Grimmig, aber mit Haltung, habe der SZ-Journalist Heribert Prantl über sie geschrieben, erzählt sie, "dabei kennt der mich gar nicht". Grimmig – ist doch nicht so schlecht, oder? "Mir gefällt 'mit Haltung' ganz gut", sagt sie und schaut einem fest in die Augen. Ein Blick wie ein Statement. Saskia Esken ist eine Frau, die einen Kompass hat. Den will sie den Sozialdemokraten auch verpassen. An der Zeit wär's, knapp drei Monate vor der Bundestagswahl.
Darum ist sie auch in die SPD eingetreten. "Wenn du etwas verändern willst, musst du dich einer Bewegung anschließen, die eine Option auf die Macht hat", sagt sie und rutscht auf der Bank etwas nach vorne. In ihrer Jugend war sie außerparlamentarisch unterwegs, im Jugendhaus in Weil der Stadt, hat Demos gegen rechts organisiert, gegen Atomkraft und für den Frieden. Eingetreten ist sie in die SPD erst mit 30, Anfang der 1990er, es war eine "kitzlige Situation", sagt sie, die Zeit, als in Mölln, Solingen und Rostock die Flüchtlingsheime brannten, die rechtsradikalen Republikaner in die Parlamente gewählt wurden und die SPD dem Asylkompromiss zustimmte. Das Grundrecht auf Asyl war eingeschränkt. Mit Billigung der Sozialdemokraten.
"Sie war schon immer taff"
Diese Frau ist keine, die es sich und ihrer Partei einfach macht. Nun also will sie die SPD wieder zur Volkspartei machen, zur Partei für diejenigen, die im Schatten stehen, zur Partei, die sich für Mindestlöhne stark macht und die Vermögenden zur Kasse bittet. Die sich für Demokratieförderung einsetzt, für Bildung, für die Underdogs. Genosse der Bosse ist für sie keine Option. "Um innerhalb der SPD etwas zu verändern, ist Vorsitzende zu sein nicht ganz ungeschickt", sagt sie in aller Bescheidenheit. Deshalb hat sie Walter-Borjans im August 2019 die SMS geschickt, ihn für das KandidatInnenduo gewonnen, 23 Regionalkonferenzen absolviert, am Ende 111.000 Mitgliederstimmen auf sich vereint, das Konkurrenz-Duo Scholz-Geywitz geschlagen. Mangelnde Beharrlichkeit kann ihr keiner nachsagen. Oder wie sie es in besten Schwäbisch ausdrückt: "Da braucht man schon eine Kuttel." (Für Nichtschwaben: Übersetzungsvarianten)
Saskia Esken ist eine Anpackerin. Jammern ist nicht ihr Ding. Dass sie nicht die geborene Rampensau ist, hat sie schon in jungen Jahren gemerkt. Und sich als Therapie öffentliche Auftritte als Gitarrenspielerin verordnet. Vielleicht braucht man einen Schuss Naivität, um sich so eine Mammutaufgabe zuzumuten. Gepaart mit der Überzeugung, dass die SPD wichtig ist in der Parteienlandschaft und sich verändern muss – und es auch kann. "Sie war schon immer taff", sagt Ex-Linken-Chef Bernd Riexinger, der sie seit Jugendhauszeiten kennt. Kanzlerkandidatin wollte sie übrigens nie werden. "Da wird zu viel an einem rumgeschraubt", sagt Saskia Esken mit Blick auf Annalena Baerbock. Die wird derzeit neu erfunden, an Kleidung, Sprache und Auftreten wird herummodelliert, mit verheerender Wirkung. Saskia Esken hat die Fähigkeit, Schmähungen auf die linke Schulter zu nehmen. Aber sie kennt auch ihre Grenzen. Verbiegen will und kann sie sich nicht.
"Der Olaf ist lernfähig"
Gelöst sitzt sie da in ihrem schwäbischen Homeland, eine Frau mit Humor, sicher keine Favoritin für den diplomatischen Dienst, aber eine SPD-Chefin – warum nicht? Ist doch erfrischend, wenn eine die Dinge beim Namen nennt und sich nicht nur geschmeidig anschmiegt oder sich der Fraktionsdisziplin zähneknirschend beugt. Dennoch: Den Staatstrojaner hat die SPD-Vorsitzende nicht verhindern können. "Können wir über was anderes reden?", sagt Saskia Esken. Reden wir also über den Zustand der SPD.
Die älteste Partei Deutschlands, eine Volkspartei, ist bei Umfragen inzwischen bei 17 Prozent angekommen, bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt sogar auf einstellig geschrumpft, überholt von der AfD und den Linken. Eine Partei, die seit der Agenda 2010 ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. "Die SPD steht jetzt wirklich am Abgrund", schrieb Saskia Esken noch vor dem Rücktritt von Andrea Nahles. Nötig sei: Näher ran an die Basis, mehr Beteiligung, näher ran an den alten Kern.
Ja, das traut sich Saskia Esken zu, die als Kellnerin gearbeitet hat, als Fahrerin, als Paketbotin. Sie weiß, was prekäre Arbeitsverhältnisse bedeuten. Anders als viele Juristen wie etwa der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der als Finanzminister zuletzt eher durch Versäumnisse im Wirecard-Skandal und bei Cum-Ex-Geschäften aufgefallen ist. Wie soll mit diesem Kandidaten die Glaubwürdigkeit der SPD wieder hergestellt werden? "Der Olaf ist flexibel", sagt Esken auf der Holzbank im Nordschwarzwald fernab von Berlin, "und lernfähig". Immerhin ist er jetzt auch für eine Vermögenssteuer, will nicht mehr sparen und sagt von sich, er sei Feminist. Na, dann kann ja nix mehr schief gehen.
"Schluss mit der Religion der Marktliberalität"
Dass das viele anders sehen, wurde deutlich, als Esken twitterte: "Jetzt ist Schluss mit der Religion der Marktliberalität." Und prompt einer zurück twitterte: "Mit Scholz und der Warburg-Bank?" Die Zukunft der SPD sieht sie links und oben, das hat sie im SZ-Magazin ohne Worte deutlich gemacht. Soviel Zweckoptimismus muss sein.
8 Kommentare verfügbar
Markus Weidmann
am 11.07.2021