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Theresa Schopper

"Wo sie ist, wird gelacht"

Theresa Schopper: "Wo sie ist, wird gelacht"
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An allen Ecken und Enden fehlt im baden-württembergischen Bildungssystem das Geld, und die grüne Kultusministerin muss hinnehmen, dass sich die CDU Reformen verweigert. Unterkriegen lassen will sich Theresa Schopper deshalb nicht. Auf Gegenwind reagiert sie mit Pragmatismus.

18 Punkte hat der neue Maßnahmenkatalog, mit dem die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) dem Unterrichtsausfall und der Schieflage in allzu vielen Schulen entgegentreten will. Er liest sich beinahe wie ein Offenbarungseid. Ausgerechnet Referendare werden zu mehr Unterricht verpflichtet und die Hürden für ein Sabbatjahr erhöht, pädagogische Assistent:innen sollen helfen und junge Erwachsene im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ). Vor allem werden Teilzeitmöglichkeiten ohne familiären oder anderen triftigen Grund eingeschränkt. Der Hinweis auf die drei Hunde, die daheim betreut werden müssten, reiche nicht mehr aus, sagt die Grüne und greift damit – wie es ihre Art ist – zu einem drastischen Beispiel für seltsame Erfahrungen, die sie mit der einen oder anderen Lehrkraft gemacht hat. Überhaupt weiß die 62-jährige Mutter und Großmutter flott zu formulieren, etwa wenn sie vom verordneten Zwang zu größeren Klassen als der "letzten Patrone" spricht, die sie noch nicht genutzt hat.

Rechnerisch gerade mal 500 Deputate – also Sätze von Pflicht-Unterrichtsstunden einer Vollzeit-Lehrkraft – möchte die grün-schwarze Landesregierung mit dem Katalog aus dem System herauspressen wie aus einer schon ausgequetschten Zitrone, die meisten davon erst zum Schuljahr 2024/2025. Bereits im kommenden Herbst aber sollen Quereinsteiger:innen mit pädagogischer Schnellbleiche unterrichten. Viel Ärger hat Schopper sich damit schon bei Bildungs- und Elternverbänden eingehandelt. Viel Hoffnung kann sie den Beschwerdeführer:innen nicht machen: "Wir werden uns zehn Jahre im Engpass-Modus bewegen."

Die Probleme sind nicht neu; im Schlamassel steckt Baden-Württembergs Bildungspolitik seit Jahren. Zuerst haben CDU/FDP-Landesregierungen rückwärtsgewandt an alten Strukturen festgehalten und viel Geld verbrannt, zum Beispiel durch die Erfindung der Werkrealschulen. Unter Grün-Rot wurde die dringend notwendige Weiterentwicklung zu Gemeinschaftsschulen von der Opposition skandalisiert als "Einheitsschule". In der vergangenen Legislaturperiode gelang es der CDU-Vorgängerin im Kultusministerium, Susanne Eisenmann, sogar, kleinen teuren Hauptschulen das Überleben unter bestimmten Voraussetzungen zu sichern. Hingegen schafften es die Grünen 2021 in den Koalitionsverhandlungen nicht, den Schwarzen endlich entscheidende Zugeständnisse abzuringen.

Selbst die Parteifreunde knausern

Schnörkellos erkennt Schopper an, dass sie in ihrer Amtszeit das Ruder kaum wird herumreißen können angesichts der Bugwelle von Nöten und Defiziten. Wenn diese Erkenntnis richtig ist, muss sich die frühere langjährige bayerische Landesvorsitzende der Grünen allerdings die Frage stellen und stellen lassen, warum es ihr bei all ihrer politischen Erfahrung nicht geglückt ist, dem Kollegen und Parteifreund Danyal Bayaz, seines Zeichens Finanzminister, und vor allem Ministerpräsident Winfried Kretschmann mehr Geld aus der Rippe zu leiern. Geld für Kinder und Jugendliche, Eltern und nicht zuletzt für Lehrkräfte und Verwaltungsangestellte in den Schulen. Zumal sie selbst in einem ihrer vielen Interviews nach Amtsantritt die finanziellen Ressourcen als "entscheidende Maßgaben" ausgemacht hatte.

Mit seiner Unterschrift besiegelte Kretschmann im ziemlich großspurig "Erneuerungsvertrag" getauften Koalitionsvertrag mit der CDU für die Jahre 2021 bis 2026 ganz anderes. "Unser Ziel ist bestmögliche Bildung für jede und jeden", steht da zu lesen. Oder: "Grundvoraussetzung für Qualität in Schule und Unterricht ist eine verlässliche Unterrichtsversorgung, daran werden wir uns orientieren." Der Verweis auf den Finanzierungsvorbehalt im ganz Kleingedruckten führt nicht weiter, denn Geld ist da; die Corona-Töpfe sind längst nicht leer und Rücklagen vorhanden in Milliardenhöhe.

Immerhin ist nach jahrelangem Ringen die Durchbezahlung jener Lehrkräfte finanziert, die bisher in Baden-Württemberg stets zu Ferienbeginn entlassen und am Ferienende wieder eingestellt werden – ein Brauch, den die Grünen in ihren Oppositionsjahren vor 2011 aufs Schärfste zu geißeln pflegten. Unvergessen allerdings auch die steinerne Miene des Regierungschefs, als Schopper ihm in einer Landtagsrede vor knapp einem Jahr ordentlich Druck machte, um die sommerliche Arbeitslosigkeit zu beenden. Kretschmann mag sich nicht so recht verabschieden von seiner Überzeugung, dass die Mittel im System nur anders verteilt werden müssten, und dass im Übrigen knappe Ressourcen bei näherer Betrachtung eher gut und schön sind, weil sie nämlich die Kreativität beflügeln.

"Theresas Glas ist grundsätzlich halbvoll"

Schopper und Kretschmann kennen sich schon lange, gemeinsam saßen sie als "Südlichter" im Bundesparteirat der Grünen. Und natürlich verstehen sie sich als Realos, trotz eines zentralen Gegensatzes. "Kretschmanns Glas ist immer halbleer", sagt ein Weggefährte, "Theresas grundsätzlich halbvoll." Sie selber meint ähnlich zu ticken wie der Ministerpräsident und auf jeden Fall "in die gleiche Richtung". Leider, kontern Bildungs- und Elternverbände, die sich von Schopper deutlich mehr Kante wünschen in Finanzverhandlungen, mehr Biss und Konfliktbereitschaft am Kabinettstisch.

Da allerdings kommen der gebürtigen Füssenerin die eigentlich gerühmten Eigenschaften gerade nicht zugute: ihr Pragmatismus, ihre Sachbezogenheit, ihre Orientierung am Machbaren. "Man hat immer das Gefühl, dass sie mit beiden Beinen im Leben steht", sagte der frühere CSU-Generalsekretär Markus Blume einmal über die damalige bayerische Landtagsabgeordnete Schopper. Blumes Chef Markus Söder und dessen Regierungsstil wiederum konnte sie nichts abgewinnen. Einen "Rausposauner" hat sie den CSU-Ministerpräsidenten einmal genannt. Von dieser Art, Politik zu machen, habe sie schon lange die Nase voll, und "billiger Applaus" habe sie nie interessiert.

Die Oppositionsarbeit aber irgendwann auch nicht mehr sehr. Nach dem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Münchener Parlament bei der Landtagswahl 2013, weil mit keinem ausreichend guten Listenplatz bedacht, legte Schopper den Landesvorsitz ebenfalls nieder. In Berlin hätte sie Bundesgeschäftsführerin der Grünen werden können, sie winkte ab, wollte bei der Familie bleiben. Ihr Mann Boris Schwartz, heute Münchener Stadtdirektor und ebenfalls tiefverwurzelt in der bayerischen Hauptstadt, war damals Direktor der Markthallen und damit Chef des weltberühmten Viktualienmarkts. 2014 wechselte sie überraschend ins deutlich näher gelegene Stuttgart, wurde Referatsleiterin im Staatsministerium.

Für die damals oppositionelle CDU war das Grund genug, sich über Parteibuchwirtschaft und Ämterpatronage zu empören. Trotzdem wurde Schopper ausgerechnet am Ende der ersten grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen 2016 sprungbefördert. Völlig überraschend tauchte sie auf den ersten offiziellen Bildern aus dem Garten der Villa Reitzenstein in der letzten Reihe der neuen Landesregierung auf, als neue beamtete Staatssekretärin. Ein solcher Wechsel, erzählte sie vor sieben Jahren, sei eigentlich immer ihr Ziel gewesen, "regieren, gestalten, mitentscheiden". Alsbald katapultierte sie sich in den Kreis von, wie die Deutsche Presseagentur 2016 schrieb, "Kretschmanns Strippenziehern".

Den Aufstieg ins Kultusministerium fünf Jahre später umkränzten Vorschusslorbeeren. "Wo Theresa ist, wird immer gelacht", lobt eine frühere Mitarbeiterin, das helfe, selbst schwierigste Situationen zu meistern. Die Ministerin versprach, sich an Sebastian Vettel anstatt einer Postkutsche ein Beispiel zu nehmen, um die Bildung entscheidend voranzubringen. Sie trete ein "sehr diskursives Amt" an, weil es nicht nur elf Millionen Fußball-Bundestrainer im Land gibt, sondern auch elf Millionen Kultusminister: "Alle haben Kinder und Enkelkinder oder kennen viele, die Kinder und Enkelkinder haben und eine Meinung von guter Schule." Allerorten werde die offene Art der Ministerin anerkannt, sagt Monika Stein, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fast zwei Jahre später. Freundlichkeit und ein offenes Ohr reichten aber nicht aus, wenn keine Taten folgten, "oder zu viele falsche".

Ein permanentes Spannungsfeld

Für das permanente Spannungsfeld, in dem die studierte Soziologin – Nebenfach Kriminologie – Kompromisse austariert, steht die Nummer sechs im neuen Maßnahmenkatalog. Es geht um die Einschränkung der voraussetzungslosen Teilzeit. Bisher können Beamt:innen ihr Arbeitsvolumen bis auf die Hälfte reduzieren. Im Bildungsbereich machen davon etwa zwölf Prozent der insgesamt 112.000 Lehrkräfte Gebrauch, ohne dafür einen Grund angeben zu müssen. Das soll sich ändern: Künftig müssen sie, wenn sie dabeibleiben wollen, mindestens 75 Prozent arbeiten.

Scharfe Kritik daran gibt es von den Bildungsverbänden und der Opposition im Landtag, die die Maßnahme kontraproduktiv nennen, da sie die Attraktivität des Lehrkräfteberufs einzuschränken drohe. "Wir machen das alles, um die Unterrichtsversorgung zu verbessern", sagt dagegen Schopper, die von dem Vorgehen überzeugt ist. Nicht zuletzt, weil, so ihre offensive Begründung, Staatsdiener:innen Vorzüge zuteil würden, von denen andere Beschäftigte nur träumen könnten. Geregelt wird die Neuerung per Erlass. Die Ministerin hätte sich sogar eine Änderung des Beamtengesetzes insgesamt vorstellen können, um als Arbeitgeberin mehr Möglichkeiten in die Hand zu bekommen und Arbeitsvolumina vorschreiben zu können. Der zuständige Innenminister Thomas Strobl (CDU) zeigte seiner Nachbarin am Kabinettstisch jedoch die kalte Schulter.

Da kommt wieder Schoppers Pragmatismus ins Spiel. Sie nimmt, was sie kriegen kann, sie lamentiert nicht herum, sammelt sich frohgemut und versucht, aus dem Vorhandenen das Beste zu machen. "Was ihr fehlt, weiß sie selber", schrieb die "Süddeutsche" nach ihrem Auszug aus dem bayerischen Landtag, "das letzte Quäntchen Killerinstinkt, das Durchsetzen um jeden Preis." Das, so Schopper, sei aber auch "gar nicht mein Stil". Und von dem werde sie nicht lassen in dieser Legislaturperiode. Was danach kommt, ist offen. Als bayerische Landesvorsitzende empfand sie ihre Geschichte "nach zehn Jahren auserzählt". Und zu Abschieden aus politischen Ämtern hat sie ohnehin ein ganz spezielles Verhältnis: "Jeder, der geht, hinterlässt eine Chance für andere." In ihrem Fall wird die Schlange der Willigen überschaubar sein.


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3 Kommentare verfügbar

  • Simone Bering
    am 26.04.2023
    Antworten
    Das Schulministerium ist prima darin, immer nur nach mehr Geld zu schreien - und die Presse hat zuwenig Ahnung von den internen Konstruktionen, um mal die überbordende Schulbürokratie in den Fokus zu nehmen. Was es da so alles gibt, z. B. das Institut für Bildungsanalysen (nicht, dass das auch eine…
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