Ines Schiller ist eine jener internationalen HelferInnen, die nicht wegschauen wollen. Die österreichische Sozialdemokratin hat Kopflampen mitgebracht in den äußersten Nordwesten von Bosnien, ins Lager Vučjak, das die Stadt Bihac auf einer ehemaligen Mülldeponie errichtet hat, nachdem ihr offizielles Lager völlig überfüllt war. Die Lampen sind hoch begehrt, weil die Suche nach der grünen Grenze gefährlich ist. Wer in der Umgebung des Lagers unterwegs ist, hat immer eine Karte in der Hand, auf der eingezeichnet ist, wo Minen aus dem Bosnienkrieg liegen könnten.
Wer auf- oder besser: ausbrechen will, will im Dunkel bleiben. Im Schutz der Nacht machen sich Abend für Abend Männer auf ins "Game", wie sie sagen, und versuchen, EU-Territorium zu erreichen. Die Erfolgsaussichten sind verschwindend gering, viel wahrscheinlicher ist, von kroatischen Polizisten jenseits der Grenze gefasst zu werden. Geschlagen, beraubt und gedemütigt kehren die allermeisten zurück, was dem eigenen Elan und dem anderer, es wieder zu versuchen, keinen Abbruch tut.
So viel zum Thema Pull-Faktor und die inzwischen vielerorts unerwünschte Anziehungskraft reicher EU-Ländern auf Menschen aus Staaten wie Syrien, Afghanistan oder Pakistan, über den bürgerliche/christdemokratische PolitikerInnen im warmen mitteleuropäischen Büro so gerne philosophieren. Jenen, die in Vučjak festsitzen, kann nichts und niemand das Verlangen nach einem besseren Leben ausreden.
Für 4500 Euro ist der Weg nach Europa frei
"Wer Geld hat, kommt sowieso durch", berichtet Ines Schiller. Taxis im acht Kilometer entfernten, 60 000 Einwohner zählenden Bihać bringen Flüchtlinge für 4500 Euro an die Grenze. Die Posten schauen weg, ebenso kroatische Polizisten. Die Mittellosen müssen sich, wenn sie gefasst werden, in einer Reihe aufstellen, Schuhe oder Rucksäcke werden ihnen abgenommen, verbrannt, Handys zerstört. Und dann geht es zurück über die Außengrenze, nicht ohne Schläge und Tritte. Mit Striemen, mit Schnitt- und Platzwunden oder gebrochenen Armen kommen die Geschundenen zurück ins Ambulanzzelt auf der Müllhalde.
2 Kommentare verfügbar
Brigitte Augspurger
am 05.10.2019