Beamtenmikado ist eine in Brandenburg sehr beliebte Lebens- und Arbeitsform. Sie zeitigt zwar nicht immer die erhofften Erfolge in Sachen Aufschwung, hat sich aber, getreu dem Motto "Wer sich nicht bewegt, fliegt auch nicht raus", sehr bewährt, und hat so manches Problem ganz von alleine erledigt. Die baldige Eröffnung des BER zum Beispiel oder der hoffnungslos überlastete Bahnübergang, der die schöne Stadt Brandenburg/Havel seit vielen Jahren vom Vorort Wust trennt und Autofahrer zum Wahnsinn treibt: Man wartet einfach so lang, bis der Missstand zum Alltag gehört und kein Hahn mehr nach einer Lösung kräht.
Nun haben wir hier demnächst aber ein handfestes Problem. Es sind die Landtagswahlen am 1. September und die Strategie des Aussitzens gilt selbst unter hartgesottenen Brandenburgern nicht mehr als probates Mittel. Obwohl es gewichtige Gründe gibt, so ziemlich allen antretenden Parteien die rote Karte zu zeigen, was jedem Wahlverweigerer allerdings eine blaue Nase bescheren dürfte (um in der Farbmetaphorik zu bleiben). Oder anders formuliert: Wer nicht wählt, wählt die AfD. Indirekt natürlich.
Dieses Problem haben meine Brandenburger Freunde und ich auch erkannt, als wir uns anlässlich meines Geburtstags diesbezüglich unsere demokratischen Hirne zerbrachen. Herausgekommen ist natürlich nichts, denn das Problem ist einerseits komplex und andererseits nicht wirklich erheiternd. Also nicht geburtstagstauglich.
Fakt ist allerdings: Die AfD erhebt hierzulande die Landtagswahl zur Schicksalsfrage über den Sinn oder Unsinn der Wiedervereinigung. Mit Slogans wie "Vollende die Wende" wanzt sie sich ran an die legendär gewordenen "Abgehängten" und reklamiert so den Alleinvertretungsanspruch all derer, die "die Schnauze voll" haben von der "Lügenpresse", "denen da oben", "denen im Westen" und überhaupt. Die Botschaft ist simpel und lautet: Die AfD ist Allheilmittel und die originäre Wende-Partei.
Schau einer an: Ein Sozi wanzt sich an die AfD ran
Was natürlich hanebüchener Unsinn ist, denn die Vereinigung erfolgte erstens nicht unter Mitwirkung der AfD und zweitens nicht im Hinblick auf die Verwirklichung ihrer Ziele. Außerdem gab es die AfD Anfang der 90er noch gar nicht, so dass es von einer ziemlichen Dreistigkeit zeugt, die Ereignisse von vor dreißig Jahren für sich zu verbuchen. Der in München geborene Andreas Kalbitz, der gemeinsam mit Björn Höcke zum ultrarechten Flügel der AfD gerechnet wird und jetzt als brandenburgischer Spitzenkandidat auftritt, zählte 1989 gerade mal siebzehn Lenze und war strammes CSU-Mitglied. Für den reiferen Wessi wie meinen Mann und mich ist es jedenfalls ein schockierendes Déjà vu, ausgerechnet hier und heute mit dem "Freiheit oder Sozialismus"-Slogan eines Franz Josef Strauß' konfrontiert zu werden. Das hat schon etwas Zombiehaftes.
1 Kommentar verfügbar
Helga Stöhr-Strauch
am 25.08.2019Zwischenzeitlich haben sich die damaligen Bürgerrechtler in Brandenburg/Havel zu Wort gemeldet und folgenden Leserbrief veröffentlicht:
Leserbrief: Nicht mit uns - Gegen den Missbrauch der Friedlichen Revolution 1989 im Wahlkampf
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Leserbriefe
Erstellt: 25.08.2019 / 13:02…