Dass dieser Punkt irgendwann kommt, musste selbst ProjektbefürworterInnen klar sein. Jedenfalls den wenigen, die ihr Urteilsvermögen noch nicht ganz begraben haben. Der Bundesrechnungshof (BRH) greift die Verantwortlichen der Deutschen Bahn offen an dafür, wie Investitionsmittel falsch und unwirtschaftlich eingesetzt werden. Dabei nennen die obersten Prüfer der Republik einmal mehr Stuttgart 21 als Beispiel. Außerdem knöpfen sie sich die Bundesregierung vor, weil Empfehlungen für den und Kritik am Bahnkonzern bisher "im Wesentlichen" nicht aufgegriffen worden seien.
Das war schon vor über einem Jahrzehnt so. 2008 flatterte dem damaligen Vorsitzenden des Haushaltsausschusses im Bundestag, Otto Fricke (FDP), ein 13-seitiges Schreiben auf den Tisch. Die Finanzkontrolleure übermittelten ihre Ergebnisse der Prüfung des Tiefbahnhofs und der Neubaustrecke nach Paragraph 88, Absatz zwei der Bundeshaushaltsordnung. Darin wird bemängelt, dass es "keine Gesamtschau der Kosten" gebe, dass durch die beiden Vorgaben der "Beginn" beziehungsweise die "Fertigstellung anderer Projekte gefährdet sind".
Aufschrei bleibt aus
Der Liberale hätte aufschreien müssen, was er aber unterließ. Stattdessen reagiert heute sein Parteifreund, der Karlsruher Bundestagsabgeordnete Christan Jung, auf den BRH-Bericht mit verwirrten und verwirrenden Einlassungen: "Stuttgart 21 muss zu Ende gebaut werden", lässt der Verkehrsexperte seiner Fraktion ausrichten. Es könne doch nicht sein, so Jung weiter, "dass die DB und insbesondere der DB-Infrastrukturvorstand Roland Pofalla den Aufsichtsrat der DB, die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag über die massiven finanziellen Risiken nicht richtig informiert haben". Die Bundesregierung werde nicht nur in Bezug auf die Finanzen der DB, sondern auch in Bezug auf die finanziellen Risiken beim Projekt Stuttgart 21 auf verschiedenen Kanälen gewarnt. Seit Monaten? Jung blendet 25 Jahre Projektgeschichte offenbar einfach aus.
Ganz anders der Bundesrechnungshof. Seit 2007 werden der Tiefbahnhof und die Neubaustrecke "eng begleitet", wie es in einer der vielen Stellungnahmen aus der Berliner Adenauerallee heißt. Deutlich vor der endgültigen Weichenstellung durch Ministerpräsident Günther Oettinger, Stuttgarts OB Wolfgang Schuster und Bahnchef Rüdiger Grube am 10. Dezember 2009, prognostiziert der BRH Gesamtkosten von über fünf Milliarden Euro. Keiner der Projektpartner findet die Kraft zum Ausstieg. Dabei sind die festgeschriebenen 4,1 Milliarden Euro bei ihrer öffentlichen Verkündung intern bereits überholt.
Sogar die 8,7 Milliarden Euro, die die Münchener Experten vom Ingenieurbüro Vieregg & Rössler im September 2010 unter einem Proteststurm der Bahnhofs-BefürworterInnen vorrechnen, werden am Ende, wie auch immer dieses aussieht, noch zu optimistisch gewesen sein. 2015 haben die Bayern 9,8 Milliarden Euro errechnet, die Stuttgart 21 kosten würde. Der BRH geht zu diesem Zeitpunkt bereits von zehn Milliarden Euro aus. Und beklagt abermals die fehlende Seriosität der offiziellen Zahlen. "Das Bundesverkehrsministerium kontrolliert nicht ausreichend, ob die Gesamtfinanzierung des Projektes und die Qualität der Baumaßnahmen gesichert sind, damit kommt es den normativen Vorgaben nicht nach", heißt es im Bericht. Denn wenn der Bund Zuwendungen gebe, müsse er genau das prüfen.
Nur billige Ausreden vom DB-Konzern
Die Verantwortlichen bei der Bahn wehren sich mit der billigen Ausrede, nicht ausreichend in die Berechnungen einbezogen gewesen zu sein. Unter anderem seien "veraltete Unterlagen" verwendet worden. Der Bundesrechnungshof weist das umgehend und "in aller Deutlichkeit" zurück: Dies entspreche nicht der Sachlage und sei "für eine sachliche Diskussion in den zuständigen Gremien wenig hilfreich". Aber wäre den Bundesverkehrsministern seit Peter Ramsauer (CSU), wäre Bahnchefs seit Hartmut Mehdorn, wäre der CDU, den Liberalen und den BefürworterInnen in der SPD an eben jener sachlichen Diskussion gelegen gewesen, dann stünden im Stuttgarter Schlossgarten noch die jahrhundertealten Platanen.
Nicht erst seit wenigen Tagen lesen sich die immer neuen Sonderberichte wie Bankrotterklärungen. Schon seit Jahresbeginn liegen 44 Seiten auf dem Tisch, in denen der BRH der Bahn vorrechnet, dass sie "nach den aktuellen Kostenprognosen" für Stuttgart 21 über 5,2 Milliarden Euro ganz allein aufbringen müsste, "mehr als dreimal so viel wie ursprünglich geplant". Im Übrigen "bezweifelt" der Rechnungshof, "dass derartige Investitionen zum Erreichen der verkehrs-, umwelt- und klimaschutzpolitischen Ziele der Bundesregierung beitragen".
Womit nach so vielen Jahren endlich doch an den entscheidenden Stellschrauben gedreht werden könnte. Denn gerade die CDU verlangt in ihrem zum Wochenbeginn präsentierten Beschluss "Klimaeffizientes Deutschland – mit Innovationen in die Zukunft" zahlreiche Anstrengungen von der Bahn, die Schiene für Fahrgäste ebenso wie im Güterverkehr attraktiver und effizienter zu machen. Wo aber das Geld hernehmen, wenn es vergraben ist im Stuttgarter Talkessel?
Manfred Gastel, Bahnexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, hat da schon eine Idee entwickelt und will Stuttgart 21 runderneuern, weil es "in den verkehrlichen Anforderungen der Vergangenheit hängen geblieben ist und eine schwere finanzielle Hypothek auf die Zukunft darstellt". Das ganze Unternehmen unterliege weder einem "angemessenen Controlling", noch sei es "zu Ende finanziert". Er hebt die Mitverantwortung der Bundesregierung dafür hervor und derjenigen, "die einst Stuttgart 21 gegen allen fachlichen Rat und alle Warnungen durchgesetzt haben". Die, so hängt der Grüne frommen Wünschen nach, müssten jetzt endlich Verantwortung übernehmen.
Die SPD bleibt stur bei Stuttgart 21
Auf die SPD im Land muss er da nicht bauen. Vor allem die Landtagsfraktion lässt alle Steilvorlagen zur Besinnung unverwandelt, weil Tradition hat, dass sich die vernünftigen Stimmen nicht durchsetzen können gegen die Sturheit der TiefbahnhoffreundInnen. In CDU und FDP sind letztere noch hartleibiger in der Verweigerung der Realität. Und Ministerpräsiden Winfried Kretschmann versucht, das lästige Thema von sich wegzuhalten, mit dem Hinweis darauf, dass das Land ja gar nicht Bauherrn sei.
Bleibt der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann, der nicht nur wie Sisyphos regelmäßig auf die ungezählten Schwachstellen aufmerksam macht, die für zehn Milliarden oder noch mehr Euro gebaut werden, sondern der sich auch seine Angriffslust nicht abtrainieren hat lassen. Am Dienstag, auf der Regierungspressekonferenz wird der Verkehrsminister gefragt, was er davon hält, dass die Deutsche Bahn für Frankfurt neuerdings exakt über jenen Kombibahnhof nachdenkt, der für Stuttgart über alle die Jahre nie ernsthaft geprüft wurde. Das sei frivol, sagt er, und schiebt ein "angesichts der Finanznot" hinterher. Im ganz sicheren Wissen, dass genau diese Finanznot die Dinge in der Landeshauptstadt Stuttgart zumindest verkehrlich zum Besseren wenden könnte. Die Bahn, befindet der Bundesrechnungshof im jüngsten Bericht, könne Investitionen nicht mehr aus eigenen Mitteln finanzieren. Sie muss also in Bälde auch offiziell noch einmal neu nachdenken. Und zwar über alles.
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Ruby Tuesday
am 21.09.2019