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Susanne Eisenmann

"Ich mag ihn"

Susanne Eisenmann: "Ich mag ihn"
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Es hat Seltenheitswert in der Politik, wenn der Gegner nicht niedergemacht wird. Susanne Eisenmann (CDU) macht keinen Hehl aus ihrer Wertschätzung für Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), den sie im Amt ablösen will. Im Kontext-Gespräch bietet sie noch weitere Überraschungen.

Bisweilen guckt Susanne Eisenmann, 56, ganz keck, so nach dem Motto: Gell, des hätten'S jetzt net denkt. Etwa wenn sie sagt, sie möge Kretschmann. Grimmiger wird ihr Blick, wenn sie über die spricht, die über sie berichten: die Medien. Dann zwirbelt sie ein Papier durch die Finger, die vor zwei Jahren noch die eine oder andere Zigarette gehalten haben. Der Befragende hat schon ein Jahr früher aufgehört und kann deshalb ruhiger auf die Ministerin schauen. Mit Abstand, aber live bei Kaffee und Kuchen.

Frau Eisenmann, Respekt für Ihre Reaktion auf die Brustkrebserkrankung von Gerlinde Kretschmann. Sie haben sich sehr betroffen gezeigt und alles Gute von Herzen gewünscht. Das hatte ich so nicht erwartet.

Ich habe genau das gesagt, was ich empfunden habe. Das war ehrlich und aufrichtig. Wenn es nicht so gewesen wäre, hätte ich geschwiegen.

Politik ist eigentlich keine empathische Veranstaltung.

Wir beklagen doch alle zusammen eine immense Verrohung in der Gesellschaft. Mir ist es wichtig, Respekt und Wertschätzung anderen Menschen gegenüber vorzuleben. Auch im politischen Geschäft. Insofern waren meine guten Wünsche für Frau Kretschmann selbstverständlich von Herzen gekommen.

Ihr öffentliches Bild ist ein anderes: ruppig, arrogant, autoritär.

Wer mir unterstellt, mir fehle es an Empathie und Warmherzigkeit, kennt mich nicht. Aber es ist eben eine wunderbare Geschichte, die immer wieder erzählt wird: Die Eisenmann hängt kläffend am Bein von Winfried Kretschmann, dem beliebten Landesvater.

Ihr Mann Christoph Dahl sagt sogar, Sie würden Kretschmann mögen. Und der muss es wissen.

Das ist so. Ich schätze Herrn Kretschmann, ich mag ihn, ich kann mich glänzend mit ihm unterhalten, daraus mache ich keinen Hehl. Auch das gehört für mich zur Aufrichtigkeit. Das ändert aber nichts daran, dass Kretschmann grün ist und ich CDU.

Temporäre Abweichlerin

Susanne Eisenmann ist ein Kind des CDU-Kosmos'. Mit 16 in die Junge Union, Stadträtin von 1994 bis 2005, danach Stuttgarter Bürgermeisterin bis 2016, anschließend Kultusministerin. Für ihren Mentor Günther Oettinger hat sie 14 Jahre lang (1991 bis 2005) das Büro geleitet. In dessen Diensten stand auch ihr Mann Christoph Dahl als Regierungssprecher. Heute ist er Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung. Über die Jahre hat sich die promovierte Germanistin den Ruf einer temporären Abweichlerin erarbeitet, etwa als sie 2010 eine Baupause bei Stuttgart 21 forderte. In ihrem Wahlkreis Stuttgart II trifft sie nun auf den damaligen Mitstreiter Winfried Hermann (Grüne), mit dem sie sich gemeinsame Veranstaltungen vorstellen könnte. Aktuell überraschend kommt auch ihre Kritik am Autobauer Daimler, der milliardenschwere Dividenden ausschüttet – und Corona-Hilfen kassiert.

Bei aller urbanen Liberalität darf nicht übersehen werden, dass die 56-Jährige fest auf dem Boden der konservativen Grundordnung der Partei steht: Heimat, Familie, Eigenheim, nicht zu vergessen die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie, die heute auch von der CDU verkündet wird. Vor diesem Hintergrund hat ihr Engagement für Blackrocker Friedrich Merz wiederum erstaunt. (jof)

Wenn frau Position bezieht, fliegen die Klischees tief?

Ich stelle immer wieder fest, dass Frauen, die einen Führungsanspruch haben, ermuntert werden, ihn umzusetzen, und wenn sie's dann tun, als kalt, egoistisch und ruppig bezeichnet werden. Männer dagegen sind dann durchsetzungsstark und zeigen Kante. Das hat mich am Anfang getroffen, inzwischen trage ich es mit Fassung. Kalt lässt es mich aber immer noch nicht, dazu bin ich nicht abgebrüht genug.

Es soll Chefredakteure geben, die fragen, warum Sie sich den Tort der Kandidatur überhaupt antun? Klappt doch eh nicht.

Ich sollte vielleicht daran erinnern, dass nicht Verlagshäuser über Wahlen entscheiden, sondern die Bürgerinnen und Bürger. In einer Mediengesellschaft, die sich immer weiter ausdifferenziert, sind andere Fragen zu stellen: Welchen Einfluss haben die klassischen Medien überhaupt noch? Wie begründet man kritischen Journalismus, den ich in einer Demokratie für existenziell wichtig halte, noch inhaltlich? Müsste Journalismus nicht unvoreingenommener und recherchestärker sein? Warum verliert man Leserinnen und Leser?

Den Ball könnten wir auch an die Politik zurückspielen.

Das stimmt schon. Wir bewegen uns gemeinsam in einer Blase, wir sind zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Wir betreiben ein waberndes Geschäft, in dem Themen diskutiert werden, die 50 Prozent der Bevölkerung gar nicht wahrnehmen. Ich versuche aus dieser Blase heraus zu kommen, indem ich viel mit den Leuten rede. Meine digitale Veranstaltung "Eisenmann will's wissen", an der schon Tausende teilgenommen haben, macht mir sehr viel Freude.

Uns haben Ihre Wahlplakate entzückt: "CDU wählen, weil wir Verbrecher von heute mit Ausrüstung von morgen jagen". Das triggert granatenmäßig.

Bei der Bevölkerung sind sie sehr gut angekommen. Alles richtig gemacht. Keine Rechtschreibfehler, richtiger Inhalt, breite Debatten darüber, auch in den Medien. Alles in unserem Sinn.

An den Rodelhängen in Möhringen sind Kinder gesehen worden, die auf Ihrem Konterfei den Buckel runter gerutscht sind.

Das ist doch schön. Sehr praktisch genutzt. Wunderbar. Kinder brauchen Bewegung, Freude und frische Luft. Und wenn ich dazu beitragen kann, macht mich das glücklich. Wir haben noch mehr Plakate für den nächsten Schnee.

Wir vermissen eines mit Günther Oettinger drauf. Er müsste doch sagen: Wählt Eisenmann, meine frühere Büroleiterin.

Oder: Echt, ehrlich, Eisenmann. Günther Oettinger sagt das auch, aber nicht auf Plakaten, nicht in Interviews, sondern in bisher 15 Wahlkampfveranstaltungen, in vielen Gesprächen mit den Leuten. Er ist nach wie vor sehr beliebt in Baden-Württemberg, und ich habe viel von ihm gelernt. Seine Zugewandtheit, die Toleranz, die hohe Präsenz, aber auch das Spielerische, das Gambling. Das hat mir immer sehr viel Freude gemacht.

Sagen wir's mal so: Eine gewisse Unkonventionalität ist Ihnen beiden eigen. Und damit ist auch das leicht liberale Oettinger-Lager gemeint, das vielen Teufel-Freunden suspekt ist. Und die gibt es immer noch.

Das mag bei den Älteren noch präsent sein, prägt die Partei aber Gott sei Dank nicht mehr. Die Jungen fragen eher: Huch, war das mal so mit den beiden Lagern? Ich wäre 2019 wohl kaum mit überwältigender Mehrheit zur Spitzenkandidatin gewählt worden, wenn es diese Spaltung noch gäbe. Trotzdem werden Sie immer jemanden finden, der dieses oder jenes ganz schrecklich findet.

Zuletzt war das Hans Georg Koch, der ehemalige Sprecher von Erwin Teufel. Er ist nach 40 Jahren aus der CDU ausgetreten, weil er Ihre Corona-Politik nicht mehr mittragen wollte.

Herr Koch ist in der Tat nie durch eine besondere Affinität zu Herrn Oettinger und mir aufgefallen – auch nicht, nachdem er von Teufel geschasst wurde. Ich nehme an, er wollte nochmals einen großen Aufschlag für sich, was ihm auch gelungen ist. Die Berichterstattung über seinen Austritt war jedenfalls beachtlich, gemessen daran, dass ihn in der Bevölkerung niemand kennt. Die Journalisten haben das Thema dankbar aufgegriffen.

Dann müssten jetzt nur noch die Wählerinnen und Wähler mitspielen. Tun sie aber nicht. Selbst die schwarze "Schwäbische Zeitung" hält einen CDU-Sieg nach den letzten Umfragen für "sehr unwahrscheinlich".

Sind das Umfragen von diesem Hohenheimer Professor*, der sich gerne einen Korridor von sieben Prozent zwischen oben und unten offenhält? Aber Scherz beiseite: Die Demoskopen sagen uns, dass das Wahlverhalten immer unberechenbarer wird. Das reicht bis dahin, dass die Anzahl derer, die nicht mehr wissen, wem sie vor fünf Jahren ihre Stimme gegeben haben, deutlich zunimmt. Hinzu kommt, dass sie sich immer kurzfristiger entscheiden. Richtig zusammengezählt wird am 14. März.

Ganz schön frustrierend, diese Volatilität, wenn man sich fünf Jahre die Hacken abgerannt hat.

Eine echte Herausforderung, ja, aber so ist die Welt. Ich erinnere mich an den berühmten Staatssekretär Erich Hägele, der bei der Beliebtheit in der Landespolitik immer einen Spitzenplatz belegt hat. Kurz hinter Teufel, Späth oder Mayer-Vorfelder. Dieser Hägele hat nie existiert.

Um das zu verkraften, braucht man wohl ein sonniges Gemüt.

Eine schöne Kindheit tut's auch schon. Mein Vater war Fensterbauer, die Mutter Übersetzerin beim Daimler, alles solide und immer anregend. Ich konnte neugierig durch die Welt wackeln, ohne gesagt zu bekommen, was ich zu denken habe. Und die Zeit im Gemeinderat und das Bürgermeisteramt haben mich sehr praxisnah gelehrt, wie das Leben so spielt. Ich habe gelernt, offen für meine Überzeugungen zu kämpfen, mich nicht zu verstecken, auch nicht hinter der Kanzlerin.

Das müsste in der Corona-Zeit helfen, den Kompass nicht zu verlieren.

Das tut es. Ich registriere sehr genau, dass die Menschen Angst haben. Sie wissen, es wird am Montag nicht mehr sein wie früher, wenn samstags zuvor das Virus verschwunden sein sollte. Eltern fragen mich, ob ihr Sohn noch einen Ausbildungsplatz bekommt, ob ihre Kurzarbeit in Arbeitslosigkeit endet, ob es je wieder so viel Beschäftigung geben wird wie in den vergangenen zehn Jahren? Das sind existenzielle Fragen, die auch den Wahlkampf prägen. Die Menschen erwarten von uns, dass wir die Krise bewältigen.

Andreas Stoch von der SPD wirft Ihnen dabei "Komplettversagen" vor.

Bei Herrn Stoch kann ich nur festhalten, dass er in den letzten drei Monaten dreimal eine Kehrtwende hingelegt hat. Zuerst musste alles dichtgemacht werden, dann nach Weihnachten Wechselunterricht, und heute will er alles zulassen. In Rheinland-Pfalz macht die SPD-Bildungsministerin Stefanie Hubig dasselbe wie ich und muss sich von der CDU vorwerfen lassen, komplett inkompetent zu sein.

Was können wir daraus lernen?

Dass wir es mit einer sehr komplexen Materie zu tun haben. Wir haben 1,5 Millionen SchülerInnen mit ihren Eltern, 4.500 Schulen, 130.000 LehrerInnen, und entsprechend viele Meinungen. Wenn jetzt Elternverbände geschlossene Schulen fordern, sagen 80 Prozent der Mütter und Väter: Um Gottes Willen, ticken die noch richtig? Ich mache mehrmals in der Woche Schaltkonferenzen mit Schülern, Lehrern und Eltern, berate mich mit Virologen, Schulpsychologen, Kinderärzten und Sozialarbeitern und alle gelangen überwiegend zu der Erkenntnis, dass die schrittweise Öffnung der Schulen überfällig ist.

Und dann pfeift Sie Kretschmann zurück.

Um es klar zu sagen: Ich stehe zu den Lockdowns ohne Wenn und Aber, dennoch müssen wir um den besten Weg, der uns herausführt, demokratisch streiten. Das halte ich für zwingend, vor allem in einer Zeit, in der die Grundrechte so massiv eingeschränkt sind. Es kann nicht sein, dass einer pfeift und die anderen hinterherlaufen.

Das ist jetzt keine taktische Position, mit der Sie bei den Eltern punkten wollen?

Nein, und das bitte ich mir wirklich abzunehmen. Es ist etwas ganz anderes, ob der Baumarkt oder die Schule zu ist. Wenn ich mich mit meinen Fachleuten berate, berichten sie mir von Kindern, die allein gelassen sind in schlimmen Wohnsituationen, in sozial instabilen Verhältnissen leben, familiärer Gewalt ausgesetzt sind. Deshalb war es ganz wichtig, dass wir jetzt wieder mit der Öffnung von Kitas und Grundschulen beginnen, wieder Struktur geben und den Blick öffnen. Ja, es geht um das Wohl unserer Kinder. Es wäre verheerend, wenn sie und ihre Familien zu den Verlierern dieser Pandemie würden.

Frau Eisenmann, was machen Sie am 15. März?

Morgens Kaffee trinken, danach in den Gremien über das Wahlergebnis diskutieren, und dann die Entscheidungen treffen, die analog zum Ergebnis anstehen.


* Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist der Hohenheimer Professor für Kommunikationswissenschaft und Wahlsternedeuter Frank Brettschneider.


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7 Kommentare verfügbar

  • Bernhardt Faaß
    am 28.02.2021
    Antworten
    Leserbrief zum Interview mit Frau Kultusministerin Eisenmann.
    Ich habe 2 Mails an Frau Eisenmann zu den Themen Digitalisierung in den Schulen und zum Lockdown geschrieben. Zum Thema Digitalisierung habe ich erwähnt, dass Neurologen für die Entwicklung des Gehirns der Kinder unter 12 Jahren, die…
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