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Auf zur Großmacht

Auf zur Großmacht
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Die Bundeswehr ist von einer "Verteidigungsarmee" zur "Armee im Einsatz" geworden. Das Ziel ist, Deutschland wieder als Weltmacht zu etablieren und im Kampf um Rohstoffe, Marktzugänge und Handelswege ganz vorne mit dabei zu sein. Sagt Jürgen Wagner, das geschäftsführende Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung.

Herr Wagner, Mitte November veranstalten Sie in Tübingen den Kongress "Deutschland: Wi(e)der die Großmacht!". Starker Titel.

Der Titel bezieht sich auf den seit Anfang 2014 von den deutschen Eliten – insbesondere von Bundespräsident Joachim Gauck – hinausposaunten Anspruch, eine ambitioniertere globale Rolle spielen zu wollen. Dabei wollen wir klarstellen, dass dieser Paradigmenwechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik von langer Hand geplant war: Über ein Jahr lang trafen sich etwa 50 Vertreter in dem Projekt "Neue Macht, neue Verantwortung", um sich über die Grundlagen einer neuen deutschen Machtpolitik zu verständigen. Darunter Vertreter von FAZ, "Zeit" und Daimler. Herausgekommen ist im September 2013 ein gleichnamiges Papier, das im Wesentlichen alle Elemente enthält, die Joachim Gauck in seiner Rede Anfang 2014 einer breiten Öffentlichkeit präsentiert hat.

Reden sind das eine, konkrete Politik ist das andere.

Den Entstehungsprozess dieses Elitenkonsenses herauszuarbeiten ist in der Tat nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen müssen wir darauf schauen, inwieweit sich dieser neue Kurs bereits praktisch niedergeschlagen hat. Wenn auch wesentliche Trends schon länger beobachtbar sind, so lässt sich aufzeigen, dass Deutschland in jüngster Zeit in einer ganzen Reihe von Konflikten noch vehementer als bisher bestrebt ist, mehr, wie es uns als Öffentlichkeit dann verkauft wird, sogenannte Verantwortung zu übernehmen und weltweit aktiver mitzumischen.

Was soll falsch daran sein, als Land "mehr Verantwortung" in der Welt zu übernehmen?

Zunächst einmal ist der Begriff total schwammig. Klar, Deutschland könnte – und sollte – Verantwortung für eine ganze Menge Dinge übernehmen. Ansätze dafür gäbe es wahrlich genug: Das Land bleibt seit fast 45 Jahren etwa weit unter seiner Zusage, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben, zurück. 2013 waren es gerade einmal 0,38 Prozent. Zusammen mit der neoliberalen Außenwirtschaftspolitik und der Rolle als drittgrößter Waffenexporteur der Welt ist Deutschland damit für Armut und Chaos in vielen Teilen der Welt maßgeblich mitverantwortlich.

Frieden schaffen ohne Waffen ...

Anstatt dieser Verantwortung tatsächlich gerecht zu werden und an den hierzulande liegenden Ursachen für dieses Leid anzusetzen, hat man stets aufs Neue nur zwei vermeintliche "Lösungen" zur Hand. Da wird zum einen die Festung Europa immer besser abgeschottet, um den Preis, dass seit dem Jahr 2000 mindestens 23 000 Menschen beim Versuch, nach Europa zu flüchten, ihr Leben verloren. Das sind Zahlen aus der Amnesty-Studie "The Human Cost of Fortress Europe" von diesem Jahr. Und dann wird zum anderen mit stierem Tunnelblick immer wieder behauptet und – vergeblich – zu beweisen versucht, dass für die "Lösung" von Konflikten militärische Mittel unverzichtbar seien. Obwohl die Bilanz internationaler Militäreinsätze klar und deutlich aufzeigt, dass sie ein großer Teil des Problems und nicht die Lösung sind. Man schaue sich nur die heutige Situation in Libyen an.

Das lesen wir so eher selten ...

Im Gegenteil. Hierzulande wird die Meinung verbreitet, die politische Klasse wüsste, was sie tut, was mir angesichts der katastrophalen Bilanz der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik völlig unverständlich ist. Der Publizist Peter Bürger hat diesbezüglich kürzlich auf Telepolis eine sehr treffende "<link http: www.heise.de tp artikel _blank>pazifistische Polemik" veröffentlicht, in der er fordert, den Eliten diesen Vertrauensvorschuss endlich zu entziehen. Es sei, so Bürger sinngemäß, nachweislich schlicht nicht möglich, mittels immer weiterer Gewalt die Einhaltung von Menschenrechten sicherzustellen.

Der Schutz von Menschenrechten ist ein hehres Ziel.

Natürlich orientiert sich diese Kritik grundsätzlich an dem, was offiziell vorgeblich erreicht werden soll. Der Schutz von Menschenrechten muss ja nahezu überall als Legitimation für Militäreinsätze herhalten. Es ist richtig, die Regierung an der Erreichung beziehungsweise Nichterreichung ihrer vorgeschobenen Argumente zu messen: Dies öffnet den Blick dafür, dass es bei der ganzen Übung nicht um hehre humanistische Ziele geht, sondern um blanke Großmachtpolitik, für die aber einer Militäreinsätzen skeptisch gegenüberstehenden Bevölkerung andere Gründe untergejubelt werden müssen. Will sagen: Die Propaganda der Eliten als Lüge zu entlarven ist die notwendige Voraussetzung für eine dringend erforderliche fundamentale Grundsatzkritik der hiesigen Kriegspolitik.

Wie müssen wir uns diese Kritik vorstellen?

Schaut man sich das Papier "Neue Macht, neue Verantwortung", das als Verständigungsgrundlage und Elitenkonsens für die künftige deutsche Außen- und Sicherheitspolitik fungiert, einmal genauer an, so springt einem daraus ein recht nassforsch formulierter – militärisch unterfütterter – Weltmachtanspruch auf nahezu jeder Seite entgegen. Da wird etwa kritisiert, Deutschland sei derzeit nur "Weltmacht im Wartestand", werde künftig jedoch mehr "führen müssen". Genauso werde Deutschland "eigene Interessen und Werte deutlich(er) artikulieren müssen", dies erfordere jedoch zwingend "mehr militärischen Einsatz und mehr politische Führung." Im Klartext: Wer nicht mitkämpft, hat auf dem internationalen Parkett auch nichts mitzureden. Und: Die Interessen der Eliten werden immer als "unsere" ausgegeben, kodiert und propagandistisch kommuniziert. Was neu ist, sind vor allem die Vehemenz und Aggressivität, mit welchen derlei Interessen zurzeit angegangen und umgesetzt werden, um – die Eliten würden sagen: endlich! – Deutschlands weltpolitischen Aufstieg zu ermöglichen. Dabei sollte man sich von der ganzen Verantwortungsrhetorik, die uns als Bürgern entgegenkommt, auf keinen Fall Sand in die Augen streuen lassen. Sie ist lediglich dazu da, den machtpolitischen Kern des eigentlichen Handelns zu verdecken, die wahren Interessen also zu verschleiern.

Nehmen wir das Beispiel Ukraine: Inwiefern realisieren sich hier ganz konkret die deutschen "Großmachtallüren"?

Zunächst lässt die deutsche Außenpolitik keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass Deutschland sich als eine, wenn nicht gar die Führungsmacht der Europäischen Union versteht. Sie war von Beginn an etwa maßgeblich daran beteiligt, die sogenannte Europäische Nachbarschaftspolitik auf den Weg zu bringen, über die die angrenzenden Länder fest in eine großeuropäische Wirtschafts- und Einflusszone integriert werden sollen. Dies geschieht dabei vor allem über sogenannte Assoziationsabkommen, mit denen Nachbarländer faktisch bei Unterzeichnung der EU angegliedert werden. Allerdings nicht als voll mitspracheberechtigte Mitglieder, sondern als untergeordnete Investitions- und Absatzmärkte, als Niedrigsteuerländer und verlängerte Werkbänke.

Ein solches Abkommen gibt es mit der Ukraine. Und weiter.

Das Abkommen lag bereits 2012 unterschriftsreif vor. In der damaligen Regierung von Wiktor Janukowitsch setzte sich dann aber – vollkommen zu Recht – die Auffassung durch, das Abkommen werde sich wirtschaftlich extrem nachteilig auswirken. Dies führte dann zur Entscheidung im November 2013, den Vertrag auf Eis zu legen. Was danach kam, ist bekannt: Unmittelbar darauf setzten die vom Westen und auch von Deutschland massiv unterstützten Maidan-Proteste ein. Die Führung dieser Proteste übernahm ein Dreierbündnis, an dem unter anderem die Partei Udar des ehemaligen Box-Weltmeisters Vitali Klitschko beteiligt war. Klitschko kann hier eindeutig als deutscher Interessenvertreter identifiziert werden: Seine Partei wurde überhaupt erst von der Konrad-Adenauer-Stiftung ins Leben gerufen und maßgeblich von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) finanziert.

Ein Klitschko allein ...

Als Nächstes reisten deutsche Politiker auf den Maidan und forderten relativ offen den Sturz des gewählten Präsidenten Janukowitsch und drängten darauf, Klitschko als neuen Machthaber in Kiew zu installieren. So besuchte etwa Elmar Brok (CDU/EVP), der einflussreiche Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, Ende 2013 die Ukraine, um seine Solidarität mit den Maidan-Protesten zu bekunden. Danach äußerte er sich unverblümt, wie seine Wunschvorstellung aussehen würde: "Dem Präsidenten fehlt [...] der Mut, er scheut davor zurück, Russland entgegenzutreten. [...] Den besten Dienst würde er seinem Land erweisen, wenn er jetzt den Weg für Neuwahlen freimachen würde. [...] Vitali Klitschko hat das Zeug, bei der nächsten Wahl spätestens 2015 Staatspräsident der Ukraine zu werden."

Das Ende von Janukowitsch kennen wir, den Misserfolg von Klitschko aber auch.

Janukowitsch wurde im Februar 2014 unter Gewaltandrohung aus dem Land gejagt, und es kam unter maßgeblicher Beteiligung faschistischer Kräfte zur Bildung einer illegalen Übergangsregierung, die von Deutschland auch unmittelbar anerkannt wurde. Richtig ist zwar, dass sich die USA zunächst durchgesetzt haben, indem sie Klitschko aus der Übergangsregierung herausgehalten und die wesentlichen Posten mit Vertretern der ihnen nahestehenden Vaterlandspartei von Julia Timoschenko besetzt haben. Das hat zeitweise zu heftigen Streitereien zwischen Berlin und Washington geführt, wie die berühmt gewordene "Fuck the EU"-Aussage der hochrangigen US-Diplomatin Victoria Nuland belegt. Aber bei den vorgezogenen Neuwahlen am 25. Mai 2014 gelang dann Klitschko eine Art Comeback. Der Exboxer warf seinen Hut hinter den späteren Gewinner Petro Poroschenko, ist jetzt Bürgermeister von Kiew und bereitet sich auf einen erneuten Anlauf für höhere Ämter und Würden vor.

Sie vermuten einen Generalstabsplan dahinter.

Im Kern geht es darum, dass man Russland als Ordnungsmacht in der Ukraine und der ganzen Region ablösen will. Ein Umstand, der im Übrigen auch bereits im Papier "Neue Macht, neue Verantwortung" angesprochen wurde. Und damit lange vor all den vermeintlichen Gründen, die nun vorgeschoben werden, um mehr deutsche "Verantwortung" zu rechtfertigen. Dort steht: "In Europas südlicher und östlicher Nachbarschaft muss die EU als regionale Ordnungsmacht Stabilität und gute Regierungsführung anstreben – und dabei nicht nur auf Regierungen zielen, sondern auf Zivilgesellschaften. [...] Deutsche Außenpolitik wird sich weiterhin der gesamten Palette der außenpolitischen Instrumente bedienen, von der Diplomatie über die Entwicklungs- und Kulturpolitik bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt." Und eben solchen Bestrebungen stellen wir uns entschieden entgegen. Diese neue Rolle Deutschlands in der Welt wollen wir nicht.

 

Jürgen Wagner (40), Historiker und Politikwissenschaftler, ist geschäftsführender Vorstand der Tübinger Informationsstelle Militarisierung und Redaktionsmitglied der Zeitschrift "Wissenschaft und Frieden".

Das Projekt "Neue Macht, neue Verantwortung", inklusive kompletter Teilnehmerliste, <link http: www.swp-berlin.org fileadmin contents products projekt_papiere deutaussensicherhpol_swp_gmf_2013.pdf _blank>hier als PDF-Dokument.

Der Kongress "Deutschland: Wi(e)der die Großmacht!" findet vom 14. bis 16. November 2014 im Schlatterhaus in Tübingen statt. Das Programm gibt es <link http: www.imi-online.de imi-kongress-2014-deutschland-wieder-die-grossmacht _blank>hier.


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4 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 23.10.2014
    Antworten
    Aus niederen persönlichen Beweggründen führt man ein Volk So bewusst in den Krieg bzw in die Spaltung. Eliten verkaufen mittels Leitmedien die eigenen Interessen als Interessen des Volkes. Aus der Geschichte nichts gelernt. Im Gegenteil, unsere habgierigen Eliten ziehen aus der Geschichte ihre…
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