Bernhard Eisenhut sitzt im Plenarsaal – coronabedingt – in der letzten Reihe. Er ist Zahntechniker, verfügt über ein Bodenseeschifferpatent, war Immobilienmakler, hat Erfahrung gesammelt in Afrika, Israel und im Libanon als Aufkäufer oder Vermittler für Rohdiamanten und Waschgold, betreibt ein Schmuckgeschäft. Sein Internet-Auftritt ist zweisprachig. Бернхард Айзенхут kommuniziert auf Russisch und auf Deutsch. Er könnte gut ein weltgewandter, interessanter Gesprächspartner werden in der eben begonnenen 17.Legislaturperiode des baden-württembergischen Landtags, wäre da nicht dieser Satz, der Rechtsnationalisten bis Rechtsradikale verbindet in vielen europäischen Parlamenten. Er springt auf Eisenhuts Homepage sogleich ins Auge: "Holen wir uns unser Land zurück!"
Das verlangte in Österreich H.C. Strache, lange Zeit die Nummer eins der rechtsradikalen FPÖ, der ein Ibiza-Video lang seine undemokratischen Machtphantasien für immer dokumentierte. Das verlangen in Italien Matteo Salvini oder in Frankreich Marine Le Pen. Sie alle geben damit zu Protokoll, dass sie noch ganz andere Träume träumen als nur die von schönen Wahlergebnissen. Eisenhut, der im Singener Wahlkreis seines Vorgängers Wolfgang Gedeon überdurchschnittliche 11,3 Prozent einfuhr, verbindet damit die Idee, das Wahljahr 2021 als "unsere letzte Gelegenheit" zu nutzen. "Sind wir wachsam genug, um diesen Niedergang mit staatsdienlicher Pflicht zu hinterfragen und auch zu korrigieren?", will er wissen und hat einen Appell parat: "Legen wir diesen Staat wieder an die Leine!"
Der gebürtige Konstanzer ist schon aufgefallen an den ersten beiden Sitzungstagen, weil er sich erkennbar schwertut mit Traditionen und Ritualen im Hohen Hause. So ist es üblich, beim Auftakt einer Legislaturperiode den wichtigsten FunktionsträgerInnen nach ihrer Wahl Glückwünsche auszusprechen. Nur mühsam konnte sich Eisenhut dazu durchringen, Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) und ihren neuen Vizes Wolfgang Reinhart (CDU) und Daniel Born (SPD) durch Aufstehen die Ehre zu erbieten und am zweiten Tag Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Erinnerungen werden wach an 2016, als nach der Wahl Aras' sogar ein Auszug aus dem Plenarsaal diskutiert worden war.
Handschlag ist seit Neuestem drin
Diesmal schritt AfD-Fraktionschef Bernd Gögel ohne Zögern zum obligatorischen Handschlag, als gutes Beispiel in Sachen neuer Umgangsformen, die er anmahnt in der neuen Fraktion. "Wir müssen nicht der Spitzenreiter der Ordnungsrufe werden, das muss sich nicht wiederholen", so der 66-Jährige aus dem Wahlkreis Enz, der sich bei Kampfkandidaturen in Fraktion und Partei mehrfach gegen deutlich radikalere Parteifreunde durchsetzen konnte. Wenn manche der Ausgeschiedenen ihre Ziele nun außerhalb der Landtagsfraktion verträten, rief Gögel den Ex-KollegInnen emotionslos nach, "bin ich da nicht traurig".
Manche der eben erst ins Parlament Eingezogenen könnten jedoch durchaus in die Fußstapfen jener vom ganz rechten Rand treten. 2016 brachte es die AfD auf 23 Abgeordnete, darunter zwei Frauen, und wurde sogar die größte Oppositionsfraktion, vor SPD und FDP. Diesmal sind es nur noch 17, und Carola Wolle (Neckarsulm) ist die einzige Frau. Statt 809.564 mochten nur noch 447.309 Baden-WürttembergerInnen ihr Kreuzchen rechtsaußen machen. "Die AfD schnitt mit 9,7 Prozent insgesamt – wie die CDU – vor allem in kleineren Gemeinden überdurchschnittlich ab", stellt das Statistische Landesamt in einer ersten Wahlanalyse fest. In Städten mit mehr als 100.000 EinwohnerInnen komme sie nur auf 7,3 Prozent. Hotspots sind Rastatt (16,8), Pforzheim (16,4) sowie Crailsheim (15,1 Prozent). Ihre besten Ergebnisse erzielen sie dort, wo die Bevölkerungsdichte vergleichsweise gering ist und das produzierende Gewerbe stark. Wären hingegen die Wahlkreise Stuttgart I und II stilbildend, wäre die Partei landesweit an der Fünf-Prozent-Hürde gestrauchelt.
Aber Freudenstadt oder Calw, Tuttlingen, Schwäbisch Gmünd oder der Wahlkreis Göppingen sind eben anders. Letzteren vertritt Hans-Jürgen Goßner, ein 50-jähriger Industriemeister. Er möchte, dass Einwanderung nach Deutschland "an die Frage des Nutzens für unsere Gesellschaft geknüpft wird: Der Integrationswille, an dessen Ende die Assimilation stehen muss, ist eine unverhandelbare Bringschuld". Gar nicht verstehen mag er, wie Bund und Land ihre Mittel verteilen, weil dies nicht "zum Wohle des Deutschen Volkes" geschehe. Eine Milliarde Euro gegen einen rechten Popanz, den es aber gar nicht gebe – dieses Geld werde dringend gebraucht an anderer Stelle, etwa um die Folgen der Pandemie abzufedern.
AfD-Idee: Schwäbisch als interdisziplinäres Fach
"Im Landtag werde ich als Abgeordneter ein Augenmerk darauf legen, ob Steuermittel zum Wohle jener eingesetzt werden, die für das Steueraufkommen jeden Tag aufstehen und zur Arbeit gehen", verspricht Goßner. Das klingt markig für einen Vertreter der kleinsten Oppositionsfraktion. Natürlich heißen Grüne, CDU, SPD und FDP auch in seiner Welt "Kartellparteien". Und den Begriff der Willkommenskultur benutzt er nicht mehr wie üblich, sondern für "Un- und Neugeborene". Überhaupt, Abtreibungen "zu bagatellisieren oder sie gar zu einem 'Menschenrecht' zu erklären, lehne ich ab".
Hans-Peter Hörner (Balingen) wiederum will die Rückkehr zur Kernkraft. Als Biologe hält er eine Energiepolitik, "die auf eine weitere Vermehrung der Growiane setzt", für verfehlt. Growian war in den 1980er Jahren der erste Windkraftversuch in Deutschland. Denn, so Hörners Begründung: "Der Landschaftsverbrauch dieser Windräder beträgt mehr als das 100fache eines konventionellen Kraftwerks. Sie gefährden durch entsprechenden Infraschall die Gesundheit des Menschen und unsre Mitgeschöpfe." Ruben Rupp (Schwäbisch Gmünd) will den Ausbau der Windkraft ebenfalls stoppen, fordert die "GEZ-Zwangsgebühren restlos abschaffen" oder dass "große Online-Plattformen nicht länger Personen und Beiträge willkürlich zensieren oder löschen dürfen". Eher in die Abteilung für Skurrilität passt die Idee, "Schwäbisch als interdisziplinäres Fach unterhalb der Hochschulebene einzuführen".
Apropos Sprache: Joachim Steyer (Hechingen-Münsingen), der gebürtige Bremer und selbstständige Gas- und Wasserinstallateurmeister, lehnt die weibliche Form der Anrede – konkret Bürgerinnen – ab und kann sich, sollte die Chance kommen, vorstellen, dass "wenn CDU und FDP in wichtigen Kernpunkten bereit wären, im Rahmen einer Duldung oder gar einer Koalition AfD-Politik umzusetzen", gemeinsam mit den genannten zu regieren. Miguel Klauß (Calw) hat regional bereits für Schlagzeilen gesorgt, weil er bei den Kommunalwahlen 2019 zwar angetreten, nach einem Wohnortwechsel aber gar nicht wählbar war. Uwe Hellstern (Freudenstadt), ein früherer Genosse, bekennt in der Neckar-Chronik sogar, 2011 Winfried Kretschmann gewählt zu haben "in der Hoffnung, dass die Grünen seine Vorstellungen von Umweltschutz am ehesten umsetzen". Was allerdings nicht eingetreten sei. Daniel Lindenschmid (Backnang) war Referent bei dem inzwischen aus der AfD ausgetretenen, früheren Landtagabgeordneten Lars-Patrick Berg, der heute im Europaparlament sitzt und nicht (mehr) will, dass Deutschland die EU verlässt.
Christina Baum bedient weiter munter die rechte Blase
Mag also sein, dass manche der Neuen Gögel weniger Arbeit machen werden als Altbekannte, falls er seine Ansagen mit Leben füllt. Ganz oben auf der Liste der verbliebenen Krawallmacher in der noch jungen Legislaturperiode steht jedenfalls Gögels ewiger Hardcore-Gegenspieler Emil Sänze. Der bedenkt den Ministerpräsidenten mit einer der sattsam berüchtigten Wortspenden: "Die Grünen meinen, die Republik gehört ihnen. Dass Kretschmann ein Altmaoist und prominenter Funktionär der Linksextremistenpartei Kommunistischer Bund Westdeutschlands gewesen sei, ist ja allgemein bekannt. Dass er nun gleichzeitig die Regierungsbank und den Ehrenplatz im Parlament beanspruche, das zeige die ganze Verachtung Kretschmanns und der Grünen für die Gewaltenteilung, für den parlamentarischen Betrieb und für die Würde der Volksvertretung: Es ist im Grunde längst die gleiche Erbhof-Mentalität der Filbinger-CDU."
Und zu allem Überfluss will die AfD-APO ebenfalls weiterhin mitmischen, allen voran Christina Baum. Sie bedient weiterhin munter "als süddeutsche Stimme" die Blase von Björn Höckes Flügel. "Grüne sind die Totengräber unseres freiheitlichen Lebens", lautet eine ihrer jüngsten Botschaften. Mit Parteifreunden im Parlament eint sie in jedem Fall die anhaltende und durch keinerlei wissenschaftliche Fakten zu erschütternde Corona-Skepsis. Der wiederum frönt Eisenhut ebenfalls, wenn er Andersdenkende einem Mechanismus ausgesetzt sieht, "der eben nur noch eine Meinung und schon gar keine mehr Kritik duldet, einer Art neuem Totalitarismus, der sich wie ein Krebsgeschwür durch unsere Gesellschaft gefressen hat und dabei vom 'Otto Normalverbraucher' bis dahin aber gar nicht wahrgenommen wurde". Der richtige Radar funktioniert dagegen ganz ordentlich, denn fast 89 Prozent derer, die im Wahlkreis Singen zur Wahl gegangen sind, haben nicht die "Alternative für Deutschland" gewählt.
2 Kommentare verfügbar
SSV Ulm 1846 - aweng asozial, aber immer antifaschistisch!
am 19.05.2021Hassprediger
Rassisten
Turbokapitalisten
Völkische Denkweisen
= purer Faschismus!
Dies ist alles bekannt und dokumentiert. Wer heutzutage noch AfD wählt, ist vom selben Schlag wie die Nationalsozialisten. Und hinterher hat man anscheinend von nichts gewusst. Was für…