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"Gemeinsam für Deutschland"

Nazis? "Ich sehe hier keine"

"Gemeinsam für Deutschland": Nazis? "Ich sehe hier keine"
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 Fotos: Jens Volle 

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Als Nazis sehen sie sich nicht, die am Samstag mit wehenden Deutschlandfähnchen durch Stuttgart marschiert sind. Angemeldet von der "Querdenken"-Szene, waren Kundgebung und Demo jedoch nach Rechtsaußen mehr als offen. Auch deswegen stellten Antifaschist:innen sich ihnen in den Weg.

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Zur Mittagszeit ist es ruhig am Stadtgarten, der am Campus der Stuttgarter Universität und der Hochschule für Technik angrenzt. Ein kleines Mädchen erfreut sich ob der bunten Blüten im Beet, junge Leute liegen auf der Wiese und genießen den Sonnenschein. Allein die zu Dutzenden aufgefahrenen Polizeitransporter, Gruppen von Frauen und Männern in Uniform auf der Schellingstraße vorm Park, die Barrikaden rund um diesen aufstellen, lassen ahnen, dass diese idyllische Ruhe bald gestört ist.

Zwei Stunden später stehen an jenem Samstag, 22. März, über 1.000 Menschen auf dem Platz, schwenken Deutschlandfähnchen und -flaggen, teilweise auch die russische, auch die weiße Friedenstaube auf blauem Grund ist häufig zu sehen. Angemeldet wurde die Kundgebung mit dem Titel "Gemeinsam für Deutschland" von zwei Gruppierungen aus der "Querdenken"-Bewegung. In allen deutschen Landeshauptstädten waren Demonstrationen dieser Art angemeldet. Angekündigt wurden sie mit Forderungen nach Grenzkontrollen und einem nicht näher definierten "Schutz der Bevölkerung", weder Geld noch Taurus-Raketen für die Ukraine zu schicken sowie "Wahrung der Meinungsfreiheit", die sie in der Regel nur in ihren eigenen Medien verorten, und "Schluss mit der Spaltung unserer Gesellschaft".

Die beiden ersten Redner auf dem Podium im Stuttgarter Stadtgarten – sie werden nur mit ihren Vornamen Andi und Ralf vorgestellt – sind treue Weggefährten von "Querdenken 711"-Gründer Michael Ballweg und häufige Gäste bei dessen noch laufendem Gerichtsprozess. Andi, er trägt ein T-Shirt aus Ballwegs Merch-Shop, verkündet die Auflagen und bemüht sich um Distanzierung: "Wir sind eine friedliche Bewegung, in der Extremismus, Gewalt, Antisemitismus und menschenverachtendes Gedankengut keinen Platz hat." Ralf, er begrüßt die Menge als "Freunde des Widerstandes", schimpft über die Politik: Den "Politikern der Altparteien" gehe es nur um ihre Posten, "das ist eine Einheitspartei SED 2.0 – egal, wen man wählt".

Am Ende steht ein als Uwe vorgestellter Mann auf der Bühne. Er wettert gegen das beschlossene Sondervermögen, redet von "einer Billion Euro" für "die ideologische Zerstörung unserer Wirtschaft" und schlägt vor, dass KI-Drohnen deutsche Grenzen überwachen sollten. Er spricht von "gleichgeschaltete Medien", die Öffentlich-Rechtlichen stehen besonders in der Kritik. Gerade in dem Moment läuft das SWR-Kamerateam um die Bühne, filmt ihn und die Menge. "Verpisst euch!", ruft einer aus der Menge in deren Richtung. Uwe kritisiert eine fehlende Meinungsfreiheit hierzulande, zu Unrecht hätten manche Medien die Demo in die Nazi-Ecke gestellt. Nazis? "Ich sehe hier keine", spricht er ins Mikrofon.

Reichsadler und Frakturschrift

Mit dieser Aussage leugnet der Redner auf der Bühne das Offensichtliche: junge Männer mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln mit weißen Schnürbändern sowie Menschen in T-Shirts, auf die Reichsadler oder das Eiserner Kreuz, "Wehrmacht" oder "Stalingrad 43" in Fraktur gedruckt sind. Drei Tage vor den bundesweiten Demos berichteten Tagesspiegel und ZDF über rechtsextreme Gruppen, die sich in ganz Deutschland seit Sommer vergangenen Jahres gründeten und vor allem auf junge Menschen abzielen. Die Verfassungsschutzbehörden einiger Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sehen Parallelen zu Nazi-Skinheads der 1990er-Jahre. Eine dieser neuen Gruppen ist "Der Störtrupp", etwa zwei Dutzend ihrer Mitglieder sind auch bei der Stuttgarter Demo. Ebenso vertreten: die "Unitas Germanica" und "Pforzheim Revolte", zwei Neonazigruppen aus dem Südwesten. Zusammengeschlossen im Internet, agieren sie inzwischen in der realen Welt, verbandelt sind sie mit der Partei "Die Heimat" (ehemals NPD) beziehungsweise deren Jugendorganisation "Junge Nationalisten". Die meisten der offensichtlich rechtsextremen Teilnehmer sind jung und männlich, einige augenscheinlich minderjährig.

Als Reaktion auf die rechte Querfront von Querdenken und Rechtsextremen rief "Stuttgart gegen Rechts" zum Protest, dem sich verschiedene antifaschistische Gruppen aus Baden-Württemberg anschlossen. Sie sammelten sich gegen 13 Uhr, eine Stunde bevor die rechte Demo begann, unweit des Stadtgartens am Börsenplatz. Dann ging alles schnell: Per Megafon wurden Infos und Anweisungen ausgerufen, die Antifaschist:innen strömten aus und umstellten den von Polizei und Barrikaden gesicherten Stadtgarten. Ihr Ziel: Die Wege aus dem Stadtgarten blockieren, den geplanten Demonstrationszug der Rechten verhindern.

Der setzt sich dennoch um 15 Uhr in Bewegung, die Polizei leitet ihn am Gewerkschaftshaus vorbei zur Theodor-Heuss-Straße. Die Querdenken-Leute vorneweg trommeln, die Männer des "Störtrupps" skandieren Phrasen wie "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!" oder "Kriminelle Antifa raus!" Beim Marsch vom Park auf die Schellingstraße beschimpfen sich Linke wie Rechte, zeigen sich gegenseitig Mittelfinger. Kurios: Demonstrant:innen beider Seiten rufen sich zeitweise gegenseitig zu: "Nazis raus!" – unablässig auch eine Frau der Querdenker-Nazi-Demo, während unmittelbar hinter ihr die Männer des "Störtrupp"-Blocks laufen mit extrem kurzen Haaren in schwarzen DST-Sweatshirts, unter ihnen ein junger Mann mit Reichsadler und 88 auf dem Pulli, der das White-Power-Zeichen zeigt. Eine andere Frau fühlt sich von den Antifa-Sprechchören ebenfalls nicht angesprochen: "Ich bin doch kein Nazi, ich bin mit einem Italiener verheiratet", teilt sie ihrer Mitmarschiererin mit.

Einen Teilerfolg erzielen die Linken trotzdem: Nur knapp eine Viertelstunde nachdem sich der rechte Zug in Bewegung setzte, kommt er auf der Theodor-Heuss-Straße schon wieder zum Stillstand. Antifaschist:innen ist es gelungen, vor und hinter dem Aufmarsch die Straßen zu blockieren. Es dauert gut eine weitere Viertelstunde, bis die Polizei entscheidet, den Zug durchs Hospitalviertel zur Liederhalle und von dort direkt wieder zum Stadtgarten zu leiten, dort endet die Demo frühzeitig kurz nach 16 Uhr. Zuvor stimmte eine Truppe Rechtsextremer dort noch die dritte Strophe des Deutschlandliedes an.

Rechte und Polizei loben die Polizei

Die Versuche der Antifaschist:innen, dem rechten Aufmarsch zuvorzukommen, scheitern. Am Hegel-Saal bei der Liederhalle wollen sie zu den Rechten durchdringen. Daraufhin schlägt ein Uniformierter einem Antifaschisten ins Gesicht, die Kollegen sprühen Pfefferspray und schlagen mit Knüppel die Antifaschist:innen zurück, dokumentiert von Kameras der Presse. Die Szene wird in den sozialen Netzwerken von den Rechtsextremen verherrlicht. "Gute Arbeit der Polizei heute! Die haben diese Faschisten von uns ferngehalten!", lautet der Begleittext eines Beitrags. "Sehr guter Polizist", lobt einer im Kommentarbereich.

Vor Ort waren unter den Beamten Sätze zu hören wie: "Das klappt alles nicht." Die Dynamik der Proteste hielten sie offenbar auf Trab. Die Behörde selbst zieht im Nachgang eine positive Bilanz. "Es ist uns gelungen, größere Zusammenstöße zwischen rivalisierenden Versammlungsteilnehmern zu verhindern und durch geschickte Wegeführung einen Aufzug doch zu ermöglichen", lässt sich der Pressesprecher Timo Brenner in einer Mitteilung zitieren. Schon bevor die Demonstrationen losgingen, kurz vor 13 Uhr, erhielt das Stuttgarter Präsidium warme Worte für ihren X/Twitter-Beitrag, der zwei Beamte des Anti-Konflikt-Teams vorstellt – und zwar vom eigenen Account. "Finde ich super, dass ihr allen zur Verfügung steht. Großes Lob an die Polizei Stuttgart!", schreibt die Polizei Stuttgart als Antwort auf ihren eigenen Beitrag. Dieser Fauxpas ist inzwischen gelöscht, die Polizei bat um Entschuldigung: Ein Mitglied des Social-Media-Teams habe versehentlich einen persönlichen Beitrag mit dem dienstlichen Account verfasst, erklärte sie und betonte: "Wir möchten darauf hinweisen, dass wir keine Fake-Accounts betreiben."

Wenig Lob haben dagegen die linken Demonstrant:innen für die Polizei übrig. Der Verein Demosanitäter begleitete den Gegenprotest, laut Pressemitteilung haben sie 32 Patient:innen behandelt, vier davon mussten an den Rettungsdienst oder ein Krankenhaus übergeben werden. Eine kritisch verletzte Person, "ärztlich festgestellt nicht vernehmungsfähig", sei dennoch erkennungsdienstliche behandelt und vernommen worden. Immer wieder hätten "Nazigruppen" versucht, über den Kundgebungsort am Börsenplatz zum Stadtgarten zu gelangen, schreibt "Stuttgart gegen Rechts" im Nachgang.

Rund 30 Demonstrierende nahm die Polizei vorläufig fest, sie wurden aber "nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen" wieder entlassen, teilt das Stuttgarter Präsidium auf Anfrage mit. Zwei Tage später sind der Behörde 40 Straftaten bekannt, darunter Vermummungen, Beleidigungen und Körperverletzungsdelikte, tätliche Angriffe und Widerstände gegen Beamte sowie ein Verstoß wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Die erfassten Zahlen seien allerdings nur eine Momentaufnahme, das Videomaterial werde derzeit noch ausgewertet. Dennoch weiß das Polizeipräsidium bereits: "Ganz überwiegend sind die bislang bekannten Straftaten den Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern aus dem linken Spektrum zuzuordnen."

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10 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Hartmann
    am 01.04.2025
    Antworten
    Witzig: Die deutsche Fahne, die auf den Bildern zu sehen ist, wurde von den NS und anderen Rechten aufs Heftigste bekämpft. Und die Fraktur hatten sie 1943 ("Stalingrad") auch schon selbst abgeschafft. Ich schlage vor, daß die Linken Schwarz-Rot-Gold und Frakturschrift massenhaft selbst verwenden;…
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