Im Sommer ist das Inselbad ein beliebter Ort im Stuttgarter Bezirk Untertürkheim, um abzuschalten und sich abzukühlen. Das Freibad hat fünf Becken, zwei Rutschen und eine Parkanlage mit großer Liegewiese. Ein "Freizeitvergnügen für Jung und Alt", wie die Stuttgarter Bäder im Netz werben.
Der 23. Juli 2023 ist ein angenehmer Sommertag. Familien sind mit ihren Kindern gekommen, um das kühle Wasser zu genießen. Doch gegen 14.30 Uhr schlägt die Stimmung um: Drei Vermummte klettern mit einer Leiter auf das Dach des Kassenhauses. Die Männer zünden Rauchtöpfe, halten ein Banner mit dem Text "Remigration für sichere Freibäder", schreien die Parole "Unsere Straßen, unser Land, Jugend leistet Widerstand".
Hastig wirft einer der Vermummten ein paar Flyer vom Dach. Auf dem Flyer heißt es: "Egal ob Missbrauch in Schwimmbädern, hohe Mieten oder Gewalt in den Innenstädten: Das Problem ist der Bevölkerungsaustausch und die Lösung Remigration!" Die Botschaft, die mit der Aktion gesendet wird, ist klar: Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, haben sämtliche Missstände zu verantworten. Zügig verlassen die drei Männer das Dach und fliehen in unterschiedliche Richtungen.
Die Angeklagten: Tim F., Jannis G., Maximilian M.
Hinter der Aktion stecken die Wackren Schwaben, ein Ableger der rechtsextremen Identitären Bewegung. Inzwischen trägt der Ableger den Namen Reconquista21. Etwa vier Stunden nach der Aktion verbreiten die Wackren Schwaben ein Foto in den Sozialen Netzwerken. Das Foto zeigt Vermummte mit Banner und dunkelrotem Rauch. Zynisch schreiben die Rechtsextremen, das "Remigrationsmobil" habe Halt am Inselbad gemacht. In der Blase der extremen Rechten wird die "erfolgreiche Banneraktion" gefeiert.
Ob die Aktion ein Erfolg war, ist fraglich. Denn Angestellte des Freibades und die Polizei folgten den flüchtenden Tätern. Auf ihrer Flucht ging eine GoPro-Videokamera verloren. Die Aufnahmen der Kamera lieferten belastendes Material. Nun, am 19. September 2024, standen drei Männer – Tim F., Jannis G. und Maximilian M. – vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt. Sie waren zur Tatzeit 20, 23 und 25 Jahre alt. Am Morgen eröffnete die Richterin nach intensiver Einlasskontrolle die Verhandlung.
Nur Maximilian M. hatte einen Anwalt, Mario Walter B.. In der extremen Rechten ist er kein Unbekannter. Der "Spiegel" berichtete Mitte 2022, B. sei Grundsatzreferent der AfD-Politikerin Alice Weidel. Ein Jahr später geriet er erneut ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Er besuchte ein Neonazi-Konzert im Flieder Volkshaus in Eisenach. Seit Jahren ist die Immobilie in den Händen der Thüringer NPD (inzwischen Die Heimat).
Ein Anklagepunkt: Volksverhetzung
Die Staatsanwaltschaft warf den Angeklagten vor, sie hätten "aus fremdenfeindlicher Motivation heraus" gehandelt, um eine "feindselige Haltung" gegen Migrant:innen zu schüren. Banner, Flyer und Rufe hätten das Potenzial besessen, "in der Bevölkerung die Neigung zu Rechtsbrüchen zulasten von Migranten zu wecken oder zu verstärken". Die Anklagepunkte lauteten: Volksverhetzung, Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Vermummungsverbot. Die drei Männer schwiegen vor Gericht.
Auch die drei Identitären Michael S., Hagen R. und Aaron F., die am Tatmittag vor Ort gewesen sein sollen, schwiegen. Vermutlich waren sie an der Durchführung beteiligt. Beispielsweise soll Aaron, der Bruder von Tim F., in der Nähe des Freibades eine Drohne gesteuert haben. Nachdem die Drei ihre Aussage verweigert hatten, blieben sie im Publikum sitzen. Dort warteten Gleichgesinnte: So saß Annie H., eine langjährige Identitäre aus Bayern, im Publikum. Gegen sie ermittelt die Polizei wegen des Verdachts der Volksverhetzung.
Annie H. soll im Februar 2023 an einer Aktion der Wackren Schwaben im oberbayrischen Peutenhausen teilgenommen haben. Damals hatten Identitäre eine Asylunterkunft als "Gefährderstandort" gebrandmarkt. Auch Severin Köhler, der Sprecher der rechtsextremen Jungen Alternative Baden-Württemberg, saß im Publikum. Im Südwesten bestehen seit Langem enge Verbindungen zwischen AfD-Jugend und Identitären. Gleich mehrere Personen, die in das Verfahren involviert waren, sind in den Reihen der Jungen Alternative aktiv.
Das Urteil: sechs Monate auf Bewährung
Die Richterin zeigte im Prozess einige Videos der auf der Flucht verlorenen GoPro-Kamera. Die Videos gewährten seltene Einblicke in die Arbeitsweise der Rechtsextremen. So zeigte ein Video die Generalprobe der Tat. Auf einer Streuobstwiese übten sie das Tragen und Stellen der Leiter. Die Aufnahmen sollen wenige Stunden bevor die Angeklagten das Dach betraten entstanden sein. Ein Video hielt die Ausführung der Tat fest. Als die Rechtsextremen ihr Banner auf dem Dach entrollen, ruft eine Passantin nach oben: "Verpisst euch, ihr scheiß Nazis!"
Eine Angestellte des Inselbades berichtete vor Gericht, sie habe versucht, die Vermummten zum Abbruch zu bewegen. "Das geht gar nicht", habe sie gesagt. "Das ist Hausfriedensbruch, was ihr da macht!" Im Video war zu hören, wie einer der Vermummten beschwichtigte: "Keine Sorge, ist nur eine Kunstaktion, ist bereits angemeldet". Die Angestellte schilderte, sie habe entgegnet: "Ihr gefährdet hier Menschen!" Nicht zuletzt wegen der Pyrotechnik hätten Kinder geweint. Durch die Aktion schufen die Vermummten eine akute Bedrohungslage.
Der Staatsanwalt erklärte im Plädoyer, die Angeklagten hätten mit der Tat versucht, "den öffentlichen Frieden zu stören". Der Gesamtkomplex – Banner, Parolen, Flyer und die "Verwendung von emotionalisierenden Aktionsmitteln" wie den Rauchtöpfen – begründe die Volksverhetzung. Anwalt B. widersprach. Am frühen Nachmittag fiel das Urteil: sechs Monate Haft mit zwei Jahren Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte sieben Monate, die Verteidigung eine Geldstrafe gefordert. Die Richterin folgte in ihrer Begründung den Einschätzungen des Staatsanwalts. Sie resümierte, die Angeklagten hätten Freibäder mit ihrer Tat nicht sicherer gemacht, sondern Gefühle der Unsicherheit erzeugt.
Die Reaktionen: von Empörung bis Drohung
Vor Gericht schwiegen die Angeklagten. Kaum war das Urteil verkündet, gingen sie in die Offensive. Jannis G. behauptete in einem Kurzvideo, das Reconquista21 im Netz verbreitete, die Richterin sei "ganz klar voreingenommen" gewesen. Tim F. erklärte in dem Video: "Wir lassen uns durch dieses lächerliche Urteil nicht unterkriegen." Maximilian M. betonte in einem Interview mit einer rechtsextremen Plattform, "meinem Willen, politisch aktiv zu sein, hat das Urteil keinen Abbruch getan".
Reue klingt anders. Im Gegenteil: Prompt kündigten die Identitären an, Berufung gegen das Urteil einlegen zu wollen. In einem Interview mit einer rechtsextremen Zeitung der Identitären sagte M., er sei von der "Rechtswidrigkeit dieses Schuldspruchs überzeugt". Das Amtsgericht Bad Cannstatt bestätigte auf Kontext-Anfrage, dass Berufung eingelegt wurde. Somit ist das Urteil noch nicht rechtskräftig und die nächsthöhere Instanz muss die Verurteilung prüfen. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung der drei Männer.
In der Blase der Rechtsextremen ist die Empörung und Solidarisierung – erwartbar – groß. "Ein unglaubliches Skandalurteil", kommentierte Annie H. im Netz. Die Junge Alternative Stuttgart wünschte: "Volle Solidarität!" Derweil fragte Heinrich Fiechtner, ehemaliger AfD-Landtagsabgeordneter aus Stuttgart: "Welches 'Gericht'? Wie heißt der 'Richter'? Wie der 'Staatsanwalt'? Die Bürger brauchen die Namen der Rechtsbrecher und Freiheitsterroristen." Der Grat zwischen Empörung und Drohung ist schmal.
1 Kommentar verfügbar
SSV Ulm 1846
vor 1 WocheDieses menschenverachtende Übel muss mit allen Mitteln bekämpft werden.
Millionen von Tote mahnen uns!