B-Polit-Promis schaffen es nicht oft in die Samstagabend-Tagesschau, noch dazu als erste Nachricht. Dem in Konstanz geborenen promovierten Arbeits- und Sozialrechtler, Richter am Amtsgericht in Villingen-Schwenningen, gelang nicht nur das, er sorgt auch für jede Menge Aufregung in der realen und der digitalen Welt. Als erster und für etliche Stunden einziger Christdemokrat wagte Christian Bäumler sich aus der Deckung nach Merz' "Entgleisungen, die mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar sind". Es sei "ein Unding", die Behauptung in die Welt zu setzen, abgelehnte Asylbewerber ließen sich hierzulande die Zähne machen und nähmen Deutschen die Termine weg. Und er findet es "sehr schade", dass der Bundesvorsitzende keinen Weg zur Richtigstellung gefunden habe.
Bäumler ist nicht wegzudenken aus der baden-württembergischen Landespolitik: immer aktiv auf CDU-Parteitagen, immer konfliktbereit, dabei ruhig im Ton, hart in der Sache, und immer auf der Seite derer, die Beistand brauchen. "Unser gutes Gewissen" nennt ihn ein Landtagsabgeordneter, "megaintelligent" eine Kollegin aus der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Die CDA versteht sich als "Sozialflügel" der Partei, mit für schwarze Verhältnisse vergleichsweise progressiven Positionen auf vielen Feldern. "Wir engagieren uns vor allem in der Sozial- und Gesellschaftspolitik, für sichere und auskömmliche Renten, für eine auf Beschäftigung ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik, für Gesundheitsschutz in der Arbeitswelt, für eine menschenwürdige Pflege, für verlässliche und solidarische Sozialversicherungen", heißt es in einer Selbstdarstellung.
Und in der Flüchtlingspolitik. Schon Mitte des vergangenen Jahrzehnts warb Bäumler dafür, europäische Werte "nicht unter die Räder kommen zu lassen". Die Botschaft gilt bis heute: "Gerade wenn es kompliziert wird, müssen wir glaubwürdig bleiben." Die Kritik an Merz verbindet er mit einem bemerkenswerten Verb, um die Stimmung an Teilen der Basis zu beschreiben: Viele Mitglieder schämten sich für die Äußerungen des Parteichefs, dem er sogar nahelegt, auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten. Aus der CDA-Geschäftsstelle in Berlin wird berichtet, dass sich Kritik und Zustimmung an seinem öffentlichen Tadel die Waage halten.
Nicht die CDU, der DGB zeichnet ihn aus
Damit kann er gut leben, weil es zu seinem Selbstverständnis gehört, wider den Stachel zu löcken. Gemeinschaftsschulen, Bildungszeitgesetz, Rente, Mindestlohne, Transparenz, Cannabis für Schwerkranke, begleitetes Sterben: Er melde sich "meist ruhig und wohlüberlegt" nicht nur zu Wort, öffentlich und intern, sondern "er argumentiert die Dinge immer durch", heißt es unter Kolleg:innen. Kein Landesparteitag ohne Auftritt, kein sozial- oder arbeitsmarktpolitischer Vorschlag ohne Stellungnahme, und das seit 1998, seit er erstmals zum Landesvorsitzenden der CDA gewählt wurde, um sofort mit weitreichenden Vorschlägen auf sich aufmerksam zu machen. Einerseits inhaltlicher Art, etwa zu einen Lastenausgleich zwischen Unternehmen, zugunsten jener mit Ausbildungsplätzen, aber auch zur Ausrichtung der Union insgesamt, die die Bundestagswahl gerade verloren hatte: "Wir müssen wieder eine Politik machen, die sich an der christlichen Soziallehre ausrichtet."
Dieses Verständnis vom hohen C trägt Bäumler auch nach Brüssel. Dort gehört er dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) an, der Rat, Parlament und Kommission berät als "Stimme der organisierten Zivilgesellschaft Europas". Bis zu 200 Stellungnahmen und Berichte legt der Ausschuss jährlich vor. Besonders wichtig ist seine Tätigkeit dann, wenn kleine Länder die Ratspräsidentschaft führen. Es geht um die praktische Umsetzung ethischer Werte in der Arbeitswelt, um Mindestbedingungen, Antidumping oder Transparenz. "Da ist viel Spannendes zu bewegen", sagt der 56-Jährige, der sich den Gewerkschaften eng verbunden fühlt – als Verdi-Mitglied und weil sein Großvater christlicher Gewerkschafter war, bis 1933 die Nazis kamen. Vor zwei Jahren wurde ihm die Hans-Böckler-Medaille verliehen, die höchste Auszeichnung, die der DGB für ehrenamtliches Engagement vergibt. "Für ihn gilt nicht: Sozial ist, was Arbeit schafft, sondern Arbeit muss sozial und menschenwürdig sein", so der damalige DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann. Und sogar CDU-Landeschef Thomas Strobl lobte den Unbequemen als eine "ohne Zweifel herausragende Persönlichkeit". Er verkörpere "die Tradition der katholischen Soziallehre, sehr zum Wohl der abhängig Beschäftigten, der Tarifautonomie und des Wohlfahrtsstaats".
Geschlossenheit ist kein Wert an sich
Das hört sich gut an, inhaltlich allerdings ist das Verhältnis zwischen Bäumler und der Südwest-CDU schon lange nicht das beste. Im Januar, beim traditionellen Treffen zum Jahresauftakt im Kloster Schöntal, brach der Konflikt wieder einmal offen aus. Bäumler hatte dem Landesverband und dessen Vorsitzenden Profillosigkeit vorgeworfen, musste daraufhin selbst harte Kritik einstecken, weil solche Konflikte, wie es im Landesvorstand hieß, nicht öffentlich ausgetragen werden dürften. Ralf Stoll, Reutlinger Kreisschatzmeister und Mitglied des Landesvorstands, fuhr schweres Geschütz gegen den prinzipientreuen Parteifreund auf: Der lasse es am Willen zur Geschlossenheit fehlen, spiele sich in den Vordergrund und mache mit seinen öffentlichen Äußerungen alles kaputt, was von anderen aufgebaut werde, statt sich intern einzubringen. Der Angesprochene explodierte: "Das ist schlicht gelogen." Andere Vorständler bestätigen, dass er sich ständig an den Diskussionen im Führungsgremium beteiligt. Und er selbst nimmt für sich in Anspruch, vor Parteitagen so viele Anträge zu erarbeiten, dass es schon mal heiße, die könnten aber nun wirklich nicht alle behandelt werden.
Überhaupt Geschlossenheit, "die ist doch keine Einbahnstraße", sagt Bäumler im Kontext-Gespräch, und werde ausgerechnet von jenen eingefordert, die nicht sachlich kritisieren, sondern "auf die Pauke hauen". Die Bundesregierung mache viel falsch in der Vermittlung von Politik, gerade in heiklen Fragen von Flucht und Integration, aber gerade deshalb sei die Union gefragt, sich inhaltlich und konstruktiv zu Wort zu melden, statt Populisten in die Hände zu spielen. Von der eigenen Partei und der Akzeptanz einer derartigen Tonlage hat der CDAler, der dort seit mehr als zehn Jahren auch im Bundesvorstand sitzt, eine klare Einschätzung: 15 Prozent seien für einen Rechtskurs, 15 Prozent klar dagegen, "und 70 Prozent warten ab". Gerade deshalb sei Führung in die richtige Richtung so wichtig. In der Migrationspolitik heiße das: "Humanität und Ehrlichkeit."
Eine Kombination, an der sein Bundesvorsitzender – ganz offensichtlich – nicht interessiert ist. Denn der von so vielen Seiten, Zahnärzt:innen inklusive, Kritisierte nahm seine falschen Vorhalte nicht zurück, sondern legte am vergangenen Wochenende sogar noch nach. Er bekenne sich dazu, "zu diesem Thema auch mal kritisch was zu sagen, da muss nicht gleich die ganze Republik in Schnappatmung verfallen". Dabei ist der Ausritt bekanntlich kein Einzelfall dieses Parteifreundes aus dem Sauerland, der noch vor wenigen Jahren als Blackrock-Manager mit Millionen und Milliarden dealte. Gerade auf dem heiklen Feld der Migrationspolitik, verlangt Bäumler, "müssen wir unsere Wertegrundlage deutlich machen und damit die Unterschiede zur AfD". Boris Rhein in Hessen, Hendrik Wüst in NRW oder Daniel Günter in Schleswig-Holstein seien in der Lage, sachlich zu kritisieren, statt auf die Pauke zu hauen. Und er sagt noch etwas: Er hoffe, dies sei auch der künftige Kurs von Manuel Hagel für die Südwest-CDU. An Bäumler wird das auf keinen Fall scheitern.
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Hans Winkler
am 14.10.2023Als Aufsichtsrat hat er natürlich nichts mit den operativen…