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Warnstreik bei Edeka-Bäckerbub

Wo nicht mal die eigenen Leute kaufen

Warnstreik bei Edeka-Bäckerbub: Wo nicht mal die eigenen Leute kaufen
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Leere Brotregale im Supermarkt – was an Pandemie-Zeiten erinnert, könnte bald wieder Realität werden. Denn den Beschäftigten von Bäckerbub in Reutlingen reicht's: zu wenig Lohn, Angst um den Job, der immense Druck.

Pünktlich mit der Sonne kommen um 16 Uhr die Beschäftigten der Spätschicht aus der Fabrik. "Fünf, sechs, sieben, acht – mit Arbeit wird jetzt Schluss gemacht", singen alle im Chor. Die Produktion steht nun still, umso lauter wird es vor dem Gebäude der Bäckerbub GmbH im Reutlinger Industriegebiet Betzingen: Trillerpfeifen, Schlachtrufe, fröhliches Gelächter. Die Stimmung ist gut, die Lust zu streiken spürbar. "Neun, zehn – der Streik, der kann noch weitergeh'n."

Wie in so vielen Branchen derzeit, wird in der Brot- und Backwarenindustrie um mehr Lohn gekämpft und notfalls auch gewarnstreikt. So auch bei der Bäckerbub GmbH – einer Tochterfirma von Edeka-Südwest. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordert für ihre Mitglieder elf Prozent oder mindestens 350 Euro mehr im Monat bei einer tariflichen Laufzeit von zwölf Monaten. "Das ist eine angemessene Forderung. Ein Plus im Geldbeutel erreichen wir damit nicht, höchstens einen Inflationsausgleich", sagt der NGG-Landesbezirkssekretär Alexander Münchow. Um die 70 Mitarbeiter:innen sind an diesem Donnerstag in Reutlingen dem Warnstreikaufruf gefolgt, ausgestattet mit weiß-roten NGG-Fahnen und roten Trillerpfeifen. Unter den gelben Warnwesten und den dicken Jacken trägt ein Dutzend von ihnen noch die weißen Kittel, die in den Produktionshallen vorgeschrieben sind.

Am Ende des Monats ist nichts übrig

Steigende Mietpreise, teurere Lebensmittel, hohe Inflationsrate – wie viel bleibt denn am Ende des Monats vom Verdienten übrig? Nicht viel bis gar nichts, darin sind sich die Bäckerbub-Angestellten einig. Das Gegenangebot der Arbeitgeber vom ersten Verhandlungstermin am 27. Februar empfinden sie als "absolut inakzeptabel": 3,5 Prozent bei einer Laufzeit von zwei Jahren. "Das ist kein Angebot, sondern Erpressung", ruft Münchow ins Mikrofon. Auch in der zweiten Verhandlungsrunde an diesem Montag konnte man sich nicht einigen. Die Arbeitgeber boten vier Prozent ab Juli 2023 und weitere vier ab März 2024. Laufzeit – wie gehabt – 24 Monate. Und eine Inflationsausgleichsprämie in noch unbekannter Höhe. Das Angebot als "vollkommen unzureichend" empfindend, wollen die Bäckerbuben und -mädels weiterhin Druck machen, denn sie ließen sich "nicht mit Krümeln abspeisen", so Münchow. Bis zur nächsten Verhandlung am 2. Mai sind weitere Streiks angekündigt.

Auch Jasmin Tessmer wird dafür wieder ihre Arbeit niederlegen. Sie schafft erst seit November vergangenen Jahres bei Bäckerbub, gemeinsam mit etwa 20 anderen in der neuen Snack-Linie. Für die 33-Jährige ist klar: Sollte sich gehaltstechnisch nichts ändern, sieht sie für sich keine Zukunft in der Firma. Denn mit vier Kindern und der derzeitigen Inflation reiche der Verdienst nicht, sagt sie. Auch Doroci Afrim schüttelt schwermütig den Kopf. Er hat 60 Jahre auf dem Buckel, die letzten 24 davon hat er bei Bäckerbub in Reutlingen geschafft. Bei einer Warmmiete von 1.250 Euro, einem eigenen Auto und den Ausbildungskosten für die Tochter sei ein Monatsgehalt im Nu wieder weg, berichtet er.

Gemäß Tarifvertrag verdienen Anfänger:innen nach der Ausbildung 19,85 Euro die Stunde, Ungelernte fangen bei Bäckerbub mit 15,48 Euro an.

Edeka liebt Lebensmittel, nicht seine Beschäftigten

"Seit Edeka so viel Einfluss hat, werden die Probleme immer größer", sagt Andjelko Juric. Er kennt die Bäckerbub GmbH in- und auswendig. Gerade mal 44 Jahre alt, arbeitet der gelernte Konditor bereits seit 24 Jahren in der Reutlinger Produktionsstätte. Mittlerweile ist er stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Nicht nur der geringe Verdienst macht den Angestellten zu schaffen: Vor etwa einem halben Jahr hat Edeka-Südwest einen Personalabbau bei Bäckerbub angekündigt. In den vier Produktionsstätten in Mannheim, Bexbach, Neuenburg und Reutlingen sollen 65 der insgesamt 700 Beschäftigten entlassen werden. Der Mutterkonzern begründet den geplanten Stellenabbau mit gesunkenen Umsätzen und weniger Kunden seit Corona. Zudem hätten sich die Produktionskosten stark erhöht.

Die Behauptung, Bäckerbub würde rote Zahlen schreiben, bezeichnet der NGGler Münchow als "Edeka-Märchenstunde". Immerhin lag der Umsatz des Konzerns 2021 bei mehr als 7,7 Milliarden Euro im Jahr – vor Corona waren es deutlich weniger.

Einerseits würden seitens Edeka die Zahlen oft falsch dargestellt, um die Tochter arm zu rechnen. Andererseits sei die sinkende Nachfrage für Bäckerbub-Waren selbst verschuldet. Vor zwei Jahren hat Edeka die eigene Bäckereikette K&U zerschlagen, indem sie die einzelnen Filialen an die Edeka-Einzelhändler, die sogenannten Edekaner, abgetreten hat. "Die Einzelhändler können nun selbst entscheiden, wie viel und ob sie überhaupt Bäckerbub-Waren anbieten. Nimmt einer nur 70 Prozent, bedeutet das für uns ein Produktionsminus von 30 Prozent", erklärt der Betriebsratsvorsitzende Peter Stauche.

Edeka-Südwest ist auf Kontext-Anfrage nicht auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem sinkenden Bäckerbub-Umsatz und der Zerschlagung von K&U eingegangen. Ebenso wenig wurde beantwortet, bis wann der Stellenabbau bei Bäckerbub abgeschlossen sein soll.

Bäckerbub Afrim kauft sein Brot bei Lidl und Aldi

Mutter Edeka und Tochter Bäckerbub

Edeka ist ein genossenschaftlich organisiertes Unternehmen und geht auf einen Zusammenschluss von 21 Kaufleuten im Jahr 1898 zurück. Die Zentrale in Hamburg hält 50 Prozent Kapitalanteile an den sieben Regionalgesellschaften, den Rest halten selbstständige Händler:innen. Eine dieser Regionalgesellschaften ist Edeka-Südwest mit rund 44.000 Beschäftigten und 1.121 Märkten – 1.043 davon werden von Einzelkaufleuten geführt. Diese sogenannten Edekaner sind an der jeweiligen Filialbezeichnung aus der Kombination von Edeka und einem Nachnamen erkennbar.

Die Bäckerbub GmbH ist eine Tochterfirma von Edeka-Südwest mit insgesamt vier Produktionsstätten in Mannheim, Bexbach (Saarland), Reutlingen und Neuenburg (Breisgau) und etwa 700 Beschäftigten. Die dort produzierten Brot- und Backwaren werden in den Marktbäckereien – früher K&U-Bäckereien – verkauft. Neben den Bäckerbub-Produktionsstätten in Baden-Württemberg fallen unter die tarifliche Bindung der Bäckerbub im saarländischen Bexbach sowie die Lieken-Betriebe in Bietigheim-Bissingen und Crailsheim, ein Backwarenkonzern der tschechischen Unternehmensgruppe Agrofert.  (fra)

"Der psychische Stress ist immens", sagt Andjelko Juric. Nicht nur die Angst um den Job, sondern vor allem der Druck von oben sei über die Jahre ins Unerträgliche gewachsen. "Das ist abnormal", meint Doroci Afrim und schüttelt dabei den Kopf. Man dürfe nicht vergessen, wie körperlich anstrengend die Arbeit sei. Bäckermädels sind deshalb eine Minderheit, sie machen nur ein Drittel der Angestellten aus. Jasmin Tessmer ist eine der wenigen Frauen beim Warnstreik. Als sie von der letzten Betriebsversammlung erzählt, kann sie sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen: "Einer aus der Geschäftsführung meinte: 'Unter Druck arbeiten wir alle am besten'."

Das Problem: Dieselbe Produktionsarbeit wird auf weniger Menschen verteilt als noch vor ein paar Jahren. Denn auch ohne Stellenabbau schrumpft die Zahl der Angestellten. Laut Betriebsrat und langjährigem Bäckerbub Nermin Camic gab es vor vier Jahren noch 206 Mitarbeiter:innen in Reutlingen, heute sind es 187. "Bevor sie mental fertiggemacht werden, gehen die Leute lieber freiwillig", sagt Andjelko Juric. Den Erzählungen älterer Beschäftigter nach, scheint früher überhaupt alles besser gewesen zu sein: der Umsatz, der Stressfaktor und, laut Afrim, auch die Qualität der hergestellten Waren. Schließlich gesteht er schmunzelnd: "Ich schaffe hier seit 24 Jahren, mein Brot aber kaufe ich bei Lidl oder Aldi."


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