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Rechte Liebesgrüße aus Paris

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Jenseits des Rheins regiert der rechtsextreme Front National (FN) bereits auf kommunaler Ebene. Auf die Machtergreifung in französischen Rathäusern reagieren deutsche Partnerstädte unterschiedlich. Die Skala reicht von Bedenken bis Boykott.

Die Glückwünsche kamen zeitnah per Kurznachricht: "Es wurde möglich, was gestern noch unmöglich war: Die Patrioten der AfD fegen die Merkel-Partei hinweg. Meine Glückwünsche!", twitterte Marine Le Pen, die Vorsitzende des rechtsextremen französischen Front National, nachdem erste Hochrechnungen den Triumph der hiesigen Rechtspopulisten bei der jüngsten Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern bestätigten. Doch nicht überall kamen die Liebesgrüße aus Paris gut an. Dass mit dem Front National eine Partei, deren Gründer den Holocaust leugnet, als Erstes der AfD gratuliert, fand etwa Martin Schultz (SPD) sehr bedenklich. Die AfD-Spitze müsse sich von diesen Geschichtsverfälschern distanzieren, forderte der Präsident des Europäischen Parlaments. Wohl wissend, dass dies nicht passieren wird. "Diese Leute sitzen mit den FN-Leuten in einer Fraktion", schildert Schulz den Schulterschluss, den Rechtspopulisten und Rechtsextreme inzwischen über Landesgrenzen hinweg üben.

Nicht nur in Berlin und Brüssel erregte die Fanpost aus Frankreich die Gemüter. Auch abseits der großen Politik löste sie Besorgnis aus. Etwa im Rathaus von Rastatt, bei Oberbürgermeister Hans Jürgen Pütsch. "Ich halte es für problematisch, dass sich solche Kräfte solidarisieren", sagt das Oberhaupt der badischen Residenzstadt. Pütsch, der ein CDU-Parteibuch besitzt und seit Ende 2007 an der Spitze der 50 000-Einwohner-Stadt südlich von Karlsruhe steht, interessiert sich schon von Amts wegen für die Rechtsaußen der Grande Nation: Seit 1965 unterhält Rastatt eine Städtepartnerschaft zum südfranzösischen Orange im Département Vaucluse, und dort regiert seit dem Jahr 1995 mit Bürgermeister Jacques Bompard einer der führenden Rechtsextremisten des Landes: Anfang der Siebzigerjahre gründete der heute 73-jährige Zahnchirurg zusammen mit Jean-Marie Le Pen den Front National.

Rastatts Partnerstadt Orange verweigert Aufnahme von Flüchtlingen

Zwar verließ Bompard Ende 2005 die FN, um sich kurz darauf dem rechtskonservativen Mouvement pour la France anzuschließen, einer nationalkonservativen und EU-skeptischen Partei. 2010 trat er aus dieser aus und gründete mit der Ligue du Sud eine eigene Partei. Auch sie wird dem rechtsextremen Parteienspektrum zugeordnet, was sich in ihren Publikationen widerspiegelt: Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel zählt dort zu den Topthemen, neben Patriotismus, innerer Sicherheit sowie der Bewahrung eines christlichen Familienbilds.

In Orange äußert sich Bompards langjähriges Wirken in zwiespältiger Weise. Mit einem rigorosen Sparkurs drückte er den Schuldenstand der 30 000-Einwohner-Stadt auf nahezu null. Mit aufgerüsteter Gemeindepolizei und flächendeckender Videoüberwachung sorgte er für sinkende Kriminalitätsraten. "Ich habe den Eindruck, er hat Orange auch touristisch vorangebracht", sagt sein deutscher Kollege Pütsch anerkennend. Immer mehr Touristen kommen nach Orange, um das römische Amphitheater zu besichtigen, das als eines der größten und schönsten seiner Art gilt.

Doch Bompard und der von der Ligue du Sud kontrollierte Gemeinderat machten auch zweifelhafte Schlagzeilen. Etwa im Dezember 2009, als das Gremium verfügte, dass bei Hochzeiten im Rathaus und in der angrenzenden Umgebung nur die Trikolore und keine ausländischen Flaggen gehisst werden dürfen. Oder im Dezember 2013, als die Stadträte dem örtlichen "Restaurant des Herzens", vergleichbar den deutschen Essenstafeln für Arme, einen Zuschuss über 1000 Euro verweigerten. Zuletzt im September 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, als der Gemeinderat auf Betreiben von Bompard entschied, keine Flüchtlinge in Orange aufzunehmen.

Taten sich Rastatts Verwaltung und Gemeinderat vor zwei Jahrzehnten noch schwer mit dem rechtsextremen Bürgermeister, die offiziellen Beziehungen lagen zeitweise auf Eis, hat sich das Verhältnis mittlerweile entspannt. Zum 50-Jahr-Jubiläum der Städtepartnerschaft, das im vergangenen Jahr groß in der Residenzstadt gefeiert wurde, wurde auch Bompard eingeladen und reiste an. "Im Interesse der Bürger fördern wir weiter den Austausch", begründet Rastatts OB, warum man den Kontakt mehr suche als meide.

Auch wenn der französische Amtskollege bei seinen inzwischen zahlreichen Visiten im Badischen vor allem von den Grünen und Teilen der SPD noch immer kritisch beäugt werde, wie Pütsch erzählt. Völlig unbelastet ist das Verhältnis ohnehin nicht. Bestimmte Reizthemen, etwa Flüchtlinge, spare man beim Gedankenaustausch möglichst aus, heißt es. "Da ist das Stimmungsbild ein völlig anderes", sagt Pütsch diplomatisch, der auch das Unterstützungsschreiben für Kanzlerin Merkels Flüchtlingskurs unterzeichnete, das CDU-Amtsträger aus dem Südwesten im vergangenen Oktober aufsetzten.

Immerhin sei Bompard inzwischen zweimal wiedergewählt worden, was für eine gewisse Kompetenz im Amt und sogar Beliebtheit seiner Person spreche, ergänzt Pütsch. "Wir können den Bürgern von Orange nicht vorschreiben, wen sie zu ihrem Stadtoberhaupt wählen", sagt er.

Herne macht dicht

Ganz anders handhabt die Stadt Herne im Ruhrgebiet die Beziehungen mit Henin-Beaumont. Die französische Partnerstadt im Département Pas de Calais wird seit den Kommunalwahlen 2014, bei denen landesweit insgesamt rund ein Dutzend Rathäuser an den Front National fielen, von dem FN-Politiker und Mitglied des EU-Parlaments, Steeve Briois, regiert. "Wir haben keine offiziellen Kontakte, und wir streben auch nicht an, diese wiederaufzunehmen", betont Stadtsprecher Christoph Hüsken.

Der 43-jährige Briois, den FN-Chefin Marine Le Pen im Wahlkampf massiv unterstützte, ist unter anderem für die Wiedereinführung der Todesstrafe. In einer seiner ersten Amtshandlungen warf er die örtliche Liga für Menschenrechte aus einem Haus, das ihr die Gemeinde zuvor mietfrei zur Verfügung gestellt hatte. Liga-Mitglieder hatten im Kommunalwahlkampf gegen die FN opponiert. Anderseits zeigte sich Briois auch umgänglich und sozial: Er senkte die lokalen Steuern, hob die kommunalen Sozialleistungen für die Ärmsten an, verstärkte die Gemeindepolizei. Das vergrößerte seine Popularität derart, dass er 2014 zu Frankreichs Lokalpolitiker des Jahres gekürt wurde.

Auf deutscher Seite räumte dies die Vorbehalte nicht aus. Man wolle keine Zusammenarbeit mit einem Politiker, der so extrem rechts agiere, ergänzt der Sprecher der Stadt Herne. Zumal die frühere Zechenstadt im Ruhrgebiet traditionell sozialdemokratisch wählt. "Wir sehen unsere Städtepartnerschaften als ein Weg zur Völkerverständigung", sagt Hüsken und betont, dass Kontakte unterhalb der offiziellen Ebene auch weiterhin existierten. Vereine und Schulen pflegen diese, das Rathaus bleibt außen vor.

Doch nicht nur von hiesiger Seite sind deutsch-französische Beziehungen eingefroren. Zwischen dem beschaulichen Kirchheim am Neckar im Kreis Ludwigsburg und dem Provence-Nest Piolenc, nördlich von Orange, herrscht seit geraumer Zeit Funkstille. Auf seinen Amtskollegen Louis Driey ist Kirchheims Bürgermeister Uwe Seibold nicht gut zu sprechen, weil sich der französische Kollege seit Unterzeichnung der Partnerurkunde im Jahr 1997 nicht mehr im Schwäbischen blicken ließ. "Er hat sich mehrfach zu Besuch angekündigt, ist aber nie gekommen", schildert Seibold die interkommunalen Dissonanzen. Offizielle Schreiben aus dem Kirchheimer Rathaus blieben unbeantwortet. Als Auslöser für die gestörten Beziehungen vermutet Seibold zwischenmenschliche Probleme vor Ort in Piolenc, die auf politischen Differenzen beruhen: Driey ist zwar kein FN-Mitglied, gilt aber als rechtsgerichtet, während die Piolencer Bürger, die den Kontakt nach Kirchheim pflegen, gegen dessen Wahl aufriefen. "Zur Strafe liegen die offiziellen Beziehungen nun auf Eis, aber da bleiben sie bekanntlich frisch", sagt Seibold. Er hofft auf bessere Zeiten.

Aus Kriegsfeinden Freunde machen

Städtepartnerschaften wurden nach den Zweiten Weltkrieg als ein Instrument zur Völkerverständigung initiiert. Sie sollten aus einst verfeindeten Kriegsgegnern Freunde machen. Laut Bundeszentrale für politische Bildung etablierten mehrere Initiativen diese Partnerschaften in Deutschland. Eine Initiative von Schweizer Professoren und Autoren nach dem Zweiten Weltkrieg führte zur Gründung der Internationalen Bürgermeisterunion für deutsch-französische Verständigung (IBU) und des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE), in den die IBU 1985 organisatorisch eingegliedert wurde. Die Idee bestand darin, die Kommune als Keimzelle der Demokratie zu stärken, um einen weiteren Weltkrieg unmöglich zu machen.

Aus den Kontakten französischer und deutscher Bürgermeister während der IBU-Treffen entstand 1950 die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft zwischen Montbéliard und Ludwigsburg. Heute unterhalten deutsche Kommunen über 5200 internationale Partnerschaften. "Mit mehr als 2000 die meisten mit dem ehemaligen 'Erzfeind' in Frankreich", so Professor Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts (DFI). Das Forschungs- und Dokumentationszentrum mit Sitz in Ludwigsburg erstellt derzeit eine Studie zum Thema. "Sehr häufig reichen die Partnerschaften nicht über gesellige Vereinsfeste hinaus", beschreibt er eine Form. Doch es gebe auch professionelle Zusammenarbeit, vor allem zwischen größeren Städten, die sich zu Migration, Nachhaltigkeit und Verkehr austauschten. Mit dem Ziel, die eigene kommunale Arbeit besser zu machen.

Immer dienten Städtepartnerschaften mit ihren vielfältigen Bürgerkontakten der Vernetzung auf der Basis der Gesellschaft. "Wenn man sich kennt, dann redet man leichter miteinander, auch, um gemeinsame europäische Interessen zu erkennen", sagt Baasner. Insofern seien Wahlerfolge von Parteien, die nationale Strömungen propagieren, mit Sorge zu betrachten. "Städtepartnerschaften sind Saiten auf einem Instrument, die für die Mitglieder des Front National nicht klingen", so der Direktor.

Diese Auffassung teilt auch Rastatts Oberbürgermeister Pütsch, der in dieser Woche gemeinsam mit über hundert Rastatter Bürgern und einigen Stadträten die Partnerstadt Orange besucht. "Der Rechtsruck in Europa ist bedauerlich", sagt das Stadtoberhaupt. Denn nicht allein auf nationaler, sondern nur gemeinsam auf internationaler Ebene könnten die großen Herausforderungen der Zeit, beispielsweise der Schutz des Weltklimas, gemeistert werden. "Dies werde ich in Orange ansprechen", kündigte er vor der Abreise an. 


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