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Die letzte Fahrt

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Die Zahl der Flüchtlinge aus dem Balkan steigt seit Monaten massiv an. Die wenigsten dürfen allerdings bleiben. Wer nicht freiwillig geht, der wird von den Behörden in die Heimat zurückgebracht – einmal im Monat auch per Sammelabschiebung vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden.

Der Ort, wo die Hoffnung begraben wird, liegt in der badischen Prärie. Im Nirgendwo zwischen der französischen Grenze und dem Kurort Baden-Baden sitzt der Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden. Von dem ehemaligen kanadischen Militärflughafen lassen sich Urlauber nach Agadir in Marokko fliegen oder nach Barcelona in Spanien. Einmal im Monat startet von hier aus auch eine Maschine in den Balkan – um Flüchtlinge in ihr Heimatland abzuschieben.

Dienstag, 24. Februar 2015. Ein Reisebus aus Pforzheim fährt durch das Tor am Terminalzugang. "Bewegende Momente" steht in roter Schrift auf dem blauen Gefährt. Es hält zwischen der grauen, flachen Abflughalle und den Polizeibussen, die dicht an dicht in einer Reihe geparkt sind. Auf der anderen Seite des Zaunes stehen zehn Demonstranten. "Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall", rufen sie. "No border. No nation. Stop deportation!" Sie haben zwei weiße Transparente aufgehängt: "Wir sind gegen eure Abschiebung. Ruft an", steht darauf in Serbisch, darunter die Notrufnummer des Freiburger Forums Aktiv gegen Ausgrenzung. Es ist 11.30 Uhr. Am Nachmittag soll eine Maschine Flüchtlinge aus der ärmsten Region Europas zurückbringen, nach Belgrad in Serbien und Skopje in Mazedonien.

Für all diejenigen ist hier Endstation, denen keine Behörde helfen wollte, kein Gericht, kein Petitionsausschuss, keine Härtefallkommission. Doch die Hoffnung, nicht zurückzumüssen in eine Heimat ohne Zukunft, bleibt bis zuletzt. Denn bis dahin ist noch alles möglich. Sie können immer noch von der Passagierliste gestrichen werden. "Die Flüchtlinge haben die Chance, dass sie noch kurz vor dem Abflug runtergenommen werden", sagt der Leiter der Flughafenpolizei, Horst Brenner. Eine einstweilige Verfügung vom Verwaltungsgerichtshof könne den Asylbewerber noch vor der Abschiebung bewahren. In dem Moment, in dem der Flieger abhebt, ist der Kampf mit den Behörden jedoch vorbei – und die Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland zumindest vorerst zerstört.

In den vergangenen Monaten hat die Zahl der Asylbewerber aus dem Balkan deutlich zugenommen. So kam im Januar bundesweit mittlerweile mehr als jeder dritte Antragsteller aus Ländern wie Serbien. Doch die allerwenigsten Menschen vom Balkan dürfen in Deutschland bleiben. Sie werden nicht als politisch verfolgt angesehen, als Menschen, die in ihrer Heimat um Leib und Leben fürchten müssen. Im Januar wurden bundesweit 3392 Asylanträge von Serben entschieden. Alle wurden abgelehnt. Wer nicht freiwillig geht, der wird von den Behörden zurückgebracht. Seit November wurden allein 137 Menschen aus Baden-Württemberg mit Sammelabschiebungen vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden in den Balkan geflogen. Im Jahr 2014 waren es 234 gewesen. Statt im Schnitt alle sechs Wochen geht nun einmal im Monat ein Flieger. Aktuell leben nach Angaben des Innenministeriums in Baden-Württemberg mehr als 13 000 Ausländer, die aufgefordert sind, auszureisen.

Ob ein Asylbewerber, dessen Antrag abgelehnt wurde, abgeschoben wird, entscheidet das zuständige Bundesland. Nach dem politischen Streit um die erzwungene Ausreise einer siebenköpfigen Familie aus Freiburg nach Serbien hat die Landesregierung vergangene Woche Leitlinien für die Entscheidungen veröffentlicht. Doch der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg zeigt sich damit nicht zufrieden. Am 6. März soll es nach Angaben der Organisation ein Treffen mit dem Innenminister geben. "Die Hoffnung ist, über Spielräume zu diskutieren", sagt Andreas Linder, der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.

Am Zaun des Sonderterminals im Flughafen hängen Plakate der Demonstranten. Über dem "Nix wie weg" von L'Tur steht nun "Grenzenlose Härte – stoppt den Rassismus". Neben Palmen, Sonne und Traumstrand von Thomas Cook ist "Grenzen auf für alle Flüchtlinge" zu lesen. "Ich hoffe, dass die Welt offener wird für alle Menschen", sagt Denise Schlindwein. Die angehende Lehrerin aus Karlsruhe krallt die Finger in den Metallzaun. Ein Mitglied der Libertären Gruppe Karlsruhe hatte sich zuvor für den "kompletten Stopp aller Formen von Abschiebungen" ausgesprochen. Schlindwein mit ihren rötlichblonden Haaren und dem Lippenpiercing sagt: "Ich finde, die Zeiten für Menschenhass sind vorbei."

Seit Ende der 90er-Jahre schiebt Baden-Württemberg Menschen vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden in ihr Herkunftsland ab. Dabei kommen mehr als die Hälfte nicht aus Baden-Württemberg, sondern aus anderen Bundesländern, wie Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen. Für die Abschiebung mieten die Behörden Reisebusse. Polizisten holen die Asylbewerber aus ihrer Unterkunft ab und bringen sie zum Baden-Airpark. Das Sonderterminal getrennt von der normalen Abflughalle garantiert einen "reibungslosen Ablauf" der Abschiebungen, wie das Regierungspräsidium Karlsruhe mitteilt. Der Flughafen im Nirgendwo entzieht sich der öffentlichen Wahrnehmung.

Die Flüchtlinge wissen, dass ihnen die Abschiebung droht – nur wann, wissen die wenigsten. In Einzelfällen erhalten sie vorher den Termin, beispielsweise damit Familien doch noch freiwillig ausreisen. Allerdings tauchen Asylbewerber auch immer wieder unter oder schlafen nachts an anderen Orten, um der Abschiebung zu entgehen.

Plötzlich ruft ein junger Demonstrant, Schlindwein läuft los. Mitstreiter haben einen Reisebus auf der anderen Seite des Terminals blockiert, etwa 200 Meter weiter. Acht Polizisten in Schwarz stehen acht Demonstranten gegenüber. Der weiße Bus aus Dresden fährt langsam weiter. Ein Polizist schubst einen jungen Mann mit Dreadlocks auf den Gehweg, packt eine junge Frau am Arm. "Nazis morden, der Staat schiebt ab. Das ist das gleiche Rassistenpack", brüllen die Demonstranten. "Gehen Sie von der Straße runter", motzt ein Polizist mit rotem Gesicht. "Wir machen unsere Arbeit." Die Gruppe bewegt sich langsam vorwärts. Die Demonstranten weichen zurück. An der nächsten Kreuzung biegt der Bus ab und fährt auf einen Parkplatz.

"Sollten wir uns davorsetzen?" fragt ein Demonstrant eine Kameradin. "Wir sind zu wenig, oder?" Das Gelände ist weitläufig, es gibt mindestens zwei Zufahrten zu dem Sonderterminal. 20 Demonstranten sind schnell weggetragen. In jedem der Reisebusse fahren Polizisten mit. Insgesamt 114 Flüchtlinge aus sechs Bundesländern wie Sachsen, Bayern und dem Saarland werden an diesem Tag zum Flughafen gebracht. Es spricht sich herum, dass die Polizei deutlich gemacht hat: Wenn ihr blockiert, dann räumen wir.

Das Regierungspräsidium Karlsruhe prüft bei jedem Asylbewerber, der ausreisen muss, es aber nicht tut, ob er aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden kann. Das Innenministerium Baden-Württemberg verweist in seinen Leitlinien für Abschiebungen auf gesundheitliche Probleme, auf familiäre Gründe, wie eine bevorstehende Geburt oder eine Beerdigung, den Abschluss einer Ausbildung, einen langjähriger Aufenthalt und ein Gerichtsverfahren, solange noch nicht klar ist, ob der Asylbewerber ausreisen muss. Bei einer Familie aus Langenargen wurde kürzlich die Abschiebung ausgesetzt. Das Asylverfahren des Vaters ist noch nicht abgeschlossen. Die Frau hätte mit den Kindern allein ausreisen müssen.

Der Flüchtlingsrat kritisiert das Papier des Innenministeriums: "Unserer Einschätzung nach sind die Leitlinien dazu da, die Politik, die gemacht wird, zu legitimieren, nämlich Abschiebungen zu intensivieren", sagt Geschäftsführer Andreas Linder. Die bestehenden Spielräume, um Abschiebungen zu verhindern, würden nicht genützt. "Die Frage ist, wird verantwortlich und genau auf Abschiebungshindernisse geprüft?", sagt Linder. Bei der Freiburger Familie sei letztlich eine kranke Frau mit ihren kranken Kindern abgeschoben worden. Der Flüchtlingsrat fordert zudem, dass Menschen bei drohender Armut und Obdachlosigkeit nicht abgeschoben werden. Das Innenministerium verweist darauf, dass die Situation im Herkunftsland vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge überprüft wird. 

Für Freitag hat der Flüchtlingsrat nach eigenen Angaben gemeinsam mit anderen Organisationen eine Einladung vom Innenminister – ein Novum, wie Linder sagt. Er hofft auf ein Gespräch über die Rückführungen in den Kosovo. Das Innenministerium bestätigt zwar die Gesprächsidee, will sich aber nicht zu dem Termin und den geplanten Inhalten äußern. Linder kritisiert die von der Landesregierung geplanten Schnellverfahren für kosovarische Flüchtlinge. Innerhalb von zwei Wochen soll künftig über deren Asylbegehren entschieden werden. "Das ist mindestens unrealistisch, wenn nicht rechtsstaatlich hochgradig fragwürdig", sagt Linder. 

Ein dritter Reisebus steht an der Zufahrt auf das Terminalgelände im Flughafen, davor eine Handvoll junger Frauen mit einem Transparent in Schwarz und Gelb: "Refugees welcome." Die Vorhänge im Bus sind zugezogen. Es sind nur Schatten zu erkennen.

"Sie sind hier in Ihrer Funktion. Wir sind hier in unserer Funktion als Zivilbürger", sagt die Aktivistin Jana Goldgräbe zu einem Polizisten. "Wir wollen niemandem was tun." Sie wirkt klein und zierlich. "Wenn ihr blockiert, wird es schwierig", sagt der Mann und verweist sie an seinen Chef. Goldgräbe, 23 Jahre alt, will mit den Flüchtlingen im Bus sprechen. Dann werde sich die Gruppe Demonstranten auch zurückziehen, verspricht sie. Der stellvertretende Leiter der Flughafenpolizei, Martin Ehinger, sagt: "Ihr habt Jahre Zeit gehabt, mit denen zu reden, nicht heute am Abflugtag." Goldgräbe versucht noch einmal ihr Glück, bittet um ein kurzes Gespräch, nur im Bus. Ehinger gibt nach: "Sie reden kurz, dann ist der Bus frei." Goldgräbe nickt. Eine Polizistin tastet sie ab, nimmt ihr die Jacke ab, dann darf sie einsteigen. Drinnen sagt sie zu den Flüchtlingen: "Wir haben uns vor den Bus gestellt und versucht, es aufzuhalten. Es tut uns leid. Wir wünschen euch alles Gute." Danach erzählt sie ihren Freundinnen, dass die ungefähr zehn Menschen im Bus "supertraurig" gewesen seien und "voll in die Leere gekuckt" hätten. Es seien relativ viele junge Erwachsene gewesen.

Um 12.20 Uhr rollen Goldgräbe und ihre Leute die Transparente ein, Schichtwechsel. Eine halbe Stunde später werden sie von anderen Demonstranten abgelöst. Die stellen sich an den Zaun hinter den Polizeibussen. Kinder, Frauen, Männer steigen aus, stehen mit Rucksäcken, Koffern und karierten Plastiktragetaschen herum. Polizisten weisen ihnen den Weg. Die Aktivisten rufen: "Woher kommt ihr? Wie heißt ihr? Wie heißt euer Anwalt?"

Ein Mann antwortet, es klingt wie "Weiblin". Die Polizisten führen ihn weg. Später erzählt ein Mitglied des Freiburger Forums, der Eilantrag eines Mannes gegen seine Abschiebung sei noch um 14.34 Uhr abgelehnt worden.

Um kurz vor vier hebt das Flugzeug mit den 114 Flüchtlingen ab. Die Hoffnung auf ein besseres Leben bleibt zurück.


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3 Kommentare verfügbar

  • Freiburger Forum
    am 26.08.2015
    Antworten
    Erneut Sammelabschiebung (24.08.) vom Baden-Deportation-Airport.

    „Historische Verantwortung wahren – Humanitäres Bleiberecht für Roma“ – unter diesem Motto protestierten am heutigen Montag das Freiburger Forum und Menschen aus Karlsruhe erneut am Baden-Deportation-Airport gegen eine…
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