Vom hohen Ross herab zu urteilen, verbietet sich. Denn es ist alles andere als einfach, sich im parlamentarischen Alltag konsequent gegen die Rechtsaußen-Opposition abzugrenzen und zugleich das historische Faktum zu akzeptieren: Bei der jüngsten Landtagswahl im März haben trotz aller Skandale fast eine halbe Millionen Baden-WürttembergerInnen ihre Stimme der AfD gegeben. Doch genau deshalb wäre es wichtig, nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen im Ringen mit und gegen die AfD. Und das im möglichst großen Zusammenhalt der anderen vier Fraktionen.
Doch davon konnte vergangene Woche, als der AfD-Mann Bert Matthias Gärtner nach zwei vergeblichen Anläufen Anfang Juli dann doch vom Landtag zum stellvertretenden Mitglied am Verfassungsgerichtshof (VerfGH) gewählt wurde, keine Rede sein. Zu viele Grüne wollten nicht mit Nein stimmen, sondern den 66-Jährigen per Enthaltung durchwinken. Zu viele Schwarze votierten sogar für den Kandidaten. Und die SPD? Die sah eine günstige Gelegenheit, bundesweite Aufregung zu entfachen und vor allem die Grünen vorzuführen.
Der Reihe nach: Auf Gärtner wird es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit niemals ankommen bei der Auslegung der baden-württembergischen Verfassung. Trotzdem hätte er nicht in Baden-Württembergs höchstes Gericht gewählt werden dürfen. Der gebürtige Dresdner stellte sich vor den ersten beiden Wahlgängen in einem Brief an die vier Fraktionsvorsitzenden von Grünen, CDU, FDP und SPD vor als Geschäftsführer oder leitender Mitarbeiter von Beratungsgesellschaften. Vornehmlich im pharmazeutischen und medizinischen Umfeld. Inzwischen ist er parlamentarischer Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten Carola Wolle (Wahlkreis Neckarsulm). Die wiederum wird schon mal als Hinterbänklerin beschrieben, ist aber in Wirklichkeit eine der profilierten ScharfmacherInnen in der AfD-Fraktion. Ihre Pressemitteilungen, ihre Reden und ihre Zwischenrufe in Plenardebatten legen mehr als deutlich Zeugnis davon ab.
Verfassungsgerichtshof formuliert Leitplanken
Die 57-Jährige, als einzige Frau in der neuen Fraktion inzwischen aufgestiegen zur stellvertretenden Vorsitzenden, ist nach Recherchen von keinealternative.blogspot.de Mitunterzeichnerin von Björn Höckes "Erfurter Resolution" und hat Beiträge des rechtspopulistischen Magazins "Compact" verlinkt. Wolle meint ernsthaft, "frühkindliche Masturbation mittels Doktorspielen soll [laut Bildungsplan] vermittelt werden", schreiben die AfD-WächterInnen im Netz. Als frauenpolitische Sprecherin arbeitet sie sich ebenso polemisch wie hartnäckig am "Gender-Wahn" ab, überdies wittert sie allenthalben eine "Hexenjagd auf die deutsche Sprache". Der Lufthansa unterstellt sie, ihr seien "offenbar" die Milliarden-Staatshilfen zu Kopfe gestiegen, weil sie Passagiere künftig nicht mehr als "Damen und Herren" begrüßen lässt, sondern nurmehr als "liebe Gäste", jetzt fehlten "nur noch Sitze in Regenbogen-Farben". Auch Frauenquoten stoßen bei Wolle auf scharfen Widerstand, denn die "schaffen höchstens in planwirtschaftlich-sozialistischer Manier Quotenfrauen".
Vor allem aber hatte sie schon einmal eine Mitarbeiterin namens Rosa-Maria Reiter. 2016 wurde die Pädagogin vom Landtag im zweiten Wahlgang und ohne nationale Beachtung mit 53 Ja-Stimmen nicht zur Stellvertreterin, sondern zur Richterin am VerfGH gewählt. Eine Tatsache, mit der vergangene Wochen auch Grüne argumentierten, als der Shitstorm in immer neuen Wellen über die Landtagsfraktion hereinbrach.
Tatsächlich spricht Reiters Wahl nicht dafür, sondern dagegen, Gärtner durchzuwinken. Denn aus ihrer Stellung als Mitarbeiterin und Büroleiterin leitete der Verfassungsgerichtshof selber eine Befangenheit in AfD-Verfahren ab und formulierte Leitplanken: Die Laienrichterin sei nicht nur mit Büroorganisation, "sondern mit der Recherche, dem Erarbeiten von Reden und Entscheidungsvorlagen sowie der Führung zweier Mitarbeiter beauftragt gewesen und hat damit einen Anteil an der politischen Meinungsbildung des Abgeordneten". Und: "Ein solches Arbeitsverhältnis setzt typischerweise ein nicht unerhebliches Maß an politischer Übereinstimmung und Vertrauen voraus."
Grüne winken AfD-Kandidaten per Enthaltung durch
Besonders schwer wiegt, dass der so einflussreiche parlamentarische Geschäftsführer Uli Sckerl selber nach den beiden ersten Wahlgängen den Eindruck zu erwecken versuchte, seine Grünen-Fraktion werde Gärtner beim neuerlichen Anlauf verhindern – durch Verschiebung des dritten Wahlgangs. "Das verschafft der AfD Gelegenheit, über ihren Kandidaten nachzudenken", begründete Sckerl seinen Antrag. Tatsächlich aber winkten die Grünen Gärtner per Enthaltung durch.
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