Die Selbstzensur ist das eigentliche Problem, weniger die tatsächliche Überwachung durch die Dienste: Entscheidend ist die Angst, die in den Köpfen entsteht. Wenn sich ganz subtil die Sorge einschleicht, vom Staat überwacht zu werden und man sich nicht mehr traut oder abwägt, was sage ich, was sage ich besser nicht, sich anpasst und im eigenen Kopf eine Art Meinungspolizei entsteht. Durch die Kraft der Projektion sind die Geheimdienste um ein Vielfaches mächtiger als sie es tatsächlich sind und tatsächlich sein könnten.
Steht dahinter die politische Absicht, eine Behörde zu instrumentalisieren, um abweichlerisches Verhalten klein zu halten und die eigene Vormacht abzusichern?
Das würde ich nicht in dieser voluntaristischen Sichtweise betrachten, sondern als zwangsläufigen Nebeneffekt eines jeden Geheimdienstes als Regierungs- und Herrschaftsinstrument. Wie dieses konkret zur Anwendung kommt, ist dann je nach System und Regierungsform unterschiedlich, ob in den USA oder Russland, der Türkei oder Deutschland. Und trotz Skandalen und besorgniserregender Entwicklungen bei ausufernden Überwachungsbefugnissen finde ich, haben wir hier noch eine vergleichsweise gute Kultur – aber die müssen wir jeden Tag aufs Neue erkämpfen.
Heißt das, die in Kommentarspalten vielfach bemühten Vergleiche zwischen Verfassungsschutz und Stasi sind völlig übertrieben?
Der Vergleich hat etwas Klebriges. Weil die Gesellschaftsordnungen verschieden waren und weil die Stasi in ihrer Arroganz meilenweit über dem gewesen ist, was wir aktuell in der Bundesrepublik bei den Diensten sehen. Hier sind die Rahmenbedingungen anders, also läuft auch die Überwachung anders. Aber das ist überhaupt kein Trost. Die Geheimdienste haben zwangsläufig eine Eigengesetzlichkeit, die ist über alle Systeme hinweg gleich ist. Wenn Sie ein Gewehr abfeuern, ist egal, ob sie das mit der rechten oder der linken Hand tun. Am Ende gibt es einen Schuss, Krach und Gestank.
Lässt sich das irgendwie in den Griff kriegen?
Das eigentliche Übel liegt im Spitzelwesen, wie nicht nur bei der Aufklärung des NSU-Skandals deutlich geworden ist. Denn wo es keine bezahlte Spitzeltätigkeit gibt, da ist auch jede Notwendigkeit eines in Geheimdienstbehörden organisierten staatlichen Verfassungsschutzes entfallen. Da reicht es, wenn die Polizei bei Verdacht auf Straftaten tätig wird, und nicht befürchten muss, dass Verfassungsschutzbehörden sie aus Angst, Quellen zu verlieren, nicht oder nicht vollständig informieren. Wie bei Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, die vorm Anrücken der Polizei gewarnt wurden und untertauchen konnten. Die betriebene Zusammenlegung von Verfassungsschutzbehörden macht dieses Unheil nur noch schlimmer. Der eigentliche Skandal der Geheimdienste ist, dass sich ihre Arbeit einer öffentlichen Kontrolle entzieht. Somit sind sie von vornherein missbrauchsanfällig und schon deshalb Demokratie-inkompatibel.
Also Thüringen folgen und V-Leute ganz abschaffen?
Das wäre sinnvoll, ja. Nur steht Thüringen mit diesem Schritt, zumindest jetzt noch, völlig alleine da.
2 Kommentare verfügbar
Fritz Meyer
am 21.03.2018So war das "Überspielen" von Datensätzen an andere Dienststellen, wenn eine…