Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern kostet den Steuerzahler pro Jahr fast eine halbe Milliarde Euro. Ich wage die Behauptung, dass der größte Teil dieses Geldes für die Beobachtung und die Verwaltung von "Anhaltspunkten" aufgewandt wird – inklusive des geheim gehaltenen Umfangs der Bezahlung der vielen Spitzel. Dabei sind die Ausgaben für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und den Bundesnachrichtendienst (BND) noch gar nicht mitgerechnet.
In der NSU-Affäre haben bei den Verfassungsschützern Heimlichkeit und Unverständnis für gesellschaftliche Entwicklungen kumuliert. Und die baden-württembergische Connection des NSU ist bisher übrigens keineswegs geklärt. Da ist Feuer im Dach.
"Gefährdungslagebild" zum Bauprojekt Stuttgart 21
Dass die Geheimdienste, im Ländle und auch unter der neuen grün-roten Regierung, weiter fleißig "Anhaltspunkte" sammeln, belegt die Fortexistenz des sogenannten Rahmenbefehls, in dessen Befolgung der baden-württembergische Verfassungsschutz Daten sammeln soll, damit das Landeskriminalamt ein alle drei Wochen aktualisiertes "Gefährdungslagebild zum Bauprojekt Stuttgart 21, insbesondere hinsichtlich entsprechender Versammlung und Protestformen, relevanter Veranstaltungen, potenzieller Störer sowie gefährdeter Personen und Objekte" erstellen kann. Alles legale Verhaltensweisen, die dort aufgezählt werden und die die Datenspeicher des Verfassungsschutzes und des polizeilichen Staatsschutzes füllen.
Das erklärt, warum meine Freude kurz und mein Schmerz lang ist: weil das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nur mit dem größten Unsinn Schluss gemacht hat, dass ein Parlamentsabgeordneter, dem auch vom Geheimdienst keinerlei extremistische Neigungen bescheinigt werden, nicht beobachtet werden darf. Eigentlich eine demokratische Selbstverständlichkeit. Und weil das Bundesverfassungsgericht es nicht gewagt hat, dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als einem Kampfbegriff vergangener Zeiten das Korsett der Meinungspolizei auszuziehen und auf den Schutz vor gewaltsamer Beseitigung zu reduzieren. Denn dafür haben wir die Polizei, und dafür brauchen wir keinen Geheimdienst mit dem euphemistischen Namen Verfassungsschutz, und Vorsicht, brauchen wir auch keine Polizei, die wie ein Geheimdienst arbeitet.
Aus diesem Grund haben drei Bürgerrechtsorganisationen im vergangenen Monat ein Memorandum für die Abschaffung des Verfassungsschutzes vorgestellt. Danach ist die Kontrolle geheim arbeitender Verfassungsschutzbehörden, die rechtsstaatlichen und demokratischen Ansprüchen genügt, nicht möglich. Auch Kontrollverbesserungen sind untauglich: Ein transparenter, voll kontrollierbarer Geheimdienst bleibt ein Widerspruch in sich. Der Verfassungsschutz ist nicht nur überflüssig, sondern auch schädlich für ein demokratisches Gemeinwesen. Das Vergessen seiner seit Begründung schier unendlichen Skandalreihe ist geradezu zur Existenzbedingung des Verfassungsschutzes geworden.
Grüne sollen auf Ströbele-Linie zurückkehren
Die Sozialdemokratie hatte in den 60er-Jahren ihren Frieden mit den Geheimdiensten gemacht, als sie selber nicht mehr Beobachtungsobjekt war. Die Grünen haben die gleiche Entwicklung noch gar nicht lange und nicht vollständig hinter sich. Und bei der Linken mit der dort zu findenden Staatsgläubigkeit bleibt abzuwarten, ob deren Distanz zu Geheimdiensten in dem Augenblick dahinschmelzen wird, in dem sie den Ritterschlag parlamentarischer Bündnis- und Regierungsfähigkeit erhalten und nicht mehr selbst beobachtet werden.
Nicht nur die baden-württembergischen Grünen sollten wieder an ihre frühere Position anknüpfen und für eine vollständige Auflösung des administrativen Verfassungsschutzes eintreten. Die von der Stuttgarter Landtagsfraktion inzwischen nur noch geforderte stärkere parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes ist verständlich, weil es hier in Stuttgart nicht einmal ein parlamentarisches Kontrollgremium gibt. Ein solches Kontrollgremium ist aber der untaugliche Versuch, dem Problem eines geheim arbeitenden Verfassungsschutzes beizukommen, wie das Beispiel der seit Jahrzehnten bestehenden Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) auf Bundesebene zeigt. Der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, Mitglied der PKK, hat im Namen der Bundestagsfraktion der Grünen die Forderung der Bürgerrechtsgruppen nach Auflösung des bestehenden Verfassungsschutzes unterstützt. Es bleibt zu hoffen, dass die nach Ansicht des Bundesgrünen notwendigerweise verbleibenden Restaufgaben nicht einen nur neu gewandeten Verfassungsschutz im Auge haben.
7 Kommentare verfügbar
Hazmat
am 21.10.2013Es ist bedrückend, daß die hier in den Kommentaren angesprochenen Schwierigkeiten beim Veröffentlichen kritischer Texte zum NSU-Komplex kaum mediales Echo finden - die ZEIT tut es (sinngemäß) mit "angeblicher Verschwörung der Medien" ab, ansonsten nehmen darauf nur ein halb Dutzend…