Es ist nicht normal, es ist aber Alltag geworden, dass die Truppe vom rechten Rand jede Gelegenheit nutzt, um Zeugnis abzulegen von ihren Irrungen. Am vergangenen Donnerstag traf sich der Sozialausschuss zu einer von SPD und FDP beantragten Sondersitzung, bei der die sozialdemokratische Fraktionsvize Sabine Wölfle Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) grillen wollte. Über die Weisheit dieser Strategie ließe sich trefflich streiten angesichts der Hoffnung der Roten, demnächst wieder mit den Grünen zu regieren – aber immerhin, solche Attacken bleiben im Rahmen des Üblichen, selbst wenn Wölfle dem Minister vorwirft, im Plenum nicht die Wahrheit über Corona-Testungen und -Tote gesagt zu haben.
Den Rahmen des Üblichen sprengte dagegen Christina Baum (AfD) – wie immer, wenn sie das Wort ergreift. Die promovierte Zahnärztin mit DDR-Wurzeln ist eine Verweigerin politischer Realitäten, seit sie beschlossen hat, das Volk vertreten zu wollen. In den Wahlkampf 2016 zog sie unter anderem mit der haltlosen Behauptung, hierzulande würden Kinder in der Schule mit einem Sexkoffer traktiert. In ihrem Wahlkreis Main-Tauber bekam sie dafür und für all den anderen Unsinn damals überdurchschnittliche 17,2 Prozent. Jetzt, im Sozialausschuss, will sie vom Minister wissen, wie es denn um die "zahlreichen Todesfälle im Zusammenhang oder kurz nach der Impfung" stehe. Ein Video habe sie gesehen von Rettungssanitätern mit starken Nebenwirkungen, "wesentlich stärker, als wenn eine Infektion stattgefunden hätte". Regelmäßig wirft ihre Fraktion dem Grünen Totalversagen vor.
Zur Wahrheit gehört, dass ein rauerer Ton schon 2011 ins Landesparlament einzog, als sich CDU und FDP auf den harten Bänken der Opposition wiederfanden und diese ungeliebte Rolle nicht gerade konstruktiv auslegen mochten. Vor allem wenn neue weibliche Abgeordnete der Grünen, überraschend dekoriert mit dem prestigeträchtigen Direktmandat der Stimmenkönigin in ihrem Wahlkreis, ans Rednerpult gingen, wurde es unangenehm heftig und laut – zuweilen bis unter die Gürtellinie. Die immerwährenden Dauerstörungen, die stupiden Angriffe auf die im AfD-Jargon so genannten Alt- oder Kartellparteien, auf alle klassischen Medien, aufs öffentlich-rechtliche Gebührensystem, die hartnäckige Perfidie, mit der viele Reden in der Kritik an Multikulti gipfelten, an der Aufnahme von Geflüchteten oder dem angeblichem Linksextremismus, wurden Alleinstellungsmerkmal einer Alternative, die keine ist.
Die Reaktionen der anderen Fraktionen auf diese Sorte System- und Demokratieverachtung fallen unterschiedlich aus. Häufig lassen ihre RednerInnen solche Tiraden ins Leere laufen, um sie nicht auf noch aufzuwerten. Denn Widerspruch, das haben die vergangenen fast fünf Jahre gelehrt, reizt die Rechten erst recht. Vieles darf aber auch nicht einfach so stehen bleiben, schon gar nicht in Plenardebatten, deshalb hagelte es von Anfang an Ordnungsrufe, die aber in aller Regel keinerlei nachhaltige Mäßigung zur Folge haben. Oft mühen sich nach AfD-Auftritten die Fraktionschefs und die anderen Abgeordneten von Grünen und CDU, von SPD und FDP redlich, die Dinge wenigstens einigermaßen wieder ins Lot zu bringen.
Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann überlegte lange Zeit, ob Reden oder Schweigen das Mittel der Wahl ist. Tatsächlich hielt er sich lange auffallend zurück, irgendwann senkte er doch die Hörner gegen "die Klimaleugner hier auf der rechten Seite". Wissenschaft kläre schon seit dem ausgehenden Mittelalter öffentlich die Fakten, erinnert der frühere Lehrer, deshalb gehöre es zu den "allergrößten Errungenschaften der Menschheit, dass jeder Wissenschaftler öffentlich nachvollziehbar darlegen muss, was er erforscht hat, damit es nachgeprüft werden kann". Das verneine die AfD aber, und deshalb sei die AfD "eine gefährliche Gruppierung".
Heinrich Fiechtner rüpelt sich durch
Nicht nur für Kretschmann liegen die Folgen auf der Hand: Wer sich weigere, wissenschaftlichen Fakten zu folgen oder wissenschaftlichen Thesen andere überprüfbare entgegenzusetzen, "der legt die Axt an eine freie Gesellschaft". Eine Gesellschaft müsse sich auf Tatsachen und Wahrheiten einigen können, denn das sei der Grundbestand der Demokratie, "sonst schlagen wir uns am Ende mit Verschwörungstheorien die Köpfe ein". Hier dokumentierte das Protokoll den Zwischenruf eines Mandatars, der den Landtag fünf Jahre lang aufs rüdeste mit seinen Kommentaren gepeinigt hat. "In Amerika gibt es das doch schon!", brüllte der aus der AfD ausgeschiedene Heinrich Fiechtner aus seiner letzten Reihe voller Begeisterung – das war gut ein Jahr vor der Erstürmung des Kapitols in Washington mit fünf Toten.
5 Kommentare verfügbar
SSV Ulm 1846 - aweng asozial, aber immer antifaschistisch!
am 26.02.2021Keine Zusammenarbeit mit Faschisten, soviel Geschichtswissen sollte selbst einem potentiellen AfD-Wähler…