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Polizeiskandal und CDU

"Mit Dreck geworfen"

Polizeiskandal und CDU: "Mit Dreck geworfen"
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Die CDU im Polizei-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags tut alles, um ihrem Abgeordneten Christian Gehring das überfällige Ausscheiden aus dem Ausschuss zu ersparen. Obwohl dessen Interesse an Aufklärung über die Besetzungs- und Beförderungspraxis bei der Polizei erkennbar unterentwickelt ist.

Nur mal so angenommen: Über eine Führungskraft, egal ob in Politik, Wirtschaft oder eben bei der Polizei, werden Gerüchte schwerwiegender, sogar strafrechtlich relevanter Art verbreitet. Es geht um unerlaubten Zutritt in geschützte Bereiche, um Sonderrechte, um den Umgang mit Dienstgeräten, möglicherweise sogar um eine Waffe. Ein Kollege mit direktem Zugang zur Chefetage bekommt die Unterstellungen zugetragen und fragt selber nach, was denn dran sei an der üblen Nachrede. Die offizielle Antwort: nichts. Und was macht dann der, der diese Klärung herbeigeführt wissen wollte? Der freut sich natürlich, dass er das Gemunkel über einen verdienten Kollegen ausräumen kann, dass alle Verdachte ganz und gar unbegründet sind, und hilft mit, alle weiteren Denunzierungen zu bremsen. Das wäre anständig.

Im vorliegenden Fall aber muss das Ende umgeschrieben werden. Es geht um Christian Gehring, früher mal Personenschützer von Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus, Kriminalhauptkommissar a.D., heute CDU-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag und Mitglied des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Beförderungspraxis, zum möglichen Machtmissbrauch bei der Polizei und zur Brief-Affäre von Innenminister Thomas Strobl (CDU). Gehring wurde Abträgliches über den bereits pensionierten Präsidenten des Landeskriminalamtes Ralf Michelfelder zugetragen. Den schätzt er zwar sehr. Mitarbeiten an der Wiederherstellung des guten Rufs von Michelfelder möchte er aber dennoch nicht. Als er aus dem Innenministerium erfuhr, dass nichts dran ist an den üblen Nachreden, schweigt er. So jedenfalls seine Aussage am Freitag bei seinem zweiten Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss.

Tiefe Einblicke

Nach und nach werden im parlamentarischen Untersuchungsausschuss "Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren in der Polizei Baden-Württemberg (UsA IdP & Beförderungspraxis)" alle Polizeipräsidenten des Landes als Zeugen geladen. Die einzige Präsidentin, jene aus Karlsruhe, hat ihre Sicht der Dinge bereits dargelegt. Eigentlich müsse nach der Beurteilung entschieden werden, so die Quereinsteigerin, gleichzeitig sei aber "immer im Hinterkopf" zu behalten, wer geeignet sei und wie man denjenigen so beurteilen müsse, dass er den Posten auch bekomme. Sie selber musste – contre coeur – auf Druck des Landespolizeipräsidiums einen Bewerber aus ihrem eigenen Team davon überzeugen, seine Bewerbung zurückzuziehen, trotz bester Noten und bester Befähigung. Das sei "keine unübliche Praxis bei der Polizei". Bestenauslese finde also nicht statt, Auswahlvermerke würden nur fürs Papier gemacht, urteilte wiederum FDP-Obfrau Julia Goll. "Es gibt Cliquen, die untereinander Positionen ausmachen", kritisierte ihr SPD-Kollege Sascha Binder. Und Oliver Hildenbrand (Grüne) stellte in seinem Resümee der 17. Sitzung eine Frage, die noch viele Zeug:innen in den kommenden Monaten beantworten müssen: "Ist erwünscht, wer gut beurteilt wird", wollte Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand daraufhin wissen. "Oder wird gut beurteilt, wer erwünscht ist?"  (jhw)

Der Ausschuss hat Gehring zum zweiten Mal vorgeladen, weil der Verdacht unausgeräumt im Raum steht, dass mit den Gerüchten über Michelfelder ein Mann als unglaubwürdig dargestellt werden sollte, der den schnellen Aufstieg von Andreas Renner zum Inspekteur der Polizei (IdP) für falsch hält. Jenen Aufstieg, der ebenso wie die Anzeige gegen den IdP wegen des Verdachts auf sexuelle Nötigung (mittlerweile in erster Instanz aus Mangel an Beweisen freigesprochen) mit Anlass für den Untersuchungsausschuss war.

Irgendwas bleibt immer hängen

Für die informellen Anfragen ans Innenministerium hatte Gehring seinen Parteifreund Wilfried Klenk, immerhin Staatssekretär, bemüht. Der bestätigte offiziell und im Namen Strobls, dass alle Gerüchte falsch sind. Die Reaktion Gehrings, der seit 2021 im Landtag sitzt, ist verblüffend. Denn statt intern und seinen Zuträgern gegenüber die frohe Kunde zu verbreiten, behält er alle entlastenden Informationen bei sich. Sie sei sprachlos, sagte Julia Goll, FDP-Obfrau im Ausschuss, und legte dann doch los: "Alle kämpfen hier täglich gegen fake news, und das waren fake news, die verbreitet worden sind. Da hätte Herr Gehring doch alles daran setzen müssen, damit die in der Polizei nicht weiterverbreitet werden."

Kein Wunder, dass sich die Frage nach dem Warum aufdrängt. Der Betroffene selbst, Michelfelder, hatte in seiner Zeugenvernehmung vor der Sommerpause weitreichende Schlüsse gezogen: "Es wird mit Dreck geworfen, damit etwas hängen bleibt."

Der Ex-LKA-Präsident ist bei Weitem nicht der einzige, aber er ist pointiertester Kritiker der steilen, vom Innenminister höchstpersönlich geförderten Karriere, die Andreas Renner bis hinauf zum ranghöchsten Polizeibeamten Baden-Württembergs hingelegt hat. 2019 hat Michelfelder den strebsamen Kollegen als nicht geeignet eingestuft, sein Vize zu werden. Trotz plausibler, schon am Lebenslauf des Aufsteigers deutlich ablesbarer Einwände – vorrangig fehlende Erfahrung – setzte sich der Präsident nicht durch und musste sich abfinden mit dem neuen Stellvertreter. Inzwischen ist längst klar, warum der den Zwischenstopp beim LKA einlegen musste: Ohne diese Station hätte er nur 14 Monate später nicht IdP werden können.

Gerüchte kommen aus dem Ministerium

Unschuldig in schräges Licht gerückt wurde in der jüngsten Sitzung am Freitag sogar Klenk selber. Der inzwischen pensionierte Staatssekretär ist ebenfalls zum zweiten Mal geladen und er traut seinen Ohren nicht, als Ausschussmitglieder von SPD und FDP eine Mail aus dem vergangenen August und vor allem Passagen eines Briefes zitieren, der das Gremium erst Montag vor einer Woche erreicht hat. Absender: das Innenministerium. Der Inhalt ist brisant, denn mit einem Mal werden die entlastenden Auskünfte über Michelfelder, die Klenk selber offiziell erhalten und im Namen des Ministers übermittelt hatte, als unzutreffend dargestellt. Wohlgemerkt Wochen nach der Erkenntnis, dass an den Unterstellungen nichts dran ist. "Ich habe das, als ich heut hier angereist bin, für unvorstellbar gehalten", sagt der ehemalige Landtagspräsident an einer Stelle, "ich glaube jetzt gar nicht mehr", an einer anderen, als sich herausstellt, dass das Ministerium insinuiert, die Untersuchungen der Vorwürfe gegen Michelfelder seien noch im Gange.

Wieder stellt sich die Frage nach dem Warum. Die überraschende Volte könnte Gehring nützlich sein, weil jetzt argumentiert wird, er habe doch völlig zu Recht nachgefragt im Innenministerium. Und sie könnte dazu dienen, die Verdächtigungen am Köcheln zu halten. Zumal der Stuttgarter CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler in laufender Sitzung bereitwillig sekundiert, indem er als Zeuge eigene frühere Aussagen so einstuft: "Das heißt, dass Michelfelder nicht die Wahrheit gesagt hat." Und dass Gehring sich "absolut korrekt" verhalten habe. Da wird die Sitzung unterbrochen, hinter verschlossenen Türen geht es zur Sache. Anschließend muss Löffler zurückrudern. Klenk hat da schon seit einiger Zeit einen hochroten Kopf, macht zuerst aus seinem Ärger, dann auch aus seiner wachsenden Empörung kein Hehl und stürmt am Ende seiner fast dreistündigen Vernehmung wortlos aus dem Plenarsaal.

Mit Klenk werde ein früherer Staatssekretär in Schwierigkeiten gebracht, kommentiert SPD-Obmann Sascha Binder, neues Gerede verbreitet, nur um Gehring besser dastehen zu lassen: "Dabei hat der die Fehler gemacht." Und Gehring bleibt zu viele Antworten schuldig. Zum Beispiel auf eine Frage, die schon sein ehemaliger Chef selber aufgeworfen hatte. "Wir sind immer gut miteinander ausgekommen", sagte Michelfelder über den früheren Mitarbeiter in der Führungsgruppe Staatsschutz, "und ich war wirklich verwundert darüber, dass er, wenn diese Gerüchte ihm zugetragen werden, mich nicht selber darauf angesprochen hat."

Wer nicht aufklären will, muss gehen

Außerdem will der 44-jährige Gehring, der zu allem Überfluss erst vor wenigen Wochen noch neuer Polizeisprecher seiner Fraktion wurde, partout die Quelle nicht nennen, die ihm die Anschuldigungen zugetragen haben soll. Es steht ihm als Abgeordneter frei zu schweigen. Seine weitere Mitarbeit im Ausschuss ist aber in Schieflage, weil er sein Wissen nicht teilt. Für die Opposition ist dieser Zustand unhaltbar, für die CDU nicht.

Dabei haben immer mal wieder Abgeordnete ihre Tätigkeit in solchen Ausschüssen – freiwillig oder gedrängt – schon aus deutlich geringerem Anlass beendet, um das Gremium und seine Aufklärungsarbeit nicht zu belasten. Einer heißt Volker Schebesta und ist heute Staatssekretär im Kultusministerium. Der CDU-Obmann hatte während zweier Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum EnBW-Rückkauf SMS erhalten vom Hauptakteur in dem Deal, nämlich Stefan Mappus. Schebesta nahm seinen Hut, weil die Berichterstattung über den Vorgang "dem Eindruck von der Arbeit der CDU-Mitglieder im Untersuchungsausschuss (…) schadet".

Die Einlassung von damals ist kein schlechter Maßstab für das Vorgehen von heute. Die Opposition rollt die Causa direkt vor die Tür des künftigen CDU-Landesvorsitzenden, Fraktionschef Manuel Hagel. "Es gibt einen klaren Interessenskonflikt", analysiert Binder, denn Gehring berufe sich auf das ihm als Abgeordnetem zustehende Aussageverweigerungsrecht. In seiner Rolle als Ausschussmitglied stelle er damit sein Aufklärungsinteresse hintan. Dennoch bekennt CDU-Obfrau Christiane Staab in entwaffnender Offenheit, Gehrings Ausscheiden habe "nie zur Diskussion gestanden".

Das muss nicht so bleiben. Für die nächste Sitzung sind Beschäftigte aus der Pressestelle des Innenministeriums in den Zeugenstand geladen. In den Fokus rückt dann noch einmal der Innenminister, und dass er das Schreiben eines Renner-Anwalts an den Journalisten Franz Feyder von den "Stuttgarter Nachrichten" weitergegeben, dies aber monatelang verschwiegen hatte – während die Justiz und sein Ministerium das Leck suchten. Es wird aber auch um Michelfelder gehen. Denn mehrere Vorwürfe, darunter, der Präsident habe seinen Hund mit ins Büro genommen, waren an einen weiteren Pressevertreter durchgestochen worden. In diesem Fall erübrigt sich die Frage nach dem Warum.


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1 Kommentar verfügbar

  • Kurt Mailänder
    am 04.10.2023
    Antworten
    Staatssekretär a. D. Klenk hat in dieser Sitzung die Kommunikation seines ehemaligen Ministeriums mit ihm als "Sauerei" bezeichnet. Das lässt tief blicken.
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