Das Bedürfnis, über den Ukrainekrieg zu reden, ist groß, vor allem in der Generation Friedenskette, die an diesem Montagabend den Saal des Stuttgarter Kulturzentrums Merlin füllt. Deutlich mehr als hundert Menschen sind gekommen. In den 1980er-Jahren hatten sie erlebt, wie stark eine Friedensbewegung werden kann – Stichworte Nato-Doppelbeschluss, Demo im Bonner Hofgarten, Menschenkette im Südwesten. Wer bei seinen friedlichen Überzeugungen geblieben ist, steht heute ziemlich alleine da, denn nach verbreiteter Meinung in Politik und großen Medien helfen der Ukraine nur Waffen und gegen Russland nur Aufrüstung in Europa.
Ähnlich allein sind die Vier auf dem Podium: Der grüne baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann ist mit seiner pazifistischen Überzeugung in seiner Partei ein ziemlicher Einzelkämpfer. Der Leiter der Reutlinger Volkshochschule Ulrich Bausch sucht Verbündete in seiner SPD. Die Theologin Susanne Büttner bedauert, dass Stimmen, die für Verhandlungen werben, nicht gerade prominent sind. Und der Friedensforscher Thomas Nielebock antwortete auf die Frage von Moderator Stefan Siller, ob er mit seiner Forderung, nach einer Verhandlungslösung zu suchen, in der Friedensforschungs-Szene eine Ausnahme sei, knapp und klar mit einem "Ja."
Die vier haben ein Papier verfasst: "Wege zum Frieden". Nach mehr als zwei Jahren des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, in denen der Westen Waffen geliefert habe, um der Ukraine zum Sieg zu verhelfen, müsse man doch feststellen, dass "die bisherige Strategie gescheitert ist", sagt Ulrich Bausch. Also: umdenken!
Alle ärgert, dass die Bundesregierung einseitig auf militärische Mittel setzt, dass die grüne Außenministerin Annalena Baerbock jüngst von einer "Raketenlücke" redete und so die Stationierung von US-amerikanischen Raketen auf deutschem Boden begründet. Breit diskutiert wird darüber nicht, nicht im Bundestag und wenig in den großen Medien. Für Winfried Hermann ist das besonders bitter, trat er doch 1982 bei den Grünen ein, gerade weil diese die Debatten der damals großen Friedensbewegung übernommen hatten. Mittlerweile habe sich das "Mindset" der Partei geändert, doch mitmachen will der 72-Jährige dabei nicht. "Wir brauchen einen anderen gesellschaftlichen Diskurs."Hermann erntet eifrige Zustimmung unter den Besucher:innen. Genauso die Ausführungen von Ulrich Bausch, der – wie bei jeder friedensbewegten Veranstaltung üblich – ausführlichst die Vorgeschichte des Angriffskriegs erläutert. In erster Linie geht es ihm um Fehler des Westens, besonders der USA. Er nennt die Nato-Osterweiterung und die Rolle der US-Rüstungsindustrie sowie der Debatte in den USA (Kontext berichtete).
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R.Philipp
am 16.10.2024