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Nerven liegen blank

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Die Umfragezahlen sinken bundesweit unter zehn Prozent. Der Flügel soll aufgelöst werden, der AfD insgesamt droht die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Selbst in der Corona-Krise lebt die Partei ihren Hang zum Krawall im Parlament aus – sie wollte das Hilfspaket verzögern.

Ausgerechnet Dubravko Mandic. Der Freiburger Rechtsanwalt, AfD-Gemeinderat und Rechtsrechtsaußen, will den Strategen geben. In der aktuellen Situation um die Auflösung von Björn Höckes rechtsextremen "Flügel" hat er drei Szenarien entworfen: "a) Erklärung der Auflösung durch Verzicht auf Durchführung von Versammlungen unter der Firma Flügel; b) Spiel auf Zeit. Ball an den Bundesvorstand zurückspielen und fragen, wie denn konkret die Auflösung einer informellen innerparteilichen Vereinigung aussehen soll; c) Konfrontation. Kampf um die Partei bis zur letzten Konsequenz." Die Empfehlung des gebürtigen Jugoslawen, dessen Eltern Anfang der Achtzigerjahre nach Deutschland kamen: Erst einmal gar nichts tun, sondern die Szenarien zu Ende denken. Denn: "Die Epoche der Kurzschlusshandlungen ist ohnehin vorbei."

Bewiesen ist seit dem vergangenen Wochenende aber anderes. Denn was sonst als eine Kurzschlusshandlung ist es, nach dem Beschluss des AfD-Bundesvorstands zunächst via Facebook zu posten: "Schweren Herzens haben wir heute entschieden, dass sich die Wertegemeinschaft des Flügels gemäß dem Beschluss des Bundesvorstandes auflösen wird. Wir tun das in der Hoffnung, dass dies dem Wohl der gesamten Partei dienen wird. Unsere Überzeugung, die Partei auf einem grundsätzlichen Erneuerungskurs zu halten und die Werte die mit dem Flügel verbunden sind, bleibt erhalten. Wir sind und bleiben alle Teil dieses großartigen Parteiprojektes." Und dann, auf einmal, ist der Eintrag verschwunden. Die Kommentare mit Ratschlägen, was jetzt zu tun ist, überschlagen sich. "Patrioten geben niemals auf", droht die baden-württembergische Landtagsabgeordnete Christina Baum.

Antisemit Gedeon ist raus

Baum versteht sich als Brückenbauerin zum Flügel und zu anderen Extremisten. Sie hat sogar das Wiederaufnahmeverfahren des Antisemiten Wolfgang Gedeon in die AfD-Landtagsfraktion mitbetrieben, für das es im vergangenen Herbst auf der Klausurtagung eine Mehrheit gab und das nur am notwendigen Zwei-Drittel-Quorum scheiterte: Seit vergangenen Freitag ist klar, dass das Bundesschiedsgericht gegen den Singener Mediziner entschieden hat und er die Partei verlassen muss. Er will sich allerdings wehren, weil ein "ausschließlich politisches Urteil" gefallen sei. Die rechtlichen Argumente nennt er "vorgeschoben und oberflächlich – sozusagen Politik in juristischer Kostümierung", das Bundesschiedsgericht erweise sich als "zuverlässiger politischer Erfüllungsgehilfe des Bundesvorstands".

Gedeons Retourkutsche rückt den parteiinternen Antisemitismus-Streit ins Zentrum und seine Kritik an fehlender Toleranz seitens der Parteiführung. Die AfD ist für den Arzt aus Singen erstens "keine durch und durch pro-jüdische und pro-israelische Partei" und zweitens: "Wenn Gauland dazu aufruft, im Ernstfall für Israel zu kämpfen und zu sterben, dann sei das eben jetzt programmatischer Standard der AfD", und wer den nicht akzeptiere, der fliege. 2014 habe sich Jörg Meuthen "für eine neutrale Position im Nahostkonflikt", weder für Israel noch für die Palästinenser, ausgesprochen. Mithin habe nicht er, Gedeon, seine Position verändert, sondern "es hat in der Partei quasi ein programmatischer Putsch stattgefunden". Das Ziel dieser "systemhörigen Anbiederungspolitik" sieht der Verfasser etlicher dickleibiger Bücher im Bestreben seiner Gegner, die AfD "mit der Brechstange für eine Regierungskoalition mit der CDU zurechtzubiegen". Jetzt wähnten sich diese "Programm-Putschisten" auf der Siegerstraße, und gegen sie will sich der 72-Jährige weiterhin wehren.

AfD wollte Hilfsprogramm stoppen

Dass die inhaltliche Arbeit zu kurz kommen muss angesichts des immerwährenden internen Disputs, liegt auf der Hand. Seit Jahren fehlen zu zentralen Fragen, wie in der Renten-, der Gesundheits-, der Mobilitäts-, der Energie- und der Bildungspolitik finanziell durchgerechnete Konzepte, in Sachen Erderwärmung wird bekanntlich das wissenschaftliche Fundament der bedrohlichen Prognosen entweder ignoriert oder geleugnet. Und aktuell in der Corona-Krise glänzt die Stuttgarter Landtagsfraktion einmal mehr mit Krawall: Die Rechtsaußen-Opposition wollte die Verabschiedung der rechtlichen Grundlagen von Hilfsprogrammen vertagen. "Wenn Sie sich durchgesetzt hätten", sagt FDP-Chef Hans-Ulrich Rülke, "würden Unternehmen, die vielen Mittelständler, die Soloselbstständigen, die diese Unterstützung nötig brauchen, wegen der AfD auf dem Trockenen sitzen." Christina Baum flippte daraufhin beinahe aus, das Protokoll verzeichnet Dutzende Zwischenrufe. In der Sache ist die Fraktion bis heute nicht in der Lage, konstruktive Ideen zu präsentieren. Nicht einmal für die eigene Klientel im Mittelstand, unter Facharbeitern oder RentnerInnen.

Schon wieder eine Finanz-Affäre

Der "Spiegel" schreibt von einer "Schwarzen Kasse", und Christina Baum wird aufgezählt als eine jener AfD-PolitikerInnen, die mitten drin stecken. Nach einem Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz haben Partei und "Flügel" offenbar mit Spenden jongliert. "Konkret geht es um ein Konto bei der Deutschen Kreditbank", schreibt das Hamburger Nachrichten-Magazin weiter. Als Einzahler wird neben Baum auch Björn Höcke genannt. Anfragen zu Details an die insgesamt acht in dem Gutachten gelisteten AfD-PolitikerInnen seien unbeantwortet geblieben. Laut Verwendungszweck solle es sich aber um Spenden an den "Flügel" gehandelt haben. Und der "Spiegel" erinnert auch daran, dass die Kassenführung der parteiinternen Vereinigung die AfD schon einmal teuer zu stehen kam: "Im Zusammenhang mit der Finanzierung eines 'Flügel'-Treffens 2017 verhängte die Bundestagsverwaltung eine Strafzahlung von rund 34.0000 Euro." (jhw)

Besonders tief blicken lässt, dass Leute wie Mandic jetzt die Taktgeber sein wollen. Im Sommer 2018 zitiert ihn die "Frankfurter Rundschau" mit einem Post auf Facebook: "Mit Merkel zusammen müssen etwa 870.000 Kollaborateure aus den Ministerien, Fernsehstudios, Lehrkörpern, Sozialämtern und Gewerkschaften entsorgt werden. Endlich wird in Deutschland aufgeräumt." Bei "keinealternative.blogsport.de" ist ein Post des Tübinger Bundestagskandidaten aus dem Jahr 2017: "Tausende Frauen, die sich vor Jahrzehnten nach oben gebumst oder dies jedenfalls versucht hatten, entdecken nun, dass sie in Wirklichkeit vergewaltigt wurden." Die "Badische Zeitung" berichtete über ihn im Zusammenhang mit einer Prügelei im Kommunalwahlkampf zwei Jahre später, bei der er Reizgas verwendet haben soll, was wiederum einen Strafbefehl des Amtsgerichts Freiburg zur Folge hatte.

Und jetzt will er also den Flügel retten. Dessen Lage, schreibt Mandic, "und damit die für Deutschland ist aktuell sehr gefährlich". Viele Flügel-Anhänger würden nun meinen, sie könnten jetzt einfach so in der Partei aufgehen. Das sei aber ist zu kurz gedacht, denn "national denkende Mitglieder hatten schon Probleme, und das wird sich im Falle einer Abwicklung des Flügels nicht ändern". Ganz im Gegenteil: "Denjenigen Kräften, die sich teilweise in letzter Zeit verstellen mussten, um nicht als Agenten unserer Feinde erkannt zu werden, wird es in Zukunft leichter fallen, Höcke und andere Köpfe zu bekämpfen." Auf der Facebook-Seite der ganz Rechten löst er ein Hin und Her über diese möglichen Agenten aus, insinuiert wird, dass kein Geringerer als Jörg Meuthen einer sein könnte. An die Auflösung glauben ohnehin nur wenige, selbst wenn die vor den Kulissen vollzogen würde. "Man munkelt Raider heißt bald Twix" orakelt einer. Und ein anderer hat noch eine bessere Empfehlung, den Flügel einfach in "AfD" umzubenennen. Gerade aus Baden-Württemberg käme dafür viel Applaus. 


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