Boris Johnson würde wohl lieber tot im Graben liegen als Brüssel nochmals um Aufschub für den Brexit zu bitten. Mit seiner Hau-Drauf-Politik in Sachen EU-Austritt riskiert der konservative britische Premier aus Sicht seiner Kritiker, das einst glorreiche Vereinigte Königreich vollends in Chaos und Verderben zu führen. "To leave?" oder "Not to leave?" zum 31. Oktober dieses Jahres, als "No-Deal" oder vertraglich geregelt, das ist die Frage, deren Beantwortung dies- und jenseits des Ärmelkanals dramatische Folgen haben wird. Selbst in so unverfänglichen Angelegenheiten wie internationalen Städtepartnerschaften.
Hierzulande zählt Stuttgart zu den Städten, denen der Brexit einen Strich durch bislang fruchtbare Freundschaften machen könnte. Die baden-württembergische Landeshauptstadt unterhält gleich zu zwei britischen Großstädten diese besondere Beziehung: zu der Industriestadt St. Helens in Nordwest England mit rund 106 000 Einwohnern; und mit Cardiff, der Hauptstadt von Wales mit 335 000 Einwohnern.
Beide Partnerschaften trugen nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Teil zu Völkerverständigung und Frieden in Europa bei. Sie gehören auch zu den ältesten Freundschaften, die europaweit auf kommunaler Ebene bestehen.
So begann die erste Städtepartnerschaft mit einem Informations- und Goodwill-Besuch britischer Kommunalpolitiker in Stuttgart: Vom 27. August bis 4. September 1948 war Walther Marshall, damaliger Oberbürgermeister von St. Helens, als erstes britisches Stadtoberhaupt in Stuttgart zu Gast. Im Zweiten Weltkrieg war die Landeshauptstadt durch alliierte Bombenangriffe zu großen Teilen zerstört worden. Betroffen vom Zustand der Stadt bot Marshall Lieferungen von Fensterglas aus St. Helens, dem Zentrum der englischen Glasmanufakturen, an.
Einst Pionierarbeit für europäische Einigung
Aus dieser Geste entwickelten sich freundschaftliche Beziehungen, die zu Stuttgarts erster offizieller Städtepartnerschaft führten: Marshall und der damalige Stuttgarter Oberbürgermeister Arnulf Klett hoben damit eine der ersten derartigen deutsch-britischen Kommunalbeziehungen aus der Taufe. Dass damit wichtige Pionierarbeit für die europäische Einigung geleistet wurde, zeigt sich auch daran, dass die Verbindung Stuttgart – St. Helens zu den ersten zehn Städtepartnerschaften zählt, die in Europa überhaupt geschlossen wurden. Als erste konkrete Maßnahme beschlossen die neuen Partner einen Schüleraustausch. "Bereits ein Jahr später kam die erste Schülergruppe aus St. Helens nach Stuttgart. Eine Tradition, die bis heute gepflegt wird", beschreibt die Stadt Stuttgart die Gründung.
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