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PKK. Terörizm. Propaganda.

PKK. Terörizm. Propaganda.
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Rein und raus aus der Zelle. Zum Verhör, zum Anwalt und zum Arzt. Der Fotojournalist Chris Grodotzki (25) erzählt, was es heißt, von der Türkei als Terrorist betrachtet zu werden. Er wurde, wie in Kontext berichtet, 32 Stunden auf der Polizeiwache in Diyarbakir festgehalten.

In einem engen Verhörraum im ersten Stock des Polizeipräsidiums von Diyarbakir, wahlweise Osttürkei oder Nordkurdistan, sitze ich auf meinem Stuhl. Es ist Samstagabend, der 11. Oktober 2014. Mir gegenüber ein Pflichtanwalt, umringt bin ich von drei türkische Polizisten. Keiner spricht Englisch, trotzdem reden alle auf mich ein. Der Übersetzer neben mir schweigt, er scheint nicht sonderlich erpicht darauf, seiner Profession nachzukommen. Mir wird ein Formular vorgelegt, ich soll unterschreiben, doch ich verstehe nicht, was. Ich lese die Worte "PKK. Terörizm. Propaganda." und schlucke, als der Übersetzer doch noch den Mund aufmacht und erklärt, dass das die Vorwürfe seien, wegen denen ich seit 20 Stunden in der Gewahrsamszelle einen Stock tiefer festgehalten werde. Und mit mir die zwei Fotojournalisten Ruben Neugebauer und Björn Kietzmann.

Tags zuvor schien noch alles in Ordnung. Zusammen mit meinen beiden Kollegen begleite ich einen Hilfstransport von Berlin bis an die türkisch-syrische Grenze. Da der Konvoi, den einige Leute aus Berlin privat über eine Crowdfunding-Kampagne auf die Beine gestellt hatten, wegen einiger Formalitäten im Südosten der Türkei festhängt, beschließen wir, uns ein Bild von der Lage in Kobanê und den türkischen Kurdengebieten zu machen. Wir fahren an die Grenze zu Kobanê, sehen die Rauchsäulen über der Stadt, die seit Wochen von den Kopfabschneidern des sogenannten Islamischen Staats (IS) belagert wird, sehen die türkischen Panzer, die an der Grenze aufgefahren sind, die Lage aber nur beobachten. Und wir sehen die Kurden, die an der Grenze warten, um wenigstens etwas Brot nach Kobanê bringen zu können, jedoch von türkischen Soldaten daran gehindert werden.

Wir fahren weiter nach Diyarbakir, in die inoffizielle Hauptstadt des türkischen Teils der Kurdengebiete. Seit Tagen gehen hier die Menschen auf die Straßen, um gegen die Blockadehaltung der Türkei zu demonstrieren, 30 Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Als wir an diesem 10. Oktober ankommen, sind die Proteste abgeflaut, nachdem der türkische Staat mit massiver Polizei- und Militärpräsenz in die Kurdengebiete eingerückt ist. Nachmittags dokumentieren wir das Begräbnis eines kurdischen Kämpfers, der in Kobanê gefallen war.

Am Abend machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Vereinzelt kreuzen wir verkokelnde Überreste brennender Barrikaden und leuchtende Reifenfeuer auf unserem Weg. Demonstranten schleppen Sofas auf die Straße, kippen Benzin auf die Barrikade, wir fotografieren. Zuschauer klatschen Beifall, kein Autofahrer hupt, alle drehen vor der Barrikade um und nehmen einen anderen Weg. Ein Panzerfahrzeug der türkischen Polizei rattert heran, verschießt Tränengasgranaten. Wir fotografieren und beschließen, uns zurückzuziehen. Als wir gerade um die nächste Ecke biegen, packt mich plötzlich jemand am Arm und beginnt mich auf Türkisch anzuschreien.

Um uns herum sammelt sich eine Menschenmenge. Manche schauen wütend, andere besorgt. Einer der Männer telefoniert. Kaum drei Minuten später fährt ein gepanzertes Fahrzeug vor, ein Wasserwerfer und ein ziviler Toyota-Geländewagen. Zuerst sind wir erleichtert, sind die Leute, die uns festhalten, doch offensichtlich weder IS-Sympathisanten noch türkische Faschisten-Schlägertrupps der Grauen Wölfe. Doch als wir am Polizeiwagen ankommen, werden uns die Presseausweise mit den Worten "Fuck Journalists" aus der Hand geschlagen. Ein Mann in Zivil, offensichtlich ein Polizist, geht immer wieder auf uns los. Das Einzige, was wir von seiner Schimpftirade verstehen, haben wir auch in Deutschland schon gehört: "orospu çocuğu" – Hurensöhne.

Wir werden an ein Auto gedrängt, müssen uns in einer Reihe aufstellen, Hände aufs Dach. Eine Lektion, die mich meine Arbeit als Journalist in sozialen Bewegungen schon häufiger gelehrt hat, scheint sich erneut zu bewahrheiten: Erleichterung beim Eintreffen der Polizei zu verspüren ist in den meisten Fällen unangebracht. Zunächst werden wir auf die Polizeiwache gebracht. Wir stehen mit dem Gesicht zur Wand, werden mehrfach durchsucht, fotografiert. Zwei englisch sprechende Polizisten verhören und versichern uns, dass es sich hierbei nicht um ein "Verhör" handeln würde. Dann endlich dürfen wir die deutsche Botschaft anrufen, wir informieren auch unsere Notfallkontakte in Deutschland. Danach geht's ins Krankenhaus, wo ärztlich bestätigt werden soll, dass wir unverletzt sind. Ich bin erleichtert. Der Polizei liegt wohl daran, dass wir unversehrt bleiben.

Unser Zellenblock hat weder Uhren noch Fenster, und so haben wir bereits jedes Zeitgefühl verloren, als wir am nächsten Tag unseren Pflichtverteidigern vorgestellt werden. Formular um Formular wird mir vorgelegt, mit der Aufforderung zu unterschreiben. Übersetzt von einem unwilligen Übersetzer, bestätigt von einem Anwalt, den ich seit wenigen Minuten kenne und der seine Aufgabe eher darin sieht, mich mitleidig anzugrinsen, anstatt mich über meine Rechte aufzuklären. Ich bin nicht bereit, etwas zu unterschreiben, was ich nicht verstehe. Schließlich wird mir gestattet, das Formblatt mit "Ich verweigere die Unterschrift" abzuzeichnen. Dann folgt der nächste Bogen, und die Debatte geht von Neuem los.

25 Stunden lang geht es rein und raus aus der Zelle. Zum Arzt, zum Anwalt, zum Verhör. Ich habe kaum Zeit, über die Vorwürfe nachzudenken, die von Mal zu Mal anders lauten: Terrorismus, Propaganda, Spionage, Aufwiegelung. Eigentlich wollte ich nur meine Eindrücke von Diyarbakir und der kurdischen Bewegung dokumentieren. Mir wird klar, dass die Rede des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hier im türkischen Hinterland auf fruchtbarem Boden gefallen ist. Einige Tage vor unserer Verhaftung hatte er in der Istanbuler Universität gesagt, dass eine Verschwörung "internationaler Mediengruppen" und "moderne Lawrences von Arabien" die Türkei und die ganze Region destabilisieren wollten. Dazu werden wir wohl auch gerechnet.

Als wir das nächste Mal geweckt und in den Verhörraum gebracht werden, wartet dort ein Anwalt der deutschen Botschaft. Wir würden morgen dem Staatsanwalt vorgeführt und danach abgeschoben werden. Ich hätte nicht gedacht, dass ich über eine Abschiebung mal glücklich sein würde. Während ich noch darüber nachdenke, platzt eine zweite Anwältin, Suzan Erik, in den Raum, sie sei informiert worden über ein Netzwerk internationaler Krisenberichterstatter. Während wir mit ihr über die Abschiebung und die damit verbundenen Probleme sprechen, erscheint ein weiterer Polizist im Raum. Er redet kurz mit den Anwälten und verschwindet wieder.

Suzan Erik eröffnet uns, dass wir "Glück" haben – wir sollen in die Ausländerbehörde verlegt werden. Keine Einzelzellen mehr, sondern "Abschiebehaft" im Aufenthaltsraum, wenig später werden wir bis zum Verhör am nächsten Tag auf freien Fuß gesetzt. Als wir unsere Zellen verlassen, liegt im Eingangsbereich bereits die nächste beschlagnahmte TV-Kamera. Wir können unsere Fotoausrüstung erst am Abend abholen.

Als wir draußen sind, merken wir, dass es vor allem das breite Medienecho war, das zu unserer Freilassung geführt hat. Es gab Solidaritäts-Demonstrationen, einen Hashtag, eine Internetseite für unsere Freilassung und sogar ein Spendenkonto bei Reporter ohne Grenzen. Die Freude ist groß, doch vor dem Verhör beim Staatsanwalt möchte ich noch schlafen. Es ist ein überraschend kurzes "Verhör": "Haben Sie Kontakt zur PKK oder anderen terroristischen Gruppen?" – "Nein." – "Sind Sie sich sicher?" – "Ja."

Damit ist die Abschiebung vom Tisch. Wir sind auf freiem Fuß und dürfen das Land verlassen. Die Anklagepunkte bleiben allerdings bestehen. Ob wir in Abwesenheit verurteilt und eventuell mit einer Einreisesperre belegt werden oder ob die Anklage einfach fallen gelassen wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall hatten wir als deutsche Journalisten und mit dem deutschen Medienecho mehr Glück als viele türkische und kurdische Kollegen.

Ein letzter Gruß der türkischen Polizei: Als wir das Gerichtsgebäude verlassen und die Zufahrt überqueren, kurbelt der dort positionierte Wasserwerfer das Schutzgitter vor seiner Frontscheibe herab und dreht in einer eindeutigen Geste die Wasserkanone auf uns.

 

Reporter ohne Grenzen hat ein Spendenkonto eingerichtet, um die drei Fotojournalisten hinsichtlich der Anwaltskosten zu unterstützen.

Das Spendenkonto:
Reporter ohne Grenzen
IBAN DE26100900005667777080
BIC BEVODEBB
Stichwort: freerubenchrisbjoern


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6 Kommentare verfügbar

  • Tillupp
    am 11.12.2014
    Antworten
    Was wir heute (11 Dec 2014) wissen ist, dass Chris Grodotzki (25) Glück hatte, dass er nur in den Terror-Fokus der Türkei geraten ist, und nicht terrorverdächtigt in die Hände der USA. In den USA wäre er nicht 3 Tage festgehalten worden, sondern 3-30 Jahre, und dabei auch noch systematisch…
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