KONTEXT:Wochenzeitung
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Friedenstaube aus Feinstahl

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"Wir wollen nicht die Waffenexporteure dieser Welt sein", sagt Roman Zitzelsberger, Chef der IG Metall in Baden-Württemberg – während die Betriebsräte der Rüstungsbetriebe weiter auf Exporte setzen und die Bundesregierung Waffen in den Nordirak liefert. Solche Ausfuhren seien "höchst problematisch", so Zitzelsberger. Peschmerga-Kämpfer oder Länder wie Saudi-Arabien dürfen keine Waffen aus Deutschland bekommen. Deutsche Arbeitsplätze sollen dabei aber keine verloren gehen.

Herr Zitzelsberger, haben Sie selbst gedient?

Ich war nicht bei der Bundeswehr, sondern freigestellt im erweiterten Katastrophenschutz. Aber ich habe Anfang der 90er Jahre als Jugendsekretär der IG Metall Gaggenau Kriegsdienstberatung gemacht und dadurch einige Verweigerungen geschrieben. Ich hätte wahrscheinlich ebenfalls verweigert, wenn das Thema für mich eine Rolle gespielt hätte.

Wie beurteilen Sie als Quasi-Kriegsdienstverweigerer, dass jetzt Waffen in den Nordirak geliefert werden?

Ich halte das für höchst problematisch. Wir haben uns in Deutschland in den letzten Jahrzehnten bewusst dafür entschieden, uns in solche kriegerischen Auseinandersetzungen nicht mit Waffen einzumischen. Es wäre schon problematisch genug, die Waffen an den Staat Irak zu liefern, sie jetzt aber einer bestimmten Gruppe zur Verfügung zu stellen, überspannt den Bogen. Womöglich findet man diese Waffen in ein paar Monaten wo ganz anders, als da, wo man glaubte, Gutes damit zu tun.

Da sprach der Privatmann Zitzelsberger, was sagt der Gewerkschafter Zitzelsberger?

Der Gewerkschafter sagt, dass wir als IG Metall derzeit keine abgestimmte Position haben. Aber ich glaube, dass wir uns da einig sind: Wir wollen nicht die Waffenexporteure dieser Welt sein, wir wollen nicht in Krisengebiete Waffen liefern. Was mir allerdings Sorgen macht, ist die Vermengung dieser kurzfristigen Fragestellung mit den mittel- und längerfristigen Fragen zur Zukunft der deutschen Rüstungsindustrie. Das muss man trennen, weil es zwei unterschiedliche Fragestellungen sind, wenngleich sie natürlich zusammenhängen. 

Von wie vielen Beschäftigten in Baden-Württemberg reden wir denn?

Bundesweit sind etwa 80 000 bis 100 000 Menschen von der Rüstungsindustrie abhängig, auf Baden-Württemberg dürften in etwa ein Viertel davon entfallen. Das ist aber schwierig zu sagen, weil die meisten Unternehmen Mischkonzerne sind, die auch zivile Produkte herstellen. 

Sie sprechen sich auf der einen Seite entschieden gegen Waffenexporte aus, vertreten aber andererseits rund 25 000 Beschäftigte, die auch von Ausfuhren abhängig sind. Wie schaffen Sie diesen Spagat? 

Das ist natürlich ambivalent. Aber das Schrumpfen der angestammten Märkte - nämlich Bundeswehr, NATO und direkte Verbündete - darf nicht dazu führen, dass man sein Heil im Export dieser Produkte in die ganze Welt sieht. Das ist auch die Haltung der Betriebsräte in der Branche. Wir brauchen aber eine klare Aussage der Bundesregierung, wie viel Wehr- und Sicherheitstechnik die Bundeswehr und die Verbündeten brauchen, und welche Rolle die deutsche Rüstungsindustrie dabei spielt. Sollte es in der Branche in Zukunft weniger zu tun geben, darf das nicht zulasten der Arbeitsplätze gehen. Wir brauchen dann ein klares industriepolitisches Konzept zur Konversion. Das ist für die Firmen leichter, die heute schon zivile Produktionsbereiche haben, wie beispielsweise Funktechnologie im Flugverkehr. Für klassische Waffenproduzenten ist das natürlich ungleich schwieriger.

Sie sagen, ihre Linie entspreche der der Betriebsräte. Diese sprachen in einem Brief an Sigmar Gabriel aber eindeutig davon, dass die Rüstungsindustrie auf Exporte angewiesen sei. Da drängt sich der Eindruck auf, dass die Betriebsräte durchaus dafür einstehen, die Exporte eben nicht zurückzufahren.

Der Satz lautete im Ganzen: "Wir sagen schon lange, dass Export kein Allheilmittel ist und sein kann, aber ohne Export ist die Industrie nicht überlebensfähig." Das ist ein Teil dessen, was ich sage. Wir brauchen aber klare Grenzen. Um ein Beispiel zu nennen: Man kann sich nicht politisch entscheiden, Saudi-Arabien Panzer zu verkaufen, weil sie gerade besonders viel Öl liefern. Und wenn es dann plötzlich Konflikte gibt, an denen Saudi-Arabien beteiligt ist, liefert man aus moralischen Gründen nicht mehr. Die Grenzen der IG Metall sind sehr viel enger gefasst als das, was man in der politischen Diskussion gerade hört.

Wie passt es dann dazu, dass Ralf Bergschneider, Betriebsrat bei Krauss-Maffei Wegmann, nach dem Gespräch mit Sigmar Gabriel davon redet, dass sich die Sicherheitslage hierzulande jederzeit ändern könne, Deutschland weiter exportieren müsse und Russland eine Bedrohung sei? 

Ich kenne den Kollegen nicht und weiß nicht um seine persönliche Betroffenheit. Und ich kann dem einzelnen Kollegen auch nicht den Mund verbieten. Als IG Metall sind wir in unserer Grundhaltung aber sehr klar: Wir sind ein Teil der Friedensbewegung, wir wollen weniger Rüstung und weniger Rüstungsausgaben. Aber Deutschland ist auch Teil eines internationalen Verbunds, der ein Interesse an seiner eigenen Sicherheitslage hat. Dafür braucht man nun mal ein gewisse Ausstattung. Zudem müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es auf der Welt kriegerische Auseinandersetzungen gibt, bei denen die Bündnispartner gefragt sind. Eine Welt ohne Waffen und mit viel Frieden ist natürlich eine schöne Vorstellung, aber nicht die Realität.

Realität ist auch, dass letztes Jahr 62 Prozent der Ausfuhren in Länder wie Saudi-Arabien gingen. Sie sprachen in diesem Zusammenhang von den engen Grenzen der IG Metall. Was bedeutet das konkret?

Aus meiner Sicht besteht der Markt aus der Bundeswehr, den NATO-Partnern und noch ein paar weiteren befreundeten Staaten. Beispiele kann ich Ihnen da aber keine nennen. Staaten wie Saudi-Arabien oder Katar sind damit aber sicher nicht gemeint.

Die SPD setzt sich nicht erst seit gestern dafür ein, Rüstungsexporte zu beschränken, das ist schon seit 2001 der Fall. Hätte die IG Metall diese Debatte nicht schon viel früher anstoßen müssen?

Der Arbeitskreis Wehrtechnik, in dem sich die Betriebsräte treffen, hat schon 2012 den Vorschlag gemacht, einen Branchenrat Wehr- und Sicherheitstechnik zu gründen, der die Rolle der Industrie und die Fragen der Alternativen klärt. Diesen Vorstoß gibt es also schon seit einiger Zeit. Allerdings muss ich offen sagen, dass wir als IG Metall bei der Konversionsdebatte schon weiter waren als wir es jetzt sind. Wir sind da durchaus selbstkritisch, wir haben diese Diskussion teilweise selbst vernachlässigt.

Wie viele Arbeitsplätze stehen ihrer Ansicht nach auf dem Spiel?

Das ist schwer zu sagen. Aber seit der Jahrtausendwende ist in der europäischen Sicherheitstechnik jeder vierte Arbeitsplatz verloren gegangen. Ich würde schätzen, dass es sich so fortentwickelt.

Schaut man sich die Zahlen an, ging es der deutschen Rüstungsindustrie in den letzten zehn Jahren ausgesprochen gut. 2013 ist der Wert der Exporte sogar um 25 Prozent gestiegen. Und dennoch fiel jeder vierte Arbeitsplatz weg.

Wir reden hier von einer hochtechnologisierten Industrie. Im Automobilbau haben wir ähnliche Entwicklungen. Man muss also trennen zwischen den Arbeitsplätzen, die wegen der technologischen Entwicklung oder der Produktivitätsentwicklung weggefallen sind und jenen, die durch die Schrumpfung der Märkte verloren gingen. Das macht auch deutlich, dass das keine Frage ist, die man von heute auf morgen beantworten kann. Das Interessante an der Branche ist, dass wir durchgehend Beschäftigte mit hohen Qualifikationen haben, die im Regelfall High-Tech-Produkte herstellen. Heckler&Koch etwa stellt feinmechanische Hochpräzisionsprodukte her, mit denen man auch andere Dinge als Waffen herstellen kann. Das muss man langfristig sehen. Auf so einem Weg kann man auch Beschäftigung sichern. Der ein oder andere Arbeitsplatz wird aber trotzdem verloren gehen, da mache ich mir nichts vor.

Wie wollen Sie diesen hochqualifizierten Mechanikern erklären, dass sie ein anderes Produkt herstellen sollen? Unterschätzen Sie da nicht den Produzentenstolz? 

Man darf das nicht darauf reduzieren.. Die Frage ist, was die einzelnen Stärken des Unternehmens sind. Wenn diese beispielsweise in der Feinmechanik liegen, klingelt bei mir Werkzeugbau oder Präzisionsmaschinenbau im Ohr. Das muss natürlich immer zueinander passen. Die Menschen haben natürlich diesen Produzentenstolz, das ist ja zunächst auch nicht verwerflich. Dieses Können auf zivile Produkte umzustellen ist kein Prozess, der von heute auf morgen geht, insofern müssen sich die Menschen auch nicht kurzfristig emotional darauf einstellen.

Gibt es dazu Rückmeldungen aus den Betrieben, dass die Beschäftigten bereit sind, diesen Weg zu gehen?

Wenn die Alternative ist, morgen keinen Arbeitsplatz mehr zu haben, werden die Menschen diesen Weg selbstverständlich mitgehen. 

Eine andere Alternative wäre, zu den Heckler&Koch-Niederlassungen im Ausland zu wechseln. Dort stellt die Firma nämlich auch Waffen her und verdient damit gutes Geld. Was sollte denn der Anreiz der Unternehmen sein, diese Konversion durchzuführen?

Die Margen in der Rüstungsindustrie sind sehr hoch, deswegen werden die meisten dieser Unternehmen natürlich versuchen, in den Bereichen zu bleiben, in denen sie viel Geld verdienen. Deswegen braucht die Konversion eine politische Flankierung, viel Überzeugungskraft, aber auch einen gewissen Druck. Die Konversionsdebatte ist keine sozialromantische Debatte, es geht um die Fragen, ob es in Zukunft die Anzahl der Arbeitsplätze, das technische Know-How und die Betriebe noch gibt oder nicht.

Haben Sie Hoffnung, dass bei Heckler&Koch so ein Umdenken einsetzt?

Das ist natürlich das schwierigste Beispiel. Allerdings hatte Heckler&Koch in seiner Geschichte schon einmal einen Maschinenbau-Sektor, der Anfang der 90er Jahre abgegeben wurde. Dort weiß man also schon, dass so ein Weg gar nicht so einfach ist. Da werden die Widerstände mit Sicherheit nicht gering sein. Aber ich kann nur nochmal wiederholen: Die Frage ist, was wird die Alternative sein? Wenn man deutlich weniger Produkte verkaufen darf, muss man sich nach Alternativen umgucken. Ansonsten wäre die Logik, dass es dort weniger Arbeitsplätze gibt, und das wollen wir auf keinen Fall. 

Heckler&Koch ist kein humanitärer Verein, deren Waffen sind in allen Krisengebieten dieser Welt zu finden. Wieso sollte sich ausgerechnet diese Firma darum scheren, ob in Oberndorf 1000 Menschen mehr oder weniger einen Job haben?

Wir haben es hier mit Kapitalunternehmen zu tun, die von sich aus im Zweifel nichts tun werden. Deshalb muss es klare Ansagen seitens der Politik und von uns gegeben. Im Kapitalismus ist es nun mal so, dass man nichts geschenkt bekommt, sondern um seine Positionen kämpfen muss.


Roman Zitzelsberger (47) ist schon fast sein gesamtes Berufsleben Gewerkschafter. 1989 kam der bei Daimler ausgebildete Maschinenschlosser zur IG Metall Gaggenau. 1996 wurde der Badener zum 2. Bevollmächtigten und im Dezember 2003 zum 1. Bevollmächtigten in Gaggenau gewählt. Seit Dezember 2013 ist er Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Zitzelsberger ist SPD-Mitglied, von 2009 bis Mai 2014 saß er im Gemeinderat von Bietigheim/Baden.


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5 Kommentare verfügbar

  • Menne
    am 01.09.2014
    Antworten
    Jetzt ist es amtlich. Deutschland liefert Waffen an den Nordirak. Vollmundig wird von unseren Politikern, in betroffener Einigkeit mit unserem Mainstream Journalismus dem Volk verkündet, dass man es sich "nicht leicht gemacht habe", dass die "besondere Situation im Nordirak dies erfordere" und das…
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