KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Zentrum Automobil

Doch kein Held

Zentrum Automobil: Doch kein Held
|

Datum:

Während der Pandemie rief die Möchtegern-Gewerkschaft "Zentrum" zum Impfstreik auf. Deren Chef hat dieser Aufruf nun eingeholt, er stand in Schwäbisch Gmünd vor Gericht. Von der behaupteten Solidarität mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen ist nur noch wenig geblieben.

Es war ein Bündnis des Grauens, das mitten in der Corona-Pandemie vorhatte, mit einem "Impfstreik" mobil zu machen und das Land zum Aufstand gegen das "Corona-Regime" zu bewegen. Noch heute kleben mancherorts Sticker mit den beiden roten Fäusten. Zum "Impfstreik-Bündnis Deutschland" gehörten das rechtsextreme "Compact"-Magazin, die rechtsextreme Online-Seite "PI-News", die rechtsextremen Freien Sachsen, das Anti-Coronamaßnahmen-Blättchen "Demokratischer Widerstand" und die rechte Möchtegern-Gewerkschaft "Zentrum Automobil", die heute nur noch "Zentrum" heißt und eigentlich nur ein Verein ist. Als die Bundesregierung über die einrichtungsbezogene Impfpflicht debattierte, wurde über die Homepages all der Mitglieder, in Publikationen und sozialen Medien breit für den "Impfstreik" geworben, angeblich um Solidarität zu zeigen mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen, die sich nicht impfen lassen wollten. Auch Soldat:innen wurden aktiv angesprochen, ebenfalls Polizist:innen. Es sollte, so vermerkt es noch heute die Homepage des Bündnisses, ein "unübersehbares Fanal" werden, "die Teilnehmer an punktuellen Nadelstich-Aktionen werden durch die Solidarität der großen Masse geschützt und getragen", hieß es, "der Staat soll wissen: Wir sind bereit! Weg mit der Impfpflicht! Es lebe die Freiheit!"

Im "Compact"-Magazin vom Dezember 2021 erklärte dann auch Oliver Hilburger, Zentrum-Chef und ehemaliger Rechtsrocker, so ein Impfstreik müsse von Menschen organisiert sein, "die das klug vorbereiten, die sich der Verantwortung bewusst sind". Er wähne sich zur Zeit des Interviews im Polen des Jahres 1989, erklärte er da, es brauche eine Gewerkschaft wie damals Solidarność, in deren Nachfolge Hilburger sein Zentrum sieht. Und sich selbst offenbar als Nachfolger des damaligen Solidarność-Anführers Lech Wałęsa. Frage von "Compact": "Lech Wałęsa wurde, als er die Streiks anführte, vom Regime verhaftet und eingesperrt. Was ist mit Hilburger? Geht der auch ins Gefängnis?" Hilburger antwortete großspurig und offenbar hingerissen von der eigenen Widerständigkeit: "Wem der Mut fehlt, in der heutigen Zeit nach vorne zu schreiten, der muss daheim bleiben. Wir brauchen heute mutige Menschen. Und wenn das Schicksal möchte, dass ich einer dieser mutigen Menschen bin, dann werde ich dafür einstehen."

Die Gewerkschaft Solidarność

Ende der 1970er-Jahre ist Polen Teil des Warschauer Pakts und steht, wie die übrigen Ostblock-Staaten, unter dem Einfluss der Sowjetunion. Aus oppositionellen Bürgerrechts- und Streikbewegungen gegen die damalige Einparteienregierung der Polnischen Volksrepublik entsteht 1980 die erste nichtstaatliche Gewerkschaft Solidarność (Solidarität). Ihr Vorsitzender, nach Papst Johannes Paul II. der bekannteste Pole, ist von der Gründung an der Danziger Elektriker und Werftarbeiter Lech Wałęsa. In den Jahren darauf schließen sich Millionen Pol:innen Solidarność an und fordern eine Reformierung des Sozialismus, Meinungs-, Presse-, Versammlungsfreiheit. Die kommunistische Partei in Moskau drängt schon bald die Regierung in Warschau, gegen Solidarność vorzugehen. Als Folge wird im Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt, die Gewerkschaft verboten und Lech Wałęsa verhaftet. Bis 1987 steht Wałęsa unter Hausarrest, 1990 wird er letztlich polnischer Präsident. Rückblickend steht die damalige Streikbewegung für den Anfang des Endes des Ostblocks.  (ana)

Der historisch überaus bedeutsame Kampf der Solidarność musste 2022 auch als Vorbild herhalten, als Hilburger und seine Kolleg:innen zur Erweiterung des eigenen Wirkungskreises das "Zentrum Gesundheit und Soziales" von Zentrum Automobil abspalteten. Auf dessen Homepage steht: "Wenn wir uns die Gewerkschaftsbewegung Solidarność in Polen anschauen, erkennen wir, dass eine Gewerkschaft auch eine Reform von bestehenden gesellschaftlichen und politischen Systemen bewirken kann." Ob ausgerechnet das Zentrum das bewirken wird, ist noch nicht abschließend geklärt.

So richtig in Fahrt kam das Ganze mit dem Impfstreik nicht. Aus dem erhofften Generalstreik wurde ein "5-Minuten-Warnstreik". Auf der Zentrums-Homepage fand und findet sich dazu ein Aufruf: "Bitte verbreitet es überall mit dem Hashtag #impfstreik. Schickt es auch Leuten, die nicht im Gesundheitswesen arbeiten – alle anderen sollen die Streikenden an diesem Tag unterstützen und um 16 Uhr vor Kliniken/Heimen spazierengehen!" Hilburger sagt im dazugehörigen Video: "Ich rufe alle unsere Mitglieder und Unterstützer auf, beteiligt euch am 5-Minuten-Warnstreik am 28. Februar 2022, zeigt Gesicht in den Kliniken und Einrichtungen." Die Solidarität mit den Angestellten des Gesundheitssektors war ihm da noch sehr wichtig.

In erster Reihe vor dem Stauferklinikum

Hilburger hat an jenem 28. Februar mitdemonstriert, oder korrekter: mit anderen seine Solidarität mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen ausgedrückt, er stand jedenfalls mit etwa 70 Personen auf einer Wiese vor dem Stauferklinikum in Mutlangen. Davon gibt es ein Video im Netz. Irgendwann kommt der Klinikleiter aus dem Haupteingang, im Schlepptau eine Handvoll Gewerkschafter:innen von der IG Metall mit einem Transparent ("Wer mit Nazis marschiert hat nichts kapiert"). Hilburger steht auf dem Video in erster Reihe der Impf-Streikenden und macht dicke Backen gegen die IG-Metaller:innen und ihr Banner.

Zwei Jahre später, am vergangenen Mittwoch, stand der Zentrums-Chef deshalb vor dem Amtsgericht in Schwäbisch Gmünd. Der Vorwurf: Er habe diese Zusammenkunft veranstaltet, aber nicht angemeldet. Draußen vor dem Gericht halten seine Unterstützer:innen eine kleine Solidaritätskundgebung, die gefilmt und live gestreamt wird. Auch Anja Ortelt von "Zentrum Gesundheit und Soziales" ist dabei, eine multitaskingfähige Frau, denn wer bei Zentrum Automobil anruft, kommt auch bei ihr raus.

Der Fanclub

Fotografiert wird die Kundgebung von Michael Seibold, Aktivist der Identitären Bewegung und rechter Filmer des Filmkunstkollektivs ("Wir filmen Widerstand"). Stefan Schmid spricht, ehemals Gastwirt aus Alfdorf, ehemaliger Kandidat für "Die Basis", der dann nach Ostdeutschland übergesiedelt ist und vor einiger Zeit erfolglos als Bürgermeister für die "Freien Sachsen" kandidierte. Auch Hans Jauß ist da, der Kontext kürzlich erzählte, er habe den österreichischen Identitären Martin Sellner zum "Remigrations"-Treffen nach Potsdam gefahren(ana)

Innen plädiert Hilburgers Anwalt, der AfDler Joachim Bloch aus Tuttlingen, einer der gerne Dalmatiner-Krawatten trägt, sozusagen auf nicht schuldig. Nicht Hilburger habe zu diesem Event vor der Klinik aufgerufen. Vielmehr, sagt sein Anwalt allen Ernstes vor Gericht, hätten das die Beschäftigten aus dem Gesundheitswesen selbst getan. Seinem Mandanten komme keine Schuld zu. Was ziemlich peinlich ist für den Kopf eines Vereins, der eine Gewerkschaft sein will, also per Definition die Interessen der Arbeitnehmer:innen vertreten und sie nicht ans Messer liefern sollte.

Dass Hilburger gar nicht merkt, wie er die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die er seit der Pandemie umwirbt, vorführt, zeigt auch sein Auftritt nach der Verhandlung: "Ich bin im Namen des Volkes verurteilt", sagt er ironisch zu seinen Fans, , als er aus dem Gerichtsgebäude tritt. Das Gericht sei der Staatsanwaltschaft gefolgt, Ergebnis: Hilburger muss 6.000 Euro Strafe zahlen. "Ja, isch des krass", hört man im Hintergrund jemanden brutteln, "das ist Deutschland 2024." In Mutlangen vor der Klinik sei ja die IG Metall auch dagewesen und habe "geblökt gegen Nazis", schimpft Hilburger. "Also wenn überhaupt einer eine Veranstaltung durchgeführt hat, dann waren das die mit ihrem Transparent." Das Ganze sei ein politischer Prozess, "die wollen die Köpfe derer, die damals Gesicht gezeigt haben, nachträglich strafen." Irgendein Hürbel vor dem Gericht meint hörbar, dass das Rechtssystem in Deutschland in vielen Punkten genau so sei wie in China und Nordkorea.

Er selbst, sagt Hilburger in die Kamera, habe da gar nichts veranstaltet, er sei nur als einer von vielen auf der Wiese vor dem Klinikum gestanden. In seinen eigenen Worten: Er sei "nur dagewesen". Und werde gegen das Urteil durch alle Instanzen gehen.

Da möchte man doch beinahe einen Möchtegern-Gewerkschafter und ehemaligen Rechtsrocker zitieren, der dem "Compact"-Magazin mal so treffend sagte: "Wem der Mut fehlt, in der heutigen Zeit nach vorne zu schreiten, der muss daheim bleiben."

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


2 Kommentare verfügbar

  • Karl P. Schlor
    am 06.03.2024
    Antworten
    Ziemlich hohes Kaliber (6000 Euro) für das Vergehen, eine Demo nicht angemeldet zu haben, finde ich. Dazu noch die noch vorhandene Nicht-Rechtskraft des Urteils, der Beschuldigte wird ja
    Rechtsmittel einlegen. Und noch Eines: m.W. ist Slowenien das einzige Land auf der Welt oder
    wenigstens in…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!