Also doch kein Braindrain, von dem die Europäer profitieren könnten?
Weber: Was wir sicherlich bald merken werden, ist ein schwindender Zuspruch für die USA als Zielland. Ich vermute, dass vor allen Dingen Postdoktoranden oder auch Doktoranden, die sehr gerne ihren nächsten Karriereschritt temporär in den USA gemacht haben und dort auch Perspektiven gesehen haben, sich stärker anderswohin orientieren werden.
Gilt das generell?
Weber: Das ist natürlich abhängig von den jeweiligen Fachkulturen. Wir haben in Ulm eine starke Medizin. In der Medizin war es eigentlich schon immer so, dass im Lebenslauf ein zweijähriger Aufenthalt auf einer guten Stelle in den USA mitentscheidend war, ob man später eine Professur bekommt oder nicht. Das wird sich ändern.
Olschowski: Im Moment stehen Forschende aus den USA noch nicht Schlange, erste Interessensbekundungen gibt es allerdings und deutlich mehr Bewerbungen für Projektleitungen. Laut einer Umfrage des Wissenschaftsjournals "Nature" im März ziehen 75 Prozent der US-Forschenden in Betracht, ihr Land zu verlassen. Ziemlich sicher werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende aus anderen Nationen, die normalerweise in die USA gegangen wären, Europa verstärkt in den Blick nehmen. Und dann erkennen sie auch Deutschland und insbesondere Baden-Württemberg mit den vielen Spitzeneinrichtungen als attraktive Ziele.
Trumps Politik würde also Deutschland international attraktiver machen?
Olschowski: Zunächst einmal schadet Trumps Politik dem Wissenschaftssystem weltweit. Wissenschaft ist international, sie denkt nicht in Grenzen und Nationalitäten – und das muss auch so sein. Insofern profitiert niemand von dem, was in den USA im Moment passiert. Zugleich können wir in Deutschland und Europa im Moment weitgehende Verlässlichkeit garantieren. Das kann interessant sein. Aber nicht nur für US-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler, sondern eben auch für Studierende und Forschende aus Indien, Afrika, Südamerika oder ganz egal welcher Herkunft. Sie werden sich eher für Deutschland entscheiden als jetzt, in diesen unsicheren Zeiten, in die USA zu gehen.
Das klingt alles sehr erfreulich, hat nur einen Schönheitsfehler: Stichworte Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auch an den deutschen Hochschulen und Universitäten.
Olschowski: Alle Konflikte der Welt spiegeln sich an allen Orten wider. Und natürlich auch an den Hochschulen. Aber schauen wir einmal auf die Studierendenmobilität: Deutschland ist mittlerweile das viertbeliebteste Ziel internationaler Studierender nach den USA, dem Vereinigten Königreich und Australien. Und das ist ein gutes Zeichen für eine offene Kultur.
Wie ist das in Ulm? Ist der Campus weit weg von den Niederungen der Gesellschaft?
Weber: So weit weg, wie es immer heißt, ist der Ulmer Campus ja eigentlich gar nicht. Mit der Straßenbahn ist man in sieben Minuten von der Stadtmitte an der Uni. Eine Universität ist das Spiegelbild der Gesamtgesellschaft. Natürlich in einem leicht verschobenen Maße.
Wie meinen Sie das?
Weber: Einerseits, was die Altersstruktur angeht. Andererseits sind das natürlich alles Menschen, die studieren oder auch in der Wissenschaft tätig sind. Das heißt, da gibt es eine Offenheit im Umgang miteinander. Auch die Offenheit durch die wissenschaftlichen Fragestellungen, bei der ich mich um ein Thema kümmere und nicht um die Person. Das hilft ganz deutlich.
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