Badra Yahia Lahssen sitzt in einem kleinen Lokal in Velika Kladuša. Die EU scheint hier zum Greifen nahe, das Zentrum des bosnischen Grenzorts ist nur zwei Kilometer von Kroatien entfernt. Badras Heimatland ist Algerien. Doch vor etwa einem Jahr hat sie sich auf den Weg nach Europa gemacht.
"Ich konnte so nicht leben", sagt die 27-Jährige und hält sich demonstrativ mit beiden Händen den Mund zu. Achtmal ist Badra in Algerien bereits verhaftet worden. Achtmal sollte ihr wegen politischer Äußerungen der Prozess gemacht werden. Beinahe im Vierwochentakt trudelten im Jahr 2018 gerichtliche Schreiben bei ihr ein. Mal wurde ihr die Teilnahme an einer regierungskritischen Demonstration und das Verteilen von Flyern vorgeworfen, mal Präsidentenbeleidigung und mal die öffentliche Kritik an der Regierung. "Sie haben mich sogar ins Gefängnis gesteckt, als ich kritisch über einen lokalen Politiker geschrieben habe. Vor einem Jahr war das", sagt sie. In Algerien bestimme der, der zahle, wer verhaftet werde. Und so habe auch der Lokalpolitiker die Polizei bezahlt.
Dank guter Anwälte, die ihr von Freunden und durch Spenden ihrer Facebook-Follower finanziert wurden, konnte sie einer längeren Gefängnisstrafe entgehen und sich befreien. "Mich hat das aber motiviert, das Land zu verlassen. Ich will da leben, wo es eine gute Regierung gibt", sagt sie.
Die Proteste gegen die Regierung in Algerien dauern bis heute an. Aktuell steht der Vorwurf der Manipulation bei den Präsidentschaftswahlen am 12. Dezember im Vordergrund. Zur Wahl waren EU-Wahlbeobachter nicht einmal zugelassen. Badra beteiligt sich online an den Protesten. Daher wird die junge Frau auch jetzt wieder polizeilich gesucht. Ihr folgen derzeit mehr als 7000 Menschen auf Facebook – zusätzlich zu ihren knapp 4000 Facebook-Freunden. Und dabei ist das lediglich ihr Ersatzprofil in den sozialen Medien.
"Mein eigentlicher Facebook-Account wurde gehackt", sagt sie. Über ihr Profil verbreitet sie ihre politische Meinung: Mal ausformuliert in längeren Texten, mal mit einem Foto, das eher spaßig ihre Meinung zu bestimmten Politikern zum Ausdruck bringt. Auf einem Foto etwa hält sie deren Fotos demonstrativ in einen Gullydeckel.
Als Frau beim Film? "Haram" in Algerien
Schweigen möchte Badra ganz eindeutig nicht. Auch im Gespräch in Velika Kladuša findet sie klare Worte und schaut selbstbewusst in die Runde, obwohl sie sich hier als einzige Frau außer ihrer Interviewerin in einem Raum voller Männer befindet. "Ich will frei sein", erklärt sie auf die Frage, wieso sie sich nicht wie andere Frauen in Schutzhäusern und Unterkünften für Frauen und Familien aufhalte.
Doch nicht nur die Meinungsfreiheit bereitete ihr in ihrem Heimatland Schwierigkeiten. Ihr ursprüngliches Studium (Physik) brach Badra ab, um ihren Traum zu verfolgen. Kunst hat sie studiert, mit Schwerpunkt auf Film. "Das gilt bei uns als haram", sagt sie, was so viel heißt wie: Es ist sozial geächtet. Auf die Frage, ob das eine Regel sei, die nur für Frauen gelte oder für alle Geschlechter, schaut sie beinahe erstaunt: "Männer dürfen das natürlich." Das Studium jedenfalls hat sie beendet. Nur arbeiten durfte sie in ihrem Heimatland nicht in ihrem Traumberuf.
Sie lächelt, als sie ihn ausspricht: "Filmemacherin." Und ihre Augen leuchten, als sie von dem Werk spricht, das sie sofort umsetzen würde, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte: Eine Dokumentation würde sie drehen, eine über die Schönheit der Sahara. "Aber ich weiß, dass es auch in Europa schwer ist, in dem Bereich einen Job zu finden", sagt sie dann und schaut nachdenklich in ihre Kaffeetasse. "Inshallah", fügt sie hinzu. So Gott will, werde sie es schaffen. Aktuell hat sie in Europa noch keine neue Heimat gefunden.
In Bosnien erlebt sie Rassismus – und Hilfsbereitschaft
In Velika Kladuša sind Menschen mit dunklerer Hautfarbe, die sichtbar nicht aus der Gegend stammen, in Läden und Restaurants nicht willkommen. Nur in dem kleinen Lokal, in dem das Gespräch stattfindet, dürfen sie ein- und ausgehen. Und hier dürfen sie sogar dann im Warmen sitzen, wenn sie kein Geld haben, um etwas zu trinken oder zu essen zu kaufen. Der Besitzer des Restaurants möchte allerdings in keinem Artikel mehr erwähnt werden, da mediale Aufmerksamkeit ihm politische Probleme verschaffen könnte. Auch Rechtsradikale statten hier denen, die "promigrantisch" eingestellt sind, öfter mal einen Besuch ab, verrät ein Helfer, der bei dem Gespräch in Hörweite sitzt.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!