Nach der Tötung von Rouven L. gab es zahlreiche Gedenkveranstaltungen in diversen Städten in Deutschland, die offizielle Trauerfeier findet am Freitag, 16. Juni statt. Zu einer Schweigeminute am Tatort kamen um die 8.000 Menschen zusammen, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU), Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne), Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz sowie zahlreiche Bundes- und Landtagsabgeordnete. Viele Menschen, auch aus dem Umland, legten Blumen für Rouven L. ab und zündeten Kerzen an. Die Polizei stellte sich vor dem Mannheimer Schloss in Herzformation auf und ließ davon ein Foto verbreiten. Die Dienstfahrzeuge der Bundespolizei fahren deutschlandweit mit Trauerflor. Auch Innenminister Strobl hat Trauerbeflaggung angeordnet. Rainer Wendt, der rechtspopulistische Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, forderte "eine Trauerbeflaggung über die gesamte Zeit der Fußball-EM und nicht nur bis zur Beisetzung des Kollegen".
Es gibt mittlerweile mehrere Spendenaktionen, die Geld für die Hinterbliebenen von Rouven L. sammeln. Unter anderem eine der FDP Schwerin, Stand Dienstag: 33.000 Euro. Das Polizeipräsidium Mannheim hat ebenfalls ein Spendenkonto eingerichtet, gesammelt wird über die Polizeistiftung Baden-Württemberg. Am erfolgreichsten ist die Spendenkampagne des Bündnisses Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFHu) Blumberg e.V. Sie gab als Ziel an, 20.000 Euro sammeln zu wollen. Inzwischen kamen 585.000 Euro zusammen, die laut den Initiator:innen nun "auch für ähnlich gelagerte Fälle innerhalb unserer Polizeifamilie" genutzt werden sollen.
Diskurse wandeln sich
Die Polizeifamilie ist ein Begriff, der gerade häufig in den (sozialen) Medien auftaucht. Oft in Verbindung mit dem Hashtag "einervonuns". Womit eine Einigkeit nach innen beschworen wird und eine Abgrenzung der Polizei nach außen. Unterschiedliche Sprecher der Polizeigewerkschaften meldeten sich zu Wort und machten inhaltlich ähnliche Aussagen wie Jochen Kopelke, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, der sagte, dass aus Rücksicht auf den toten Kollegen gerade "die Stunde der Trauer und nicht die der politischen Forderungen" sei. Um dann umgehend mehr "Entschlossenheit im Durchsetzen von Abschiebungen von Straftätern" zu fordern.
Die öffentlichen Äußerungen, auch von Politiker:innen, zeigen, wie sich Diskurse wandeln können. Als ein westafrikanischer Asylbewerber 1989 zwei Polizisten in Stuttgart-Gaisburg ermordete, erklärte der damalige CDU-Oberbürgermeister Manfred Rommel: "Es hätte auch ein Schwabe sein können." Der heutige Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper sagt: "Die starke Zunahme von Messerdelikten darf nicht weiter tabuisiert werden. Vielmehr müssen die Ursachen offen und ehrlich angesprochen werden." So habe "erst vor wenigen Wochen ein aus Syrien stammender Gewalttäter auf dem Stuttgarter Frühlingsfest mehrere Menschen mit einer Machete bedroht".
Seit der Tötung von Rouven L. wird bundesweit und quer durch alle politischen Lager darüber gesprochen, ob man straffällige Menschen zukünftig wieder nach Afghanistan abschieben könne, wo seit 2021 wieder die terroristischen Taliban regieren. Grund dafür war, dass der 25-jährige Täter des Angriffs in Afghanistan geboren wurde. Er lebte seit zehn Jahren in Deutschland, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Diskussionen über mehr Prävention, über mehr Geld für Jugendarbeit, Anti-Gewalttraining und einen kritischen Umgang mit Männlichkeit hört man hingegen kaum.
Eine wissenschaftliche Studie der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden zu "Ausmaß und Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland", erschienen im Dezember 2021, kam zu dem Ergebnis, dass es keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zur Staatsangehörigkeit der Tatverdächtigen gebe und auch keine "massive Zunahme" der Messerkriminalität festgestellt werden könne. "Durch mediale Überrepräsentation kann aber ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Kriminalitätslage entstehen, das zu übertriebenen oder unangemessenen Diskussionen und Reaktionen beitragen kann", hieß es darin. Auffällig war allerdings, dass fast 91 Prozent der Täter:innen männlich sind.
So viele Rechtsextreme wie selten
Neben der Trauer über den Todesfall in Mannheim, die alle gesellschaftlichen Schichten durchzieht, versuchen Rechtsradikale den Fall zu instrumentalisieren. Im Netz finden sich etliche Hassbotschaften, Deportationsforderungen und mit blauen Herzchen versehen Bekenntnisse, dass es nun eine Art Pflicht sei, die AfD zu wählen (diese kam bei der Europa- und Gemeinderatswahl am vergangenen Sonntag auf jeweils 14 Prozent in Mannheim). Schon zwei Tage nach der Tat, am 2. Juni hatte die "Junge Alternative", die gesichert rechtsextreme Jugendorganisation der AfD, zu einer Kundgebung auf dem Mannheimer Marktplatz aufgerufen und dort für "Remigration", also Deportationen, geworben. Etwa 150 Teilnehmende sind erschienen – so viele Rechtsextreme sind schon lange nicht mehr in der Mannheimer Innenstadt zusammengekommen. Der Jungen Alternative gegenüber stand eine Menschenkette von etwa 800 bis 1.000 Personen unter dem Motto "Zusammenhalt gegen Gewalt, Hass und Hetze".
Am Freitag, den 7. Juni wollte auch die AfD selbst auf dem Marktplatz demonstrieren, was die Stadt Mannheim verhindern konnte. Es kamen etwa 300 bis 700 Menschen auf den nahegelegenen Paradeplatz, die Zählungen gehen weit auseinander. Zur Gegendemo kamen laut Polizei etwa 3.300 Menschen und laut DGB etwa 4.000 Personen. Selten gab es in Mannheim einen so lauten antifaschistischen Protest. Die wenigen Polizist:innen, die die Demo begleitet haben, hatten zwar Helme dabei, setzten sie aber nicht auf. Zwischenzeitlich hatte das örtliche Universitätsklinikum die OP-Belegung auf eine Notfallsituation eingestellt. Auch die Unfallklinik in Ludwigshafen sei darum gebeten worden, hätte das aber abgelehnt. Der Tag endete ohne die befürchtete Eskalation.
Viele, die dort gegen rechts demonstrierten, hatten sich auch für die Gedenktafel für Ante P. eingesetzt, den bei einem Polizeieinsatz zu Tode Gekommenen. Erfolglos. Stattdessen hängt seit vergangenem Donnerstag am Brunnen auf dem Marktplatz ein Banner mit der Aufschrift "Rouven-L.-Platz". Für die Aktion verantwortlich zeigt sich "Reconquista21", eine Organisation, die der baden-württembergische Verfassungsschutz der rechtsextremen "Identitären Bewegung" zurechnet. Zum Banner schreibt die Gruppe: "Wir fordern damit die Stadt Mannheim auf, die tödlichen Folgen der Ersetzungsmigration nicht zu verschweigen. (…) Schuld an der eskalierenden Gewalt in deutschen Städten ist die unkontrollierte Zuwanderung." Auf Anfrage, wie die Stadt Mannheim mit diesem Banner umgehen will, heißt es: "Blumen, Kerzen, Bilder und Botschaften, die am Ort des schrecklichen Geschehens niedergelegt oder aufgehängt werden, bleiben bis auf weiteres dort, sofern sie keine Inhalte haben, die einer würdigen Trauer widersprechen oder sogar strafbar sind."
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