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Deutsche Bank, Postbank und Verdi

Erst IT-Desaster, dann Schließungen

Deutsche Bank, Postbank und Verdi: Erst IT-Desaster, dann Schließungen
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Etwa die Hälfte der 550 Postbankfilialen wird schließen, hat deren Eigentümerin, die Deutsche Bank, angekündigt. Die Beschäftigten erfuhren davon aus der Zeitung. Verdi mobilisiert nun auch in Stuttgart zum Protest.

"Das ist ein Kundenvertreibungsprogramm", ruft Martin Gross etwa 300 Postbank-Beschäftigten zu. Der Verdi-Chef von Baden-Württemberg ist einer der vier Redner:innen, die am vergangenen Mittwoch vor dem Stuttgarter Gewerkschaftshaus ihre Postbank-Mitglieder ermutigen, in der anstehenden Tarifrunde aktiv zu werden. Um mehr Geld, über das Anfang kommenden Jahres verhandelt werden muss, geht es nur am Rande. Die 6.000 Beschäftigten der Postbank müssen derzeit vor allem um ihren Arbeitsplatz bangen.

Seit 2012 gehört die Postbank komplett der Deutschen Bank. Deren Privatkunden-Chef Claudio de Sanctis sagte Ende Oktober in der "Financial Times", bis Mitte 2026 von den noch existierenden 550 Postbank-Filialen etwa 250 schließen zu wollen. Man wolle "eine Mobile-First-Bank" werden, zwei Drittel der Kund:innen würden sowieso Online-Banking machen. Der Rest, wahrscheinlich überwiegend Ältere, interessiert offenbar nicht. So soll auch in den verbleibenden Filialen der gern genutzte Service, Pakete aufgeben oder Briefmarken kaufen, gestrichen werden. Stattdessen kündigt de Sanctis in einem Gespräch mit der FAZ an, "die beste App" für die Postbank entwickeln zu wollen und sagt ganz ohne Ironie: "Die Kunden sollen uns wieder lieben."

Hin und Her bei der Deutschen Bank

2004 begleitete die Deutsche Bank die Postbank beim Börsengang, 2008 begann unter Josef Ackermann mit knapp 30 Prozent die Übernahme, wofür laut einem damaligen FAZ-Bericht knapp 2,8 Milliarden Euro fällig wurden. Die Postbank war damals mit 14,5 Millionen Kund:innen die Nummer eins im Privatkundengeschäft. 2012 gehörte sie komplett der Deutschen Bank, drei Jahre später beschloss deren Aufsichtsrat, sich von der Postbank wieder zu trennen. Allein: Der Verkauf klappte nicht. Im März 2017 beschloss die Deutsche Bank, die Postbank komplett in die Deutsche Bank zu integrieren. Die Kosten des gesamten Prozesses werden auf vier Milliarden Euro geschätzt.  (lee)

Das dürfte schwierig werden. 12 Millionen Kund:innen hat die Postbank und Tausende von ihnen haben in den vergangenen Monaten nichts als Ärger mit ihrer Bank. Die Technik, mit der die Daten der Postbank-Kund:innen auf die Systeme der Deutschen Bank übertragen werden sollen, funktionierte nicht richtig und so konnte – und kann – teilweise kein Geld abgehoben und/oder überwiesen werden. Information war rar und das Chaos so groß, dass die Finanzaufsicht Bafin einen Aufpasser in die Deutsche Bank entsandte. Bis Ende des Jahres soll nun alles im Lot sein, hat de Sanctis versprochen.

Derweil mussten und müssen die Mitarbeiter:innen sich am Schalter beschimpfen lassen und trotzdem freundlich bleiben, erzählt Elke Köhrer, die in Stuttgart am Postbank-Schalter arbeitet. Seit 25 Jahren ist sie dabei und fand den Job gerade in den vergangenen Monaten "ziemlich stressig, weil manche Kund:innen nachvollziehbarerweise ziemlich sauer waren". Von der Ankündigung der Schließungen fühlt sie sich "überfahren". Ihre Kollegin, die mit zur Kundgebung und Betriebsversammlung in Stuttgart gekommen ist, ergänzt: "Man ist total unsicher. Was, wenn es mich trifft?" Zwar heiße es von Chefs, Filialen sollten vor allem im ländlichen Raum geschlossen werden. "Aber ob man denen glauben kann – naja."

Nun stehen die regulären Tarifverhandlungen übers Gehalt an, derzeit befragt Verdi ihre Mitglieder, wie viel Prozent mehr gefordert werden soll und was sie bereit sind, dafür zu tun. Ende Januar 2024 endet die Friedenspflicht, dann kann gestreikt werden. Dass an diese normale Tarifrunde der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze gekoppelt werden kann, könnte durchaus einen Mobilisierungseffekt haben.

Also geht es an jenem Mittwochmittag auf dem Platz zwischen Gewerkschaftshaus und Haus der Wirtschaft vor allem um die Schließungen. Die Ankündigung sei ein Skandal, sagt Petra Sadowski, bei Verdi Baden-Württemberg zuständig für die Postbank-Beschäftigten. "Das Management der Deutschen Bank bekommt die IT-Krise nicht in den Griff, ihr dürft euch rumstreiten mit der Kundschaft und dann heißt es, man macht 250 Filialen zu, die IT wird’s schon richten." Letzteres dürfte wohl bezweifelt werden, meint die Gewerkschafterin.

Beamt:innen wollen nicht in den Osten

Die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Postbank Susanne Bleidt spricht aus, was viele ihrer Kolleg:innen zusätzlich aufregt: "Überall heißt es, die Postbank hat Probleme – nein: Die Deutsche Bank hat Probleme." Sie habe den Eindruck, dass die Marke Postbank gezielt schlecht gemacht werde, um sagen zu können: Da muss jetzt aufgeräumt werden. Das ärgert sie ebenso wie der Umgang mit ihr als gewählter Vertreterin der Belegschaft. "Wenn ein Unternehmen so einschneidende Maßnahmen ergreifen will, redet es normalerweise erst mit dem Betriebsrat." Das hat die Deutsche Bank nicht für notwendig erachtet. Für Bleidt ein Bruch der sozialpartnerschaftlichen Spielregeln.

Sie will den Arbeitgeber an den Tisch holen. "Wir müssen ja mal reden." Ganz oben auf ihrer Agenda steht, dass der Tarifvertrag zum Kündigungsschutz verlängert wird, der in zwei Monaten ausläuft. Den habe man schon ewig, sagt sie, und in der Vergangenheit wurde er auch stets ohne große Aufregung verlängert. Angesicht der Schließungspläne sei der nun besonders wichtig. "Sonst besteht die Gefahr, dass gerade die Jüngeren und Gutqualifizierten, die gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, gehen." Daran könne der Arbeitgeber eigentlich kein Interesse haben.

Bleidt selbst hat 1986 bei der Post angefangen. "Mittlerer Postdienst" hieß die Ausbildung damals, als die Post noch eine Einrichtung des Bundes war und die Beschäftigten Beamt:innen. Auch sie selbst sei Beamtin, erzählt sie, und sie ist damit nicht allein. Etwa 30 Prozent ihrer Kolleg:innen hätten diesen Status. Warum sollten ausgerechnet Beamt:innen, die ja unkündbar sind, in den anstehenden Auseinandersetzungen aktiv werden? Bleidt lacht. "Das sind Bundesbeamte, was bedeutet, dass sie im ganzen Bundesgebiet eingesetzt werden können." Welche Stuttgarterin aber wolle schon nach Berlin gehen? "Oder in den Osten. Da gibt es keine Beamte, nur Angestellte." Also könnten dort theoretisch Angestellte entlassen und Beamt:innen hinversetzt werden. Und dass Arbeitsplätze gestrichen werden, ist laut de Sanctis sicher.

Ob die Filialschließungen abgewendet werden können, steht in den Sternen. Rechtlich gesehen sind die Schließungen eine unternehmerische Entscheidung, da müssen Arbeitnehmer:innen nicht gefragt werden. Falls die Deutsche Bank bei ihren Plänen bleibt, dürfte es dem Betriebsrat letztlich vor allem um einen guten Sozialplan gehen, also ordentliche Abfindungen, Beschäftigungsgesellschaft, Qualifizierung, Kündigungsprämien und Ähnliches.

Derzeit ruft Verdi die Postbankbeschäftigten nach und nach in allen Bundesländern zu Betriebsversammlungen oder Aktionen auf. Wenn die aktuelle Mitgliederbefragung beendet ist, geht es ab 1. Februar ernsthaft in die Tarifverhandlungen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Bähr
    am 16.11.2023
    Antworten
    Ergänzend, Herr Notter, geschweige parallel wird unsereins einen Hunderter erst gar nicht mit anderen Augen betrachten.
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