Was in Bochum, Osnabrück, Frankfurt, Konstanz und Mannheim ein kleines Zeichen der Menschlichkeit ist, wird in Stuttgart diskutiert, aufgebauscht, geprüft und am Ende doch wieder verworfen. So erging es einer Spende, die helfen sollte, Menschen vor ihrem Tod im Mittelmeer zu retten. Doch Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) stellte sich gegen die Mehrheit seines Gemeinderats, widersprach dem Beschluss und brachte die Rät:innen dazu, am vergangenen Montag den Beschluss fast einstimmig abzulehnen.
Einen Schritt zurück: Am 21. März dieses Jahres einigte sich der Stuttgarter Gemeinderat, eine Schiffspatenschaft im Mittelmeer zu übernehmen und die Seenotrettung bis 2026 jährlich mit 10.000 Euro zu unterstützen. Beantragt wurde dies bereits im Mai 2023 von einer Mehrheit aus Grünen, SPD, den Fraktionsgemeinschaften Die FrAktion und Puls sowie der Fraktionslosen Sibel Yüksel. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) lehnte schriftlich ab. Der Antrag verstoße einerseits gegen das Örtlichkeitsprinzip, dem Kommunen unterliegen. Andererseits sei die Spende sachlich "nicht zu empfehlen", weil dadurch Schleuser animiert würden, "Flüchtlinge in Gefahr zu bringen". Ähnlich argumentierten CDU, FDP, AfD, und Freie Wähler und lehnten ebenso ab. Widerspruch wollte der OB aber zunächst keinen einlegen.
Doch dann kam alles anders: Die antragstellenden Parteien hatten Nopper nach seinen geäußerten Bedenken aufgefordert, die Verwaltung solle prüfen, ob die Spende rechtmäßig sei. Das hat er nicht gemacht. Erst auf die Anfrage der "Stuttgarter Zeitung" hin wurde das Regierungspräsidium Stuttgart auf den Fall aufmerksam und kam zum Schluss: Die Spende sei eine nicht "auf Stuttgart als Gemeinde bezogene Angelegenheit, sodass diese nicht in den örtlichen Wirkungskreis der Stadt fällt". Das Örtlichkeitsprinzip also, welches der Gemeinderat im vergangenen Jahr für die Unterstützung der Ukraine umging, indem er eine Solidaritätspartnerschaft mit der Stadt Chmelnyzkyj aufnahm. Zudem sei die Spende für die Seenotrettung "nicht mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vereinbar". Und schon war Noppers Versprechen vergessen, sein Widerspruch gegen den Beschluss eingebracht und für den vergangenen Montagmorgen eine außerordentliche Gemeinderatssitzung einberufen – um am Ende über die Aufhebung des Beschlusses abzustimmen: mit lediglich fünf Gegenstimmen aus der linken FrAktion.
Erst solidarische Worte, dann rechtes Sprachrohr
10.000 Euro bei einem jährlichen Haushalt von über fünf Milliarden. Das sind nicht mal 0,0002 Prozent. Ein Hauch von nichts. Besonders im Maßstab von Menschenleben gerechnet. Oder im Maßstab der Seenotrettung: Ein Rettungsschiff kostet zwischen einer und zehn Millionen Euro. "Wir wollten ein Zeichen setzen wie beispielsweise Konstanz", sagt Luigi Pantisano von der FrAktion bei der Sitzung am Montag. In der Stadt am Bodensee hatte der dortige Gemeinderat 2019 ohne Gegenstimmen eine Patenschaft beschlossen. Aus zunächst 5.000 Euro wurden ab 2021 jährlich 10.000 Euro für die Seenotrettung. Auch der Konstanzer Oberbürgermeister und Noppers Parteikollege Ulrich Burchardt stimmte dafür und sprach von der Pflicht, die Stimme für die Seenotrettung zu erheben. "Denn klar ist: Die Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen, haben keine Wahl. Sie riskieren ihr Leben, um zu überleben."
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