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Saskia Esken

"Da braucht man schon eine Kuttel"

Saskia Esken: "Da braucht man schon eine Kuttel"
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Nicht einmal Che Guevara könnte die SPD noch retten, sagt der Berliner Kollege, als wir ihm vom Treffen mit Saskia Esken erzählen. Hinter den flapsigen Worten steckt die große Frage: Wie will die SPD-Vorsitzende das schaffen? Und: Warum tut sie sich das an?

Zuletzt hat's gekracht beim Staatstrojaner. Die IT-Spezialistin Saskia Esken lehnt das Ausspähen von BürgerInnen ab, die SPD-Fraktion im Bundestag stimmte zu. Mit Billigung der Sozialdemokraten dürfen Geheimdienste also heimlich in privaten Handys und Computern schnüffeln. "Können wir eventuell nicht darüber reden?", fragt Esken und guckt streitlustig-vergnügt. Es ist ein heißer Sommertag im Calwer Stadtgarten, die Holzbank steht glücklicherweise im Schatten, und natürlich wird auch über diese Kröte zu reden sein.

Eine SPD-Vorsitzende muss so manche schlucken, das gehört zur Stellenbeschreibung, vor allem, wenn sie als Linke antritt. Wenn sie redet und twittert, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Rücktrittsforderungen, Beschimpfungen also, mal wieder. Saskia Esken kennt das, seit sie mit Norbert Walter-Borjans den SPD-Vorsitz gekapert hat. Einfacher macht es das nicht.

Da sitzt die 59-Jährige auf dieser harten Bank, beige Jeans, gemusterte Bluse, Sneakers, aufgeräumter Pagenschnitt – alles so praktisch wie unglamourös, im Schatten der Douglastannen, die den Calwer Stadtgarten zu einer Oase machen bei hochsommerlichen Temperaturen. Esken erzählt, dass der Bund in der selben Woche 1,35 Millionen für ihre Heimatstadt bewilligt hat und setzt diesen "Das-habe-ich-erreicht"-Blick auf: Mit dem Geld aus Berlin soll der Stadtgarten, diese grüne Verbindung der Calwer Altstadt zum Nordschwarzwald, ökologisch aufgepeppt werden.

In Berlin geht es steil auf und ab

In Berlin wird ihr wegen ihrer Haltung zum Staatstrojaner die Hölle heiß gemacht, in Calw der grüne Teppich ausgerollt. So sieht Saskia Eskens Leben derzeit aus – Niederlage und Sieg liegen dicht beieinander, der Ritt in Berlin geht steil auf und ab.

Was wurde ihr nicht alles um die Ohren gehauen, seit sie Ende 2019 bei der ältesten Partei Deutschlands Vorsitzende wurde. Hinterbänklerin war noch das harmloseste Etikett, "Kind von Kevin Kühnert" vielleicht das fieseste. Und wenn es geschickt platziert war, sollte auch die harmlose Aufzählung "ehemalige Vorsitzende Landeselternbeirat" die angebliche Provinzialität der Frau zeigen: Da kommt eine als Vorsitzende des Ortsvereins Bad Liebenzell, erst seit 2013 im Bundestag, stellvertretende Sprecherin für Digitalpolitik ihr bedeutendstes Amt, keine Regierungserfahrung – und dann spricht die auch noch schwäbisch. Das war die schlichte Die-kann's-nicht-Nummer.  Und natürlich sei sie undiplomatisch, spröde, verkniffen, was eine Frau ganz vorne halt so zu hören bekommt.

Wie also gehen Sie damit um, Frau Esken? "Da auf meiner linken Schulter sitzt die linke Parteivorsitzende", so hat sie sich das zurecht gelegt, "die provoziert ab und an gerne, das räum' ich ein." Etwa, wenn sie sich als Antifaschistin outet und zur Antifa bekennt, wenn sie die Aufarbeitung von Polizeigewalt und Rassismus fordert und auch mal ganz undiplomatisch von Covidioten spricht. Die auf der linken Schulter kriegt dann die Pfeile ab, haarscharf am Ohr vorbei.

Eine Frau mit Kompass

Saskia Esken lächelt. Manchmal helfen solche Metaphern. Und ein Frauennetzwerk, das es in Berlin auch gibt. Leni Breymaier gehört dazu, die ehemalige Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg, die ebenso wie die ehemalige Bundesvorsitzende Andrea Nahles rausgemobbt wurde aus ihrem Amt. "Mit der Leni bin ich nah, wir reden viel", sagt Esken. Frauensolidarität hilft. Und die Familie, der Mann, der in Rente ist, Mittelpunkt der Familie mit den drei Kindern wurde, seit sie 2013 in den Bundestag eingezogen ist.

Grimmig, aber mit Haltung, habe der SZ-Journalist Heribert Prantl über sie geschrieben, erzählt sie, "dabei kennt der mich gar nicht". Grimmig – ist doch nicht so schlecht, oder? "Mir gefällt 'mit Haltung' ganz gut", sagt sie  und schaut einem fest in die Augen. Ein Blick wie ein Statement. Saskia Esken ist eine Frau, die einen Kompass hat. Den will sie den Sozialdemokraten auch verpassen. An der Zeit wär's, knapp drei Monate vor der Bundestagswahl.

Darum ist sie auch in die SPD eingetreten. "Wenn du etwas verändern willst, musst du dich einer Bewegung anschließen, die eine Option auf die Macht hat", sagt sie und rutscht auf der Bank etwas nach vorne. In ihrer Jugend war sie außerparlamentarisch unterwegs, im Jugendhaus in Weil der Stadt, hat Demos gegen rechts organisiert, gegen Atomkraft und für den Frieden. Eingetreten ist sie in die SPD erst mit 30, Anfang der 1990er, es war eine "kitzlige Situation", sagt sie, die Zeit, als in Mölln, Solingen und Rostock die Flüchtlingsheime brannten, die rechtsradikalen Republikaner in die Parlamente gewählt wurden und die SPD dem Asylkompromiss zustimmte. Das Grundrecht auf Asyl war eingeschränkt. Mit Billigung der Sozialdemokraten.

"Sie war schon immer taff"

Diese Frau ist keine, die es sich und ihrer Partei einfach macht. Nun also will sie die SPD wieder zur Volkspartei machen, zur Partei für diejenigen, die im Schatten stehen, zur Partei, die sich für Mindestlöhne stark macht und die Vermögenden zur Kasse bittet. Die sich für Demokratieförderung einsetzt, für Bildung, für die Underdogs. Genosse der Bosse ist für sie keine Option. "Um innerhalb der SPD etwas zu verändern, ist Vorsitzende zu sein nicht ganz ungeschickt", sagt sie in aller Bescheidenheit. Deshalb hat sie Walter-Borjans im August 2019 die SMS geschickt, ihn für das KandidatInnenduo gewonnen, 23 Regionalkonferenzen absolviert, am Ende 111.000 Mitgliederstimmen auf sich vereint, das Konkurrenz-Duo Scholz-Geywitz geschlagen. Mangelnde Beharrlichkeit kann ihr keiner nachsagen. Oder wie sie es in besten Schwäbisch ausdrückt: "Da braucht man schon eine Kuttel." (Für Nichtschwaben: Übersetzungsvarianten)

Saskia Esken ist eine Anpackerin. Jammern ist nicht ihr Ding. Dass sie nicht die geborene Rampensau ist, hat sie schon in jungen Jahren gemerkt. Und sich als Therapie öffentliche Auftritte als Gitarrenspielerin verordnet. Vielleicht braucht man einen Schuss Naivität, um sich so eine Mammutaufgabe zuzumuten. Gepaart mit der Überzeugung, dass die SPD wichtig ist in der Parteienlandschaft und sich verändern muss – und es auch kann. "Sie war schon immer taff", sagt Ex-Linken-Chef Bernd Riexinger, der sie seit Jugendhauszeiten kennt. Kanzlerkandidatin wollte sie übrigens nie werden. "Da wird zu viel an einem rumgeschraubt", sagt Saskia Esken mit Blick auf Annalena Baerbock. Die wird derzeit neu erfunden, an Kleidung, Sprache und Auftreten wird herummodelliert, mit verheerender Wirkung. Saskia Esken hat die Fähigkeit, Schmähungen auf die linke Schulter zu nehmen. Aber sie kennt auch ihre Grenzen. Verbiegen will und kann sie sich nicht.

"Der Olaf ist lernfähig"

Gelöst sitzt sie da in ihrem schwäbischen Homeland, eine Frau mit Humor, sicher keine Favoritin für den diplomatischen Dienst, aber eine SPD-Chefin – warum nicht? Ist doch erfrischend, wenn eine die Dinge beim Namen nennt und sich nicht nur geschmeidig anschmiegt oder sich der Fraktionsdisziplin zähneknirschend beugt. Dennoch: Den Staatstrojaner hat die SPD-Vorsitzende nicht verhindern können. "Können wir über was anderes reden?", sagt Saskia Esken. Reden wir also über den Zustand der SPD.

Die älteste Partei Deutschlands, eine Volkspartei, ist bei Umfragen inzwischen bei 17 Prozent angekommen, bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt sogar auf einstellig geschrumpft, überholt von der AfD und den Linken. Eine Partei, die seit der Agenda 2010 ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. "Die SPD steht jetzt wirklich am Abgrund", schrieb Saskia Esken noch vor dem Rücktritt von Andrea Nahles. Nötig sei: Näher ran an die Basis, mehr Beteiligung, näher ran an den alten Kern.   

Ja, das traut sich Saskia Esken zu, die als Kellnerin gearbeitet hat, als Fahrerin, als Paketbotin. Sie weiß, was prekäre Arbeitsverhältnisse bedeuten. Anders als viele Juristen wie etwa der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der als Finanzminister zuletzt eher durch Versäumnisse im Wirecard-Skandal und bei Cum-Ex-Geschäften aufgefallen ist. Wie soll mit diesem Kandidaten die Glaubwürdigkeit der SPD wieder hergestellt werden? "Der Olaf ist flexibel", sagt Esken auf der Holzbank im Nordschwarzwald fernab von Berlin, "und lernfähig". Immerhin ist er jetzt auch für eine Vermögenssteuer, will nicht mehr sparen und sagt von sich, er sei Feminist. Na, dann kann ja nix mehr schief gehen.

"Schluss mit der Religion der Marktliberalität"

Dass das viele anders sehen, wurde deutlich, als Esken twitterte: "Jetzt ist Schluss mit der Religion der Marktliberalität." Und prompt einer zurück twitterte: "Mit Scholz und der Warburg-Bank?" Die Zukunft der SPD sieht sie links und oben, das hat sie im SZ-Magazin ohne Worte deutlich gemacht. Soviel Zweckoptimismus muss sein.

Man kann sich mit Saskia Esken schnell verquatschen. Diese Frau kann zuhören, bleibt ruhig, redet ohne Schnörkel. Und vermittelt den Eindruck, als habe sie alle Zeit der Welt, auch wenn der Terminplan eng getaktet ist. "Jetzt hab ich eine Telefonkonferenz", sagt sie dann unvermittelt und steht auf.

Ach ja, der Staatstrojaner. Noch 2017 hatte sich Esken dem Druck der Großen Koalition nicht gebeugt und dagegen gestimmt. Es war keine namentliche Abstimmung. "Wir müssen Farbe bekennen, zeigen, dass es in der SPD noch andere Stimmen gibt", sagte sie damals und stand trotzdem auf. Sie waren nur zwei in der SPD.  Diesmal hat sie ihre Stimme nicht abgegeben, die Zustimmung der SPD-Fraktion aber via Twitter kritisiert. Schäbig, kam es von dort empört zurück. Die Parteivorsitzende auf Eskens linker Schulter zieht wieder jede Menge Pfeile auf sich.


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8 Kommentare verfügbar

  • Markus Weidmann
    am 11.07.2021
    Antworten
    14, 15, 17 % Stimmenanteil? Das wäre immer noch viel mehr, als die SPD verdient hat. Maximal 5 % würden vollkommen ausreichen.
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