Zwei Journalisten wundern sich, warum genau sie gefährlich sein sollen. Chris Grodotzki und Alfred Denzinger sind mit einer Akkreditierung im Gepäck zum G20-Gipfel nach Hamburg angereist. Beiden wurde diese nachträglich entzogen, weil Sicherheitsbehörden plötzlich meinten, der freie Fotograf Grodotzki und der Chefredakteur der linken "Beobachter News" würden ein zu großes Risiko darstellen, als dass man ihnen den Zugang zum gut bewachten Medienzentrum gewähren könnte. Es lägen "Erkenntnisse" vor, so die spärliche Auskunft. Ansonsten gab es keine weitere Begründung für die Betroffenen, berichten diese. Vorbestraft ist keiner von ihnen.
Derweil bemüht sich Regierungssprecher Steffen Seibert, in der Bundespressekonferenz bei Journalisten und der Öffentlichkeit "dafür zu werben, dass Sie unseren glasklaren Erklärungen Glauben schenken". Denn er und seine Kollegen hätten sich inzwischen "so klar geäußert, dass eigentlich kein Misstrauen berechtigt ist." Bei der Entscheidungsfindung, Akkreditierungen zu entziehen, seien keine ausländischen Geheimdienste involviert gewesen und es gebe jeweils gute Gründe. Regierungssprecherehrenwort. Und sein Kollege Tobias Plate, Sprecher des Innenministeriums, ergänzt reichlich eloquent: Wenn jemand Fragen stellt, aber die Antworten darauf nicht glaubt, "dann ist natürlich der Sinn eines solchen Formats ein bisschen sinnentleert".
Datenschutz? Die Liste lag offen herum
Also bitte nicht zweifeln: Die Beschneidung der Pressefreiheit war notwendig und alternativlos. Während Seibert, als Chef des Bundespresseamts hauptverantwortlich für den Vorgang, das wortreich versichert, fällt ganz nebenbei ein entscheidender Satz: Er habe nach eigener Aussage "nicht die Kompetenz, Sicherheitsfragen selbst zu bewerten." Im Klartext bedeutet das wohl: Wenn der Verfassungsschutz (VS), das Bundeskriminalamt (BKA) oder der Bundesnachrichtendienst (BND) "gravierende Bedenken" vortragen gegen vermeintlich problematische Journalisten, dann wird diesen auch der Zugang zur Berichterstattung verweigert oder entzogen. Zumindest kann der Regierungssprecher auf Rückfrage eines Journalisten kein Beispiel dafür nennen, dass er sich in seiner siebenjährigen Amtszeit schon einmal über Einschätzungen der Sicherheitsbehörden hinweggesetzt hätte. In Hamburg habe er es "nicht verantworten können, die ernsthaften Hinweise und die dringenden Empfehlungen zu ignorieren."
Doch worin nun die konkrete Bedrohung bestanden haben soll, wird höchstens vage angedeutet. Wie aus Sicherheitskreisen durchdringt, sollen sich unter der Gruppe der vermeintlichen Gefährder ein Reichsbürger (wobei hier, <link http: www.tagesspiegel.de politik akkreditierungen-fuer-g20-gipfel-ndr-journalist-faelschlich-fuer-reichsbuerger-gehalten external-link-new-window>wie der "Tagesspiegel" berichtet, offenbar eine peinliche Verwechslung vorlag) und ein PKK-Sympathisant befunden haben. Andere seien verantwortlich für "schwerwiegende Straftaten", teilt Plate mit. Möglicherweise gebe es aber auch "ganz andere sicherheitsrechtliche Bedenken", sagt er, ohne das weiter ausführen zu wollen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen könne man die Vorwürfe in der Öffentlichkeit nicht weiter präzisieren.
In Hamburg war der Datenschutz sogar so wichtig, dass die Schwarzen Listen mit den Namen der Gebrandmarkten bei den Eingangskontrollen zum Medienzentrum offen herumlagen und für jedermann einsehbar waren. "Da hat man sich nicht einmal Mühe geben müssen", berichtet Grodotzki. "Besser gesagt: Es war sogar schwieriger, die Zettel zu übersehen". So verwundert es auch nicht weiter, dass Kollegen der ARD die Din-A4-Blätter problemlos abfilmen konnten und die Namen der Betroffenen nun diversen Redaktionen vorliegen. Warum diese aber im Einzelnen ausgesperrt wurden, ist weiterhin Gegenstand munteren Rätselratens.
"Ob das rechtmäßig war, muss in jedem Fall einzeln geprüft werden", kommentiert der Hamburger Verdi-Rechtsanwalt Wolfgang Kreider gegenüber Kontext. Einige der Betroffenen haben ihn bevollmächtigt, ihre Interessen gegenüber den Behörden zu vertreten, gegebenenfalls auch durch eine Klage. Bei Veranstaltungen der Bundesregierung, führt Kreider aus, gelte der Grundsatz der Gleichbehandlung: Die Zugangsbedingungen müssen für alle Journalisten gleich sein. "Aus sachlichem Grund kann eine Akkreditierung verweigert werden", sagt der Rechtsanwalt. Bislang lägen aber weder ihm noch seinen Mandanten konkrete Begründungen vor, wie der Entzug der Akkreditierungen gerechtfertigt werden soll. "Sobald da etwas kommt, prüfen wir das und klagen gegebenenfalls." Nach bisherigen Gesprächen mit seinen Mandanten sehe er jedenfalls "gute Erfolgsaussichten".
Anonym bleiben aus Angst vor Stigmatisierung
Nicht alle Betroffenen wollen mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit, zumindest nicht unter Klarnamen. Ein Fotograf aus dem Großraum Stuttgart möchte anonym bleiben, aus Angst vor Stigmatisierung. "Ich möchte ja nicht mit Reichsbürgern und Terroristen gleichgesetzt werden", sagt er im Gespräch mit Kontext. In der Vergangenheit seien zwei Verfahren gegen ihn angestrengt worden, nachdem er auf Demos festgesetzt worden war, davon aber beide ergebnislos eingestellt. Als Straftäter wurde er nie verurteilt. Ähnlich geht es Chris Grodotzki, der <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft adornos-spaete-kinder-1401.html internal-link-new-window>seine journalistische Laufbahn bei Kontext begonnen hat und in Hamburg für "Spiegel Online" akkreditiert war. Er habe "nicht den blassesten Schimmer, was die gegen mich vorbringen wollen." Im Gefängnis war er nur einmal – <link https: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand die-fronten-immer-im-fokus-2501.html internal-link-new-window>und zwar für 32 Stunden in der Türkei. Dort wurde ihm und zwei Kollegen vorgeworfen, terroristische Propaganda zu betreiben, nachdem sie aus einem kurdischen Krisengebiet berichteten. Mit dabei war damals auch Björn Kietzmann, der ebenfalls zum Kreis derer gehört, die in Hamburg ab Freitag draußen bleiben mussten, ohne dabei als Straftäter bekannt zu sein.
4 Kommentare verfügbar
Charlotte Rath
am 24.07.2017