Dass die Exekutive Unschuldige als Kriminelle abspeichert, ist allerdings keine Neuigkeit, sondern seit langem gelebte Praxis. Bereits seit 1994 führt das Bundeskriminalamt (BKA) die "Datei Gewalttäter Sport", und um jahrelang in der zu landen, muss man kein Gewalttäter sein. Stattdessen genügt schon eine angebliche Straftat, zum Beispiel, dass man jemanden beleidigt haben soll oder auch schon ein Platzverweis. Selbst ein Gespräch mit einer vermeintlich verdächtigen Person kann ausreichen, um unter dem Etikett "Gewalttäter" abgestempelt zu werden.
Vergleichbare Dateien existieren inzwischen auch auf Landesebene. Dass es sie auch in Hamburg gibt, förderte erst 2016 eine Anfrage der linken Abgeordneten Christiane Schneider zu Tage. Noch 2014 hatte das Hamburger Landeskriminalamt öffentlich erklärt, neben der Möglichkeit, auf die Bundesdatei zuzugreifen, würde "darüber hinaus jedoch keine eigene Datei geführt." Keine Lüge, ein "Missverständnis", versicherten Sprecher der Behörde im Nachhinein, denn: Die Sportgewalt mache in der Hamburger Datei "lediglich einen Teilbereich aus", und tatsächlich existiere kein eigenes System, das nur Gewalt im Sport erfasst.
Soll heißen: Statt die Brandmarkung unbescholtener Fußballfans bleiben zu lassen, erweiterte die Politik die Praxis auf die Gesamtbevölkerung und speichert jetzt auch vermeintliche Gefährder der Inneren Sicherheit (über 1 100 000 Einträge zu knapp 110 000 Personen) oder angebliche Rauschgiftkriminelle (mehrere Millionen Vermerke zu fast 500 000 Personen). Die Zuschreibungen in solchen Systemen lauten unter anderem "geisteskrank" oder warnen vor "Ansteckungsgefahr". Dass ein solcher Eintrag überhaupt existiert, erfahren Betroffene in aller Regel nur dann, wenn sie bei den Behörden einen Antrag auf Selbstauskunft stellen.
Denzinger spricht von einer "Münchhausen-Datei"
Alfred Denzinger bekam erst Jahre später Kenntnis davon, dass er ein "linksmotivierter Straftäter" sein sollte, und wunderte sich vorher noch, warum ihn ein Beamter in einer routinemäßigen Personenkontrolle anstarrte, als säße da ein Terrorist vor ihm. Nach dem G20-Gipfel hat es sieben Wochen gedauert, bis die Behörden ihm ein fünfseitiges sogenanntes Begründungsschreiben vorlegten, in dem festgehalten ist, warum er ein zu großes Risiko für die Veranstaltung gewesen sei. Der Brief, sagt Denzinger, könne genauso gut "Münchhausen-Datei" heißen, die Anschuldigungen seien "lächerlich und erlogen, absolut dilettantisch". <link http: www.beobachternews.de bka-verunglimpft-mit-falschen-daten external-link-new-window>Auf den "Beobachter News" nimmt er detailliert Stellung. Selbst die heimische "Rems-Murr-Rundschau" fragt anlässlich des Falls entgeistert: "Wie kann eine als honorig geltende Behörde mit so haltlosen Vorwürfen hausieren gehen?"
Inzwischen haben Bundespresseamt und BKA in vier Fällen Fehler eingeräumt und sich bei betroffenen Journalisten entschuldigt. Denzinger gehört nicht dazu. "Und ich würde auch keine Entschuldigung annehmen", betont der 60-Jährige. Er verlange Aufklärung, wie solche Fehler zustande kommen, und fordert, dass alle fehlerhaften und rechtswidrig gespeicherten Einträge gelöscht werden. Gemeinsam mit acht ebenfalls betroffenen KollegInnen klagt er vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen die Bundesrepublik Deutschland. Ihr Anwalt rechnet allerdings nicht damit, dass es noch in diesem Jahr zu einer Verhandlung kommt.
3 Kommentare verfügbar
Jörg Tauss
am 17.09.2017