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Tarifkampf bei Benseler

Prämie fürs krank Arbeiten

Tarifkampf bei Benseler: Prämie fürs krank Arbeiten
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Nur etwas mehr als Mindestlohn: Das ist Beschäftigten beim Teilebeschichter Benseler in Kornwestheim zu wenig. Drei Mal standen sie mittlerweile streikend vor dem Tor und fordern einen Tarifvertrag. Die Geschäftsführung mauert, verhängt ein Hausverbot gegen einen Gewerkschafter.

Vor Kälte zitternd stehen um die 50 Frauen und Männer – vor allem Frauen – an einem Dienstagvormittag in der Heinkelstraße vor der Firma Benseler. "Drinnen ist fast niemand mehr", sagt die Betriebsratsvorsitzende Gülce Saher. Die schmale Frau mit den langen gewellten Haaren ist zufrieden. Eine knappe Woche vor diesem dritten Warnstreik hatte die Geschäftsführung per Aushang Lohnerhöhungen verkündet: zwischen drei und fünf Prozent in diesem Jahr, drei im nächsten Jahr – falls 2023 einen Gewinn von mindestens drei Prozent erzielt wird (aktuell liegt die Inflation bei 7,3 Prozent). Außerdem werde in diesem und nächsten Jahr insgesamt 2.000 Euro Inflationsausgleich gezahlt. Saher befürchtete zunächst, dass diese Ansage ihre Kolleg:innen vom Warnstreik abhalten könnte. Aber nein. Die Leute kamen raus. Denn sie wollen einen Tarifvertrag, der dafür sorgt, dass sie regelmäßig und verlässlich mehr Geld bekommen und nicht dann, wenn es dem Chef passt. Der aber will darüber nicht mal reden.

Rund 150 Beschäftigte arbeiten am Benseler-Standort Kornwestheim. Hier werden Teile beschichtet, vor allem für die Autoindustrie. "Wir haben alles, große Teile, kleine Teile, leichte, schwere – alles, was korrosionsbeständig sein muss", sagt eine der Frauen. Sie ist in der Aufhängung und Kontrolle tätig, heute in der Frühschicht, die sie wegen des Warnstreiks vier Stunden früher verlassen hat. Zu den Kunden zählen Bosch, Audi, Mercedes, VW. "Früher haben wir auch so Handyabdeckungen beschichtet, aber jetzt fast nur Autoteile." Kolleginnen gesellen sich dazu, wollen auch erzählen. Die meisten hier wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. "Wir arbeiten wie Sklaven und werden ständig gedrückt von Teamleitern." – "Moment!", ruft eine Frau. "Ich bin auch Teamleiter, ich drücke nicht." – "Nein, du nicht, aber andere, die bekommen Druck von oben und geben ihn an uns weiter." Fünf, sechs Frauen diskutieren aufgeregt, jede mit einem anderen Akzent. Woher kommen sie ursprünglich? "Kosovo", "Griechenland", "Italien", "Ungarn", "Tschechien", "Albanien". "Hier gibt es fast keine Deutschen. Wir haben Leute, die können gar kein Deutsch, die machen alles, was ihnen gesagt wird", erzählt eine Arbeiterin. Seit 18 Jahren sei sie bei Benseler: "Ich verdiene 12,33 pro Stunde! Das ist knapp überm Mindestlohn!" Gut, es gebe noch eine Art Zulage, die sich wohl nach den geschafften Stückzahlen richtet. "Aber manchmal gibt's die, manchmal nicht – wir wissen nicht, warum."

Bereits vor Corona hatte Gülce Saher, die damals normale Betriebsrätin war, den Kontakt zur IG Metall in Ludwigsburg gesucht. Es gab erste Gespräche, dann kam Corona, Kontakte waren schwierig zu halten und nichts passierte. Doch nun geht wieder was und Ende vorigen Jahres gab es den ersten Warnstreik. Da war die Beteiligung eher mittel, beim zweiten kamen mehr Kolleg:innen mit vors Tor und nun beim dritten noch mehr.

Saher ist ein ruhiger Typ. Ruhig und entschieden. Seit 31 Jahren arbeitet die 54-Jährige bei Benseler und wurde mit der Zeit immer unzufriedener. "Es ist ungerecht, dass wir so schlecht verdienen. Also bin ich zur Gewerkschaft", erklärt sie ihr Engagement. Auch die Belegschaft von Benseler habe das Recht auf einen Tarifvertrag, findet sie. Hauptsächlich Frauen arbeiten in der Produktion.

Bloß nicht mit der Gewerkschaft reden

Die Geschäftsführung ihrerseits stellt auf stur. Mit der Gewerkschaft will sie sich auf keinen Fall an einen Tisch setzen. Die nunmehr verkündeten Lohnerhöhungen hätten nichts mit den Warnstreiks zu tun, erklärt Geschäftsführer Mathias Mühleisen mittels einer Kommunikationsagentur auf Kontextanfrage: "Selbstverständlich passen wir die Löhne unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig an." Man pflege "ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis", arbeite gemeinsam an aktuellen Herausforderungen, Gespräche seien zuweilen durchaus streitbar, "aber immer konstruktiv", das habe sich bewährt, so konnten "wir seit über 20 Jahren betriebsbedingte Kündigungen vermeiden", "und zwar ganz ohne Vermittlung Dritter". Heißt: ohne Gewerkschaft.

Auch auf Nachfrage, ob nach dem dritten Warnstreik nicht doch das Gesprächsangebot der IG Metall angenommen wird, richtet die Kommunikationsagentur aus: "Nein." Für André Kaufmann, der für die IG Metall Ludwigsburg Benseler in Kornwestheim betreut, deutet das auf ein ideologisches Problem in der Geschäftsleitung hin, antigewerkschaftlich eben. "Ich mache den Job schon ein paar Jahre und habe selten erlebt, dass Arbeitgeber so ignorant sind." Sich wenigstens die Hand zu geben, wenn man sich auf Betriebsversammlungen begegnet, sei in anderen Unternehmen normal. Bei Benseler nicht.

Nicht gerade gängig ist auch die Gesundheitsprämie, die es bei Benseler gibt: Wer sich ein Jahr lang nicht krankmeldet, bekommt 40 Prozent des Monatslohns, bei drei bis fünf Tagen sind es noch 30 Prozent, bei mehr als zehn Tagen null. "Da kommen Leute krank zur Arbeit, weil sie das Geld brauchen", berichtet Betriebsratschefin Saher.

Kaufmann will den Druck erhöhen, mehr Aktionen mit den Beschäftigten auf die Beine stellen. Die Chancen stehen gut, schätzt er. In den vergangenen Monaten sind bei Benseler viele in die IG Metall eingetreten. "Wir können zwar nicht garantieren, was am Ende rauskommt", sagt Kaufmann. Aber er sei ziemlich motiviert. "Garantieren kann ich, dass wir gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung kämpfen." Die mit den Mitgliedern besprochenen Mindestforderungen sind, den aktuellen Tarifabschluss der Metallindustrie (8,5 Prozent, 3.000 Euro Inflationsausgleich) zu übernehmen sowie ein ordentliches Weihnachts- und Urlaubsgeld. "Dafür muss man miteinander reden", sagt Kaufmann. "Es geht ja nicht darum, auf einen Schlag Porschelöhne zu bezahlen." Aber eben tariflich abgesicherte Bedingungen zu erreichen.

Hier funktioniert die internationale Solidarität

So sieht's auch der Betriebsrat, der seit der Wahl im vorigen Jahr nicht mehr so arbeitgeberfreundlich ist wie der vorherige, heißt es in einem Gespräch mit Betriebsratschefin Saher und Antonio Januzzi sowie Anne Szabo, beide neu im Gremium. Erste kleine Erfolge habe man bereits erzielt, zum Beispiel sei eine Lüftung eingebaut worden. Seit 20 Jahren hätten die Leute sich beschwert, weil es im Sommer bis zu 50 Grad heiß wurde. "Wenn der Pulverbeschichtungsofen aufgeht, schwappt da eine enorme Hitze raus", erklärt sie. Auch hätten sie viel mit den Kolleg:innen geredet und die kämen jetzt schneller zum Betriebsrat, wenn ihnen was nicht passt oder der Schichtplan geändert wurde. "Wir sind mutiger geworden", sagt die Kurdin Saher.

Wie beim Warnstreik spiegelt sich die internationale Zusammensetzung der Belegschaft auch im Betriebsrat wider. "Bei uns sind Leute aus Griechenland, aus Afrika, aus Frankreich, auch eine Deutsche", sagt Antonio, der 1981 aus Italien nach Deutschland gekommen ist und seit 32 Jahren bei Benseler arbeitet, mittlerweile als Staplerfahrer. Für sie alle sei es normal, dass die Leute aus vielen Ländern kommen. Aber im Betrieb müssten sich manche Sprüche anhören wie: "Warum willst du mehr Geld, wenn du nicht mal richtig Deutsch kannst." Unangenehm sei das. So was käme eher von oben, im Team sei der Zusammenhalt richtig gut. Auch deswegen würden die meisten sich nichts anderes suchen. Auch Unsicherheit mag mitspielen, denn in der Produktion hätten viele keine Ausbildung.

Niedriglohn führt zu kleinen Renten

Vor dem Tor beim Warnstreik feuert Kaufmann die Leute an: "Was wollen wir?" – "Mehr Lohn!", rufen die Kolleg:innen. Sie freuen sich, als mehr und mehr aus der Halle kommen und zu ihnen stoßen. Frage an einige Frauen: Warum sind sie hier? "Weil Streik ist." "Weil meine Gruppe hier ist." Die Stimmung steigt, als klar wird, dass nur zwei, drei Leute aus ihrem Bereich drinnen geblieben sind. Martin, der aus Kamerun stammt, seit zwölf Jahren bei Benseler schafft, findet: "Wer früh aufsteht und arbeitet, hat das Recht, für seine Leistung so viel zu verdienen, dass er genügend Geld zum Leben hat." Michael und Erdoğan aus der Türkei, die auch schon Jahrzehnte bei Benseler sind, nicken.

Drei Frauen stoßen dazu: Jana aus Tschechien, Graziella aus Italien, Elena aus Rumänien. "Wir wollen sagen: Hier werden Mütter nicht gut behandelt." Die drei haben den Eindruck, bestraft zu werden, wenn sie nach Hause müssen, weil das Kind krank ist. "Dann gibt es am nächsten Tag Strafarbeit." Strafarbeit? "Draußen, schwere Arbeit für Männer, Müll sortieren." Ohne mehr Geld dafür zu bekommen, schiebt eine hinterher. Kerstin stößt dazu. Sie ist gelernte Kauffrau, hat bis Corona in der Kantine gearbeitet, wechselte danach in die Produktion. "Wir gehören zu den 18,1 Prozent bundesweit, die unterhalb der Niedriglohnschwelle arbeiten", sagt sie. Die liegt bei 2.344 Euro brutto im Monat (Stichtag 31.12.2021).

Die Folgen kennt auch Betriebsratschefin Gülce Saher: wenig Rente. "Wenn ich bis 67 so weiterarbeite, bekomme ich 995 Euro, hat die Rentenversicherung geschrieben." Das sei nicht gerade viel nach mehr als 40 Jahren Arbeit. "Aber das geht auch gar nicht. Bis 67 kannst du diese Arbeit nicht machen." Sie und viele ihrer Kolleginnen hätten gesundheitliche Probleme, Schulterschmerzen, Rückenschmerzen. Ihr Mann, der bei Mahle in der Produktion schaffe, habe mit 63 seine 45 Jahre Arbeit hinter sich und bekäme dann 1.600 Euro. Da stimme doch was nicht, sagt Saher.

Im Moment warten sie und Kaufmann auf eine Antwort der Geschäftsführung, ob die nun endlich zu Gesprächen bereit ist. Wenn nicht, wird weitergekämpft. Ein Teil dieser Auseinandersetzung wird auch vor Gericht landen. Denn die Geschäftsführung hat Kaufmann ein Hausverbot erteilt. Er soll bei einem Warnstreik einen Zugang mit einem Schloss versperrt haben. "Habe ich nicht", sagt Kaufmann. Die IG Metall hat nun Klage dagegen eingereicht. So etwas ist in erster Linie nervig, findet der Gewerkschafter. Und er hält es auch nicht gerade für weitsichtig. "Auch die Benseler-Geschäftsführung muss verstehen, dass eine klare Mehrheit der Belegschaft sich dafür entschieden hat, sich von der Gewerkschaft vertreten zu lassen. So sind die Regeln in diesem Land." Demokratie ende nicht am Werkstor.


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