Stefan Zweig beschreibt in "Die Welt von Gestern", wie 1914 ein militaristischer Rausch in kürzester Zeit die Gesellschaft veränderte, wie auch Künstler und Intellektuelle die Besinnung verloren. "Die Philosophen wussten plötzlich keine andere Weisheit, als den Krieg zu einem Stahlbad zu erklären. Manchmal war es, als hörte man eine Horde Besessener toben, und all diese Männer waren doch dieselben, deren Vernunft, deren formende Kraft, deren menschliche Haltung wir vor einer Woche, vor einem Monat noch bewunderten".
Heute sind es nicht nur Männer, die man kaum wiedererkennt. Auch die Außenministerin setzt auf eine militärische Lösung und forderte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die "völlige Niederlage Russlands" und fütterte damit die Propagandamühlen Putins, die behaupten, man werde von der Nato angegriffen. Und die Grünen? Die Partei der Friedensbewegung? Wie keine andere Partei verteidigt sie das Primat des Militärischen. Natürlich hinkt der Vergleich mit 1914, denn die Ukraine ist das Opfer, Putin der Täter und er und nur er ist für das Morden und diesen abscheulichen Krieg verantwortlich.
Tatsächlich steht die Vehemenz, mit der auf mehr Waffen gesetzt wird, in fundamentalem Widerspruch zu den tatsächlichen Erfolgsaussichten dieses Ansatzes. Schon im Januar 2022 erklärte die Nato, sich auf keinen Fall in einen möglichen Krieg involvieren zu lassen. Man werde niemals Kriegspartei. Auch die militärische Unterstützung werde sich ausschließlich auf Defensivwaffen beschränken. Keinesfalls dürfe die Ukraine russisches Territorium beschießen.
Durch diese Ausgangslage ergibt sich eine militärische Asymmetrie, auf deren Basis die Ukraine den Krieg nicht gewinnen kann. Während Putin mit präzisen Langstreckenraketen die gesamte Ukraine beschießt, wird sensibel darauf geachtet, dass die ukrainischen Streitkräfte nicht das russische Hinterland der Frontlinien treffen. Waffen, die dazu in der Lage wären, liefert der Westen nicht. Die Bundeswehr besitzt hervorragende Marschflugkörper, die jeden russischen Raketenwerfer zerstören könnten. Solche Waffen werden nicht geliefert, um die Nato nicht in diesen Krieg hineinzuziehen.
Panzer verlängern den Retrokrieg
Die Lage könnte nicht komplexer sein: Ein sofortiger Stopp militärischer Hilfe ist nicht vorstellbar, denn dann würden die ukrainischen Streitkräfte überrannt. Weitere Munitionslieferungen und ein paar Panzer führen aber nur dazu, dass dieser mörderische Retrokrieg zu weiteren hohen Verlusten auf beiden Seiten führt mit der Folge, dass die ukrainische Seite schneller geschwächt wird als die russische. Dann hätte Putin gewonnen, denn es ist davon auszugehen, dass wir, dass der Westen keine eigenen Truppen stellen wird.
Es gibt keine einfachen Antworten, daher wären wir gut beraten, eine breite Debattenkultur zu pflegen. Lösungskonzepte gründen auf Diskurs, auf sachlicher Debatte, auf Zulassen des Widerspruchs und auf der Integration anderer Meinungen ins pluralistische Gesamtbild statt auf unsachlicher oder gar böswilliger Ausgrenzung.
Kriege polarisieren. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Die Fixierung aufs Militärische ist immer gepaart mit Autoritarismus und Debattenfeindlichkeit. Zweifel und Besonnenheit stören, wenn zu den Waffen gerufen wird. Auch bei uns wird der Ton schärfer, brutaler.
Zuhören statt aufeinander einprügeln
Genau das ist aber das Problem. Gerade weil die Lage komplexer nicht sein könnte und weil es unwahrscheinlich ist, dass die Annahme, der Krieg werde auf dem Schlachtfeld entschieden, zielführend sein wird, wäre es notwendig, auch jenen zuzuhören, die andere Vorschläge machen. Das Gegenteil ist der Fall. Das Format der argumentationsfreien Unanständigkeit, das wir häufig in Sozialen Medien finden, hat nun den Sprung in die "seriösen" Leitmedien geschafft.
Mitte Februar plädierte Jürgen Habermas in der "Süddeutschen Zeitung" sehr differenziert für Verhandlungen, denn das "Schlafwandeln am Rande des Abgrundes" könne uns schnell "über die Schwelle zu einem dritten Weltkrieg hinaustreiben". Der "Spiegel" machte sich darüber lustig, seine Verhandlungsforderungen seien eine Art "Abwehrzauber", denn der Krieg würde "absehbar militärisch entschieden". Noch erstaunlicher ging die Branche mit dem "Manifest" von Schwarzer und Wagenknecht um. Die taz schrieb, das Papier sei "obszön", und Sascha Lobo lieferte im "Spiegel" eine Art journalistischen Amoklauf ab, in dem er dem Manifest vorwarf: "Faschismus-Verharmlosung, Faschismus-Veregalung, Faschismus-Appeasement, reitend auf einer Welle aus Propagandalügen, Selbstbetroffen- und -besoffenheit sowie Täter-Opfer-Umkehr". Der einhellige Vorwurf lautete, das Manifest verlange einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen, also die Kapitulation vor dem Aggressor. Genau dies steht aber nicht im Manifest. Dort heißt es: die "Eskalation der Waffenlieferungen" müsse verhindert werden. Das Manifest wurde geschrieben, als die Forderungen nach Kampfjets überall diskutiert wurden.
Brandt-Sohn soll sich zum Teufel scheren
Vor diesem Hintergrund wird jetzt aufschlussreich sein, wie mit Peter Brandts Appell ("Die Welt braucht Frieden") an Olaf Scholz umgegangen wird. Der Sohn des früheren Bundeskanzlers will die Bundesregierung ermutigen, einen Waffenstillstand anzubahnen, und hat in Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der früheren Ministerin Hertha Däubler-Gmelin (beide SPD) prominente Unterstützung gefunden. Der ukrainische Vizeaußenminister Andrij Melnyk hat in der Kritik schon mal vorgelegt. Er legt Peter Brandt nahe, sich mit seinen "senilen Ideen" zum Teufel zu scheren.
4 Kommentare verfügbar
R.Ritter
am 11.04.2023Kommentar zu dem Vortrag von Krone-Schmalz an der VHS Reutlingen,
für den Donbas-Krieg betreibe sie eine den Fakten widersprechende Schuldumkehr. Seit den neunziger Jahren habe sie nicht mehr in Russland gearbeitet, sie gefalle sich aber in pauschalierender Kritik an…