-Online erwähnt immerhin, dass der Inhalt von Dritten "bereitgestellt" wurde. <link https: www.spotpress.de external-link-new-window>Laut eigener Website handelt es sich bei Spotpress Services um eine Nachrichtenagentur für Themen rund um das Automobil. Auf ihrer <link https: www.facebook.com spotpress external-link-new-window>Facebook-Seite reiht sich Sportwagen an Sportwagen. Besagte "Unbequeme Wahrheiten" über E-Autos <link http: www.sprit-plus.de unbequeme-wahrheiten-ueber-das-elektroauto-zweifel-sind-angebracht-2051112.html external-link-new-window>erschienen am 5. Januar auch auf "Sprit Plus", einem Online-Portal für Tankstellenbetreiber. 

Für die Ölkonzerne sind E-Autos nicht gut

Zufall? Gerade die Ölkonzerne gehören beim Siegeszug der Elektromobilität zu den großen Verlierern. "Sollte es zwischen den Jahren 2030 und 2040 tatsächlich fünf bis zehn Millionen E-Autos auf deutschen Straßen geben, würde das den Absatz von Benzin und Diesel im Individualverkehr um zehn bis 15 Prozent verringern", sagt Wolfgang Langhoff, Vorstandsvorsitzender der BP Europa SE, deutliche Absatzrückgänge voraus.

Wenig verwunderlich ist auch, dass Henryk M. Broder nichts Gutes an elektrischen Autos findet, die den Verkehr klimaverträglicher machen können. Schon 2007 bezeichnete der einstige "Spiegel"-, "Zeit"- und "taz"-Kolumnist die Diskussion um den Klimaschutz <link http: www.weltwoche.ch ausgaben artikel-2007-11-erdbeere-des-unh.html external-link-new-window>in der Schweizer "Weltwoche" als "eine Art Feldgottesdienst der Ungläubigen, die sich im Glauben an das Ende der Welt zusammengefunden haben".

Broder gründete zusammen mit Michael Miersch und Dirk Maxeiner auch das Blog "Die Achse des Guten". Das Umweltbundesamt bezeichnete dieses in einer Publikation als Klimawandelleugner. Autokäufer sollten sich von den Negativmeldungen nicht verunsichern lassen, rät Professor Quaschning. "Bereits heute spricht nichts gegen den Kauf eines Elektroautos, was die Umweltverträglichkeit anbelangt", bekräftigt er. Die Diskussion über das Für und Wider der Stromer würde sich bald erledigt haben, prophezeit er. Weil in China, dem größten Automarkt der Welt, die Verkehrswende rasant voranschreite, betont er. "Deutschland kann es sich deshalb als Wirtschaftsstandort kaum leisten, weiter nur über Elektromobilität zu diskutieren."


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13 Kommentare verfügbar

  • Andrea K.
    am 26.01.2018
    Antworten
    Mag sein, dass es Medienkampagnen gibt, die "unserer" Automobilindustrie dienen sollen. Aber wäre der Ansatzpunkt nicht ein anderer?

    Ich persönlich bin die absolute Zielgruppe des Elektrofahrzeugs. 20 Kilometer Arbeitsweg - per ÖPNV etwas mehr als eine Stunde, mit dem eigenen Fahrzeug 20-35…
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