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CDU und die Brandmauer

Bösartig und gefährlich

CDU und die Brandmauer: Bösartig und gefährlich
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Die Wahlen im Osten zeigen es: Sich nur gegen jede Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland (AfD) zu positionieren, reicht nicht aus zur Stärkung demokratischer Kräfte. Wer wirklich gegenhalten will, muss programmatisch Zeichen setzen. Auch in Baden-Württemberg.

Manuel Hagel, Baden-Württembergs CDU-Landes- und Fraktionschef, bezeichnete die Brandmauer in Richtung Rechtsaußen unlängst als "lebensnotwendig" für seine Partei. "Wir sind die Brandmauer", sagte er sogar am Rande des jüngsten Bundesparteitags. Sätze wie diese werden sehr lange Zeit nachhallen. Denn der 36-Jährige gehört kraft Alters in die Kohorte jener Politiker:innen, die noch Jahrzehnte mit früheren Aussagen zu konfrontieren sind. Und damit, welche Weichen sie wann warum gestellt haben.

In Sachen AfD stehen Baden-Württembergs Schwarze. Jedenfalls im Landtag. Scharfe Reden, oft klare Abgrenzungen, geschlossene Mehrheiten aus Grünen, CDU, SPD und FDP. Halbprivate Kontakte zwischen Schwarzen und Rechtspopulist:innen, etwa am Rande von Plenarsitzungen oder auf Ausschussreisen, finden sehr wohl statt, sind allerdings alles andere als ein Massenphänomen. Dokumentiert sind dazu einzelne Beispiele einer eher löchrigen Brandmauer aus Kommunalparlamenten – wobei Vorsicht geboten ist. Denn selbstverständlich können alle Parteien so abstimmen wie auch AfD-Räte. Entscheidend ist allein, ob erst durch sie Mehrheiten zustande kommen.

Zumindest einmal hat Hagel allerdings die selbstgelegte hohe Latte dann doch gerissen. Als vor einem Jahr die Thüringer CDU mit der von Björn Höcke angeführten Truppe gegen Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und dessen rot-rot-grüne Minderheitsregierung Steuersenkungen durchsetzte, mochte sich der Parteifreund aus Baden-Württemberg nicht eindeutig festlegen. "Wenn etwas wahr ist, eine eigene Überzeugung, wird sie nicht dadurch falsch, weil die Falschen sagen, sie ist wahr", wich er der zentralen Frage der Mehrheitsbeschaffung lieber aus. Grundsätzlich wolle die CDU ihre Politik aber "nicht von diesen Typen von der AfD abhängig machen".

Das allerdings gilt für Themensetzung und Koordinatenverschiebung schon lange nicht mehr. Leider haben Alice Weidel oder Tino Chrupalla recht, wenn sie nach den drei Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bejubeln, dass und wie ihre Politik wirkt – deutlich über die Migrationspolitik hinaus. Die Koordinaten stimmen eben nicht mehr, wenn selbst in Baden-Württemberg gesellschaftspolitische Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU durch den Rost fallen sollen. "Mit einem eigenständigen Antidiskriminierungsgesetz gegen Rassismus und Diskriminierung stärken wir das gleichberechtigte Miteinander im Land", heißt es dort unmissverständlich.

So gesehen müssten schwarze Abgeordnete dem Grünen Dieter Salomon in die Parade fahren. Denn der neue Vorsitzende des sich vornehmlich für Bürokratieabbau zuständig fühlenden Normenkontrollrats tut ein solches Gesetz als überflüssig ab. Das aber lassen CDU-Politiker:innen schön bleiben, weil sie sich – gar nicht mehr klammheimlich – freuen, wenn Pläne eingesammelt werden, die sie ohnehin nie wollten und nur im unbändigen Drang, mitzuregieren, durchgewinkt haben. Stattdessen wieder eine Wischiwaschi-Antwort: "Der Normenkontrollrat ist für uns ein politisches Bekenntnis." Es gehe "ums Zuhören statt ums Belehren", meißelt Hagel in Schmelzkäse. Und weiter: "Ich werbe daher für eine Politik, die nicht permanent auf Sendung ist, sondern auch auf Empfang."

Grünen-Bashing lenkt ab vom eigenen Versagen

Hier kommen Henne und Ei ins ernste Spiel. Denn was wird warum gesendet in die eigene Blase, an die potenziellen Wähler:innen, in die Gesellschaft? Und was im Gegenzug empfangen? Im Frühjahr, als deutlich mehr Flüchtlinge über die Grenzen kamen als gegenwärtig, schätzte nach übereinstimmenden Umfragen rund um die drei Wahlen im Osten circa die Hälfte der Bevölkerung das Thema Migration als schwerwiegend ein – gegenwärtig, bei sinkenden Zahlen, sind es mehr als 70 Prozent. Im Gegenzug ist trotz Hochwasser und mehrerer Dürresommer in Folge gerade in Brandenburg der Klimawandel weit abgerutscht im Ranking. Was auch mit Senden und Empfangen zu tun hat, denn das Grünen-Bashing vor allem von CDU und CSU trifft die Themen, die der Ökopartei als Markenkern zugerechnet werden, schmerzlich mit.

Alexander Dobrindt (CSU), Fraktionsvize im Bundestag, bildet ebenfalls ein Wort mit dem Bestandteil "Brand" und verunglimpft die Grünen als "Brandbeschleuniger für die Polarisierung in unserer Gesellschaft". Und er teilt gleich noch aus gegen die Ministerpräsidenten Wüst (NRW) und Günther (Schleswig-Holstein), obwohl die doch der Schwesterpartei angehören. O-Ton: "Der eine oder andere Schwarz-Grün-Romantiker in den Bundesländern muss realisieren, dass sich Deutschland weder umerziehen lassen will, noch ein Versuchskaninchen für links-grüne Ideologieprojekte sein will."

Der weitgehend abwegige Vorwurf der Umerziehung wird trotzdem immer beliebter, zumal in Wahlkämpfen. Nach fast vier Jahrzehnten in der Politik sollte der Diplom-Psychologe Dobrindt aber die Bedeutung von Verfassungsgerichtsurteilen kennen. 2021 haben die Karlsruher Richter:innen bezüglich des Klimawandels festgestellt, dass falsche oder unterbliebene politische Entscheidungen in der Gegenwart die Freiheits- und Grundrechte künftiger Generationen beschneiden.

Wer nicht bereit ist, diese Entscheidung wieder in den Fokus zu rücken, erledigt das Geschäft der AfD – Brandmauer hin oder her – gleich auf doppelte Weise. Einerseits wird Deutschlands höchstes Gericht missachtet, immer mehr Rechtspopulist:innen werfen Karlsruhe "politische Justiz" vor. Und andererseits wird die Erderwärmung kleingeredet, die nach der alternativen Meinung der "Alternative für Deutschland" ohnehin nicht menschengemacht ist.

Geradezu erbärmlich ist, wie nun Geflüchteten Schuld zugeschoben wird für die Folgen von Versäumnissen aus Jahrzehnten: der bewusst von Union und FDP gewollte und durchgesetzt Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau in Bund und Land oder der Sanierungsstau an Schulen, der Lehrkräftemangel oder die verfehlte, auf Marktmechanismen setzende Gesundheits- und Rentenpolitik. Nicht nur, aber gerade im Osten, weiß die Soziologin und Rassismusexpertin Katharina Warda, verfangen Geschichten in der Tonlage: "Hätten wir weniger Migration, wäre Omas Rente höher." Nein, wäre sie nicht.

Nach der Brandenburg-Wahl steckt der an diesem Montagvormittag offiziell und einstimmig zum Kanzlerkandidaten gekürte CDU-Bundesvorsitzende den künftigen Kurs schon mal ab: In der Asylpolitik wird er die Ampel treiben, außerdem ist eine Kampagne geplant zur Frage: Was ist sozial und fair? Eine Antwort steht: das Bürgergeld nicht.

Außerdem arbeitet sich Friedrich Merz an der "Attitüde" der Grünen ab, die "das Volk ständig belehren wollen, was sie zu tun und zu lassen haben, was sie essen, wie sie Autofahren". Genau davon hätten die Menschen "die Nase voll", von den Bevormundungen der vergangenen zweieinhalb Jahre, von einer Politik, die sie machten "und stur wie sie sind, noch immer für richtig halten". Faktenfern stellt er Führung und Regierungsmitglieder als einzige Gegner:innen seiner Brachial-Asylpolitik dar. Ganz ähnlich ziehen AfD-Politiker:innen über eine Partei her, die seit 13 Jahren einen Ministerpräsidenten stellt in der Republik und die – die Wahlergebnisse im Osten bereits berücksichtigt – noch immer in sieben von 16 Ländern mitregiert; unter anderem bisher an der Seite der CDU in Brandenburg und Sachsen und sogar im größten Bundesland NRW.

Auch Kretschmann macht mit

Die Grünen lassen sich aber sogar in Baden-Württemberg schieben und drängen, weil die CDU inhaltlich die Brandmauer eben nicht mehr sein will. Und weil Spitzengrüne, allen voran der so erfahrene Regierungschef, beeindruckt sind von einem ziemlich pauschal unterstellten, vage beschriebenen und diffus wahrgenommenen Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung. "Wenn man sieht, was in der Bevölkerung passiert, muss man sich so einem Thema einfach widmen", glaubt Winfried Kretschmann. Dass nicht kleine Teile von Politik und Medien dieses Unsicherheitsgefühl fahrlässig oder mit Vorsatz schüren, kommt da kaum noch vor. Und schon gar nicht die Feststellung, dass Bürger:innen sich massenweise auf fatale Irrwege begeben können, indem sie, anstatt nüchtern und faktenbezogen zu prüfen, nur allzu bereitwillig Falschbehauptungen nachplappern und der wuchernden Tendenz zur Hysterisierung der Debatte erliegen.

Sozis schreiben Brief an ihre Partei

Im Minutentakt unterschreiben nicht nur Genoss:innen den neuen Offenen Brief an die SPD-Mitglieder im Bundeskabinett, im Bundestag und im Willy-Brandt-Haus mit der Überschrift "Eintreten für Würde: Menschenrechte wahren, Asylrecht verteidigen, sozialdemokratische Werte leben!" "Mit Trauer, Wut und Entsetzen mussten wir in den vergangenen Tagen mitverfolgen, wie führende Sozialdemokrat*innen einen Diskurs der Ausgrenzung und Stigmatisierung mitbefeuert haben, indem Maßnahmen von Zurückweisungen an den Grenzen vorangetrieben und grenznahe Inhaftierungen als vermeintliche Lösung für ein so komplexes Problem wie Extremismus vorgeschlagen wurden", heißt es unter anderem. Eine ganze Menschengruppe werde mit dieser Politik für die Tat eines Einzelnen pauschal unter Terrorismusverdacht gestellt und in ihren Rechten substanziell eingeschränkt. Und weiter: "Die SPD darf nie die menschenfeindlichen Narrative und Positionen rechter Parteien aufgreifen und damit normalisieren, denn die Sprache der Rechten zu übernehmen, wenn es um Asylsuchende geht, die vor Krieg und Chaos fliehen, und geschlossene Grenzen innerhalb Europas zu planen – ein solcher Schwenk befeuert die Positionen der extremen Rechten."

Die klare, uneingeschränkte Brandmauer gegen rechts müsse sich stattdessen in den politischen Taten und Worten der Sozialdemokratie widerspiegeln: "Wir fordern Euch auf, Euch auf unsere Grundwerte als handlungsweisend für politische Entscheidungen und Debatten zu besinnen und nicht vermeintlichen Umfragen oder Stimmungen hinterherzulaufen." Eine Erstunterzeichnerin ist keine Geringere als Gesine Schwan. Und die ist bekanntlich Vorsitzende der Grundwertekommission.  (jhw)

Nach den Worten von Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat die Landesregierung im Doppelhaushalt 2025/2026 bereits vor zwei Wochen beschlossen, insgesamt rund eine halbe Milliarde Euro pro Jahr in Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung, in zusätzliche Polizeistellen, in Ausrüstung oder KI zu stecken. Das Kabinett sattelte am Dienstag 18 Millionen Euro zusätzlich drauf für ein neues Paket, unter anderem für die automatische Erkennung gesuchter Autokennzeichen oder für die Ausstattung eines neuen Staatsschutzzentrums. Keine wirklich großen Neuigkeiten, trotzdem greift Kretschmann zum selten genutzten Instrument der Regierungsinformation im Landtag. Dafür wird die Tagesordnung umgestoßen und drei Stunden abermals über Migration, Terrorismus und Unsicherheitsgefühle diskutiert.

Manuel Hagel ist zufrieden. "Die Menschen machen sich große Sorgen um ihre Sicherheit", lässt er mitteilen, "wir Christdemokraten sind Pragmatiker". Und wenn sich die Sicherheitslage verändere, müsse sich "auch die Sicherheitsarchitektur verändern". Das sei dringend geboten und passe in die Zeit. Noch zufriedener ist die AfD-Landtagsfraktion. Nicht mit den Maßnahmen, aber wie "uns, dem Original" geholfen werde. In dem Paket sieht sie den verzweifelten Versuch, "ein paar zumal jugendlichen Wählern vorzugaukeln, über die richtigen Rezepte zur Lösung der Migrationskrise zu verfügen" mit dem versucht werde, "notdürftig zu reparieren, was Angela Merkel und ihre CDU seit 2015 kaputtgemacht hat". Selbst das ist übrigens nicht weit von Merz' Einschätzung der damaligen deutlich menschlicheren und würdevolleren Migrationspolitik entfernt. Denn er spricht von Steinen, die seine Partei noch im Rucksack tragen muss infolge von Entscheidungen in der Vergangenheit.

Für die Zukunft bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Wahlen im Osten zeigen, wie die allgemeine Aufgeregtheit auch in demokratischen Parteien der AfD zu Sperrminoritäten in Parlamenten verhilft. Landtage können das gerade noch mehr schlecht als recht aushalten. In Berlin hätten derartige Mehrheitsverhältnisse Auswirkungen, die bereits an den Umbau der Vereinigten Staaten von Amerika durch Donald Trump erinnern: Denn acht der 16 Richter:innen am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe brauchen für ihre Wahl eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, die anderen im Bundesrat.

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1 Kommentar verfügbar

  • Rainbow-Warrior21
    vor 1 Woche
    Antworten
    Auf den Punkt gebracht (und eigentlich ganz einfach !) : Wer die Erzählungen der "Sündenbock"= Desinformationen und Hetze der AfD und ihres Dunstkreises übernimmt und fast 1:1 weitergibt,
    wie in diesem Fall die CDU , der "schwächt" die Rechtsextremisten nicht, sondern lässt sich von ihnen treiben.…
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