In Deutschland stehen sich derzeit zwei politische und juristische Paradigmen gegenüber: Soll die Windenergie – und damit der Klimaschutz – oberste Priorität haben oder die Belange der Bundeswehr? Als Schauplatz dieses Grundkonflikts wurde 2022 der Altdorfer Wald im Landkreis Ravensburg bekannt. Dort könnten theoretisch 39 Windräder errichtet werden. Wegen einer Hubschraubertiefflugstrecke intervenierte allerdings die Bundeswehr gegen die Pläne für einen der größten Windparks Baden-Württembergs.
Thekla Walker, Landesumweltministerin in Baden-Württemberg (Grüne), beschwerte sich damals per Brief beim Bundeswirtschafts- und dem fürs Militär zuständigen Verteidigungsministerium. Die Bundeswehr habe vorher den Umfang der Flugstrecken so stark ausgeweitet, dass statt fünf Prozent der Landesfläche elf Prozent betroffen waren, schreibt Walkers Ministerium auf Kontext-Anfrage. "Sie reklamiert für die Hubschraubertiefflugstrecken generell einen Schutzkorridor von 1,5 Kilometern zu beiden Seiten der Strecke, das heißt eine Gesamtbreite von 3 Kilometern, in welchem sie der Errichtung von Luftfahrthindernissen grundsätzlich nicht zustimmt", führt die Pressestelle aus.
Walkers Beschwerde hatte offenbar gleich doppelt Erfolg. Der Windpark im Altdorfer Wald werde nun nicht mehr blockiert, teilt ihr Ministerium mit. Und: "Die Bundeswehr hat auf Drängen der Landesregierung ihren Bedarf an Hubschraubertiefflugstrecken überprüft. Durch Herausnahme einiger Streckenteile wurde die Flächeninanspruchnahme von 11 Prozent der Landesfläche auf 8 Prozent reduziert." Wegen des weiterbestehenden Grundkonflikts sei die Landesregierung aber weiterhin "in fortwährendem Austausch" mit dem Militär.
Bundeswehr wird aktiv, wenn schon investiert wurde
Auch Radaranlagen waren in den vergangenen Jahren ein Hindernis für den Ausbau der Windstromerzeugung. Deren Standorte sind bekannt. Projektierer können vorab bei der Bundeswehr anfragen, inwieweit sie Windrädern zustimmt. Die Hubschraubertiefflugstrecken dagegen sind mehr oder weniger geheim und bei der Konzipierung eines Windparks oft nicht bekannt. Die Bundeswehr tritt im Fall einer Überschneidung erst auf den Plan, wenn Projektgesellschaften und die öffentliche Hand schon Zeit und Geld investiert haben. In Bayern sorgt das aktuell für Unmut bei Bürgermeistern. Im Kelheimer Stadtwald beispielsweise sollen in Zukunft Windkraftanlagen Strom für etwa 3.500 Haushalte erzeugen. Wäre da nicht die Bundeswehr. Und eine Hubschraubertiefflugstrecke.
Der Grundkonflikt zwischen Windenergieausbau und Militär wird überlagert von politischen Initiativen, um nicht zu sagen Kämpfen. "Zurzeit wird versucht, einen Vorrang des Militärs zu installieren", sagt Martin Maslaton. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht mit Kanzleien in Leipzig, München und Köln setzt sich seit Langem für die Energiewende ein. An der Technischen Universität Chemnitz lehrt er als außerplanmäßiger Professor Energierecht. Weil er zudem die Lizenz für das Fliegen von Geschäftsflugzeugen besitzt, ist er auch Experte für Luftrecht und seit vielen Jahren mit Konflikten zwischen Bundeswehr und Windenergiebranche vertraut.
Lange Jahre habe die Bundeswehr auch mit technisch zweifelhaften Argumenten Windparks blockiert, hat Maslaton beobachtet. Das epochale Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 habe dann eine Beschleunigung der Energiewende erzwungen, was sich in Urteilen von Oberverwaltungsgerichten zuungunsten der Bundeswehr ausgewirkt habe. Seit dem Beginn der Ukraine-Invasion allerdings habe wieder die Armee Oberwasser.
"Es reicht nicht, am einfachen Recht herumzubasteln wie mit der Festsetzung des überragenden öffentlichen Interesses der Energiewende im Erneuerbare-Energien-Gesetz", meint Maslaton. "Das hat gegenüber den Aufgaben der Bundeswehr keine Priorität, worauf die auch selbst gerne hinweist." Der Anwalt ist sich sicher: "Wir brauchen eine Verfassungsänderung."
Bayern wollte militärfreundlich vorpreschen
Besonders alarmiert hat ihn eine Gesetzesinitiative der Regierung in Bayern vom September. Sie beantragte im Bundesrat, im Raumordnungsgesetz ein "überragendes öffentliches Interesse" des Militärs festzuschreiben. Das war zumindest indirekt ein Angriff auf die besondere rechtliche Stellung der Energiewende. Allerdings hat der Bundesrat im Oktober abgelehnt, diesen Gesetzentwurf beim Bundestag einzubringen. Der Ausschuss für Inneres sprach sich zwar dafür aus, der federführende Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung aber dagegen.
Aber auch der Bundestag musste kürzlich eine bundeswehrfreundliche Gesetzesinitiative behandeln. Auf Vorschlag des Bundesverkehrsministeriums sollte in Paragraf 18a des Luftverkehrsgesetzes festgeschrieben werden, dass neben zivilen Flugsicherungseinrichtungen auch "stationäre militärische Einrichtungen zur Kontrolle des Flugbetriebs" nicht von Bauwerken "gestört werden" dürfen.
Für die Windbranche wäre das ein herber Rückschlag gewesen. Die auch von Bund und Ländern mitgetragene Fachagentur Windenergie an Land erklärt: "Der Interessensbereich der Bundeswehr umfasst einen Umkreis bis zu 50 Kilometer um Radaranlagen. Der Bau von Windenergieanlagen wird in diesem Bereich einer Prüfung durch die Bundeswehr unterzogen." Da sie 18 feste (und zwei mobile) Radarstationen betreibe, könnte sie auf bis zu einem Drittel der Fläche Deutschlands ein Veto einlegen.
Zwar müsste es bei jedem Projekt Einzelfallentscheidungen in Abhängigkeit von konkreten räumlichen Gegebenheiten geben. Martin Maslaton glaubt aber, dass das Militär einen Machtzuwachs egoistisch ausnutzen würde: "Ich sehe seit Jahren keine Kompromissbereitschaft mehr bei der Bundeswehr. Vor allem in Flugübungsgebieten lässt sie nahezu keine neuen Projekte mehr zu. Die Ablehnungsschreiben bestehen dann oft aus nur drei Zeilen."
Der Bundesverband Windenergie (BWE) zeigte sich ebenfalls alarmiert. In einer Stellungnahme von August zum Vorhaben des Verkehrsministeriums – das paradoxerweise Teil des Entwurfs für ein Gesetz zu Genehmigungsbeschleunigungen im Verkehrsbereich war – beklagte der Verband: Im Gegensatz zu zivilen Einrichtungen könne die Bundeswehr um ihre Radarstationen herum "willkürlich" Schutzbereiche definieren und durchsetzen. Der Gesetzentwurf sah sogar schon die Berechtigung zum Veto vor, wenn die militärischen Radaranlagen "gestört werden können". Anders als bisher wäre also ein gerichtsfester Beweis nicht mehr nötig gewesen.
Mehr als 950 Windräder blockiert
Wenige Tage vor der Abstimmung im Bundestag am 20. Oktober wurde die Gesetzesänderung aber in diesem Punkt gestrichen. "Wir sehen das als Erfolg des BWE an", sagt dessen Präsidentin Bärbel Heidebroek auf Anfrage. "Die Bundestagsfraktionen haben den kritischen Passus auf unseren Druck hin entfernt."
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Windkraft
am 21.11.2023