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Fotoausstellung auf ehemaligem KZ-Gelände

"Man konnte nirgends hingehen"

Fotoausstellung auf ehemaligem KZ-Gelände: "Man konnte nirgends hingehen"
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 Fotos: Wolfgang Schmidt 

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Datum:

In Bäumen hängende Fotoplakate erinnern an die Häftlinge des KZ Hailfingen/Tailfingen. Die verfremdeten Bilder mit Zitaten der Insassen rufen die Brutaliät nicht nur dieser Vergangenheit ins Bewusstsein, sondern lenken die Gedanken auch auf die Opfer der aktuellen Kriege.

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Von dem Häftling Israel Arbeiter ist auf einem Plakat zu lesen: "Nach ein paar Tagen im Viehwaggon kamen wir in Deutschland an, an einem Ort namens Tailfingen." Zu sehen: angedeutete Figuren, die vereinzelt durch eine trostlose, elende Öde ziehen, kein Hoffnungsschimmer ist zu erahnen. Auf einem weiteren Plakat ist in hartem Schwarz-Weiß übergroß ein Hinterkopf abgebildet, darauf – auf Befehl? – verschränkte, abgearbeitete Hände. Das Zitat von Irving Wasserman dazu: "Man konnte nicht fliehen. Man konnte nirgends hingehen. Überall war Deutschland." 19 solcher Plakate hängen gerade in Bäumen auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen in der Nähe von Herrenberg.

Die Ausstellung wurde gestaltet von dem Fotografen Wolfgang Schmidt aus Ammerbuch. "Ich habe Zitate der Häftlinge ausgewählt und diese Zitate bebildert", erklärt Schmidt sein Vorgehen. Aber nicht mit Porträts der Männer, sondern symbolisch. Schmidt griff auch auf Fotos aus seinem Archiv zurück, verfremdete sie, überarbeitete sie beispielsweise mit Kohle. "Um die Stimmung der Zitate aufzunehmen und wiederzugeben." Die Zitate sind eindrücklich und entsetzlich, die bildnerische Gestaltung bewusst nicht schön, sagt Schmidt. Es bestehe also keine Gefahr, dass das Grauen ästhetisiert wird. Und durch die teils abstrahierten Motive gehen die Gedanken beim Sehen der Plakate fast automatisch zu den heutigen Kriegen – ob in Gaza, in der Ukraine, dem Jemen oder Syrien.

Den Auftrag für die Ausstellung gab der Verein KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen. Seit mehr als 20 Jahren kümmert sich der Verein darum, dass die Geschichte des KZ nicht vergessen wird – eine Arbeit, die den Initiatoren nicht immer leicht gemacht wurde (Kontext berichtete).

Im Herbst 1944 wurden 601 jüdische Männer in dieses Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof gebracht, um den dortigen Militärflugplatz auszubauen. Die Häftlinge, manche erst 16, 17 Jahre jung, hatten bereits in anderen KZ Lagerhöllen erlebt, kamen geschwächt an. Sie mussten in jenem Winter 1944/45 im Steinbruch arbeiten, bei Regen, Schnee und Kälte das Rollfeld ausbauen. In den nur drei Monaten, in denen das Lager existierte, starben nachweislich 189 Männer – durch die harte Arbeit, die schlechte Versorgung, die willkürliche Gewalt des Lagerpersonals. Als französische Truppen immer weiter vorrückten, wurde das Lager im Februar 1945 aufgelöst, die Häftlinge in andere Lager transportiert oder auf Hungermärsche geschickt.

Nach dem Krieg wurde die Flugzeughalle, in der die Häftlinge eingepfercht gewesen waren, abgebaut, das Rollfeld unterschiedlich genutzt, bis sich später ein Wäldchen ausbreitete. In diesem Wäldchen, der ehemaligen Start- und Landebahn, hat der Verein bereits vor Jahren einen Kunstpfad angelegt. Wolfgang Schmidt hat diesen nun erweitert, seine Bilder werden Teil der Dauerausstellung.

Der Fotograf ist nun gespannt, wie sich seine "Bilder in Bäumen" im Lauf der Jahreszeiten wandeln werden. "Jetzt spielt die Sonne durch die Blätter, es kommt der bunte Herbst, der trübe November – der Eindruck wird sich ständig verändern."


"Bilder in Bäumen" am Mahnmal der KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen. Der "Skulpturenpfad" beginnt einige Meter hinter dem Mahnmal für die 601 jüdischen KZ-Häftlinge. Der Abzweig zum Mahnmal ist an der Straße zwischen Gäufelden-Tailfingen und Gäufelden-Öschelbronn ausgeschildert.

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