Damals dachte Heidrich, Mitte fünfzig, Linker, Verantwortlicher des "Netzwerk gegen rechts Main-Tauber", dicke Ohrringe und das Herz am richtigen Fleck, er müsse da irgendwas machen. Und sei es alleine. Also bastelte er sich ein Demo-Schild: "Ich stehe hier und schäme mich, weil nach fast 75 Jahren wieder völkischer Nationalismus in den Kreistag eingezogen ist. Nein zu Hass und Hetze im Kreisparlament." Damit stellte er sich bei jeder Kreistagssitzung vor das Sitzungsgebäude. Direkt an die Tür.
Bei der AfD hieß es damals erbost, Heidrich sei ein Taugenichts, auch aus den Reihen der CDU war zu hören, Hass und Hetze verbreiten, das machten nur die Linken, nicht die AfD. Nach der ersten Kreistagssitzung landete ein Foto von Heidrich und seinem Demo-Schild auf Christina Baums Facebook-Timeline. Den Text hatte jemand geändert in "'Deutschland verrecke', weil ich gegen Hass bin. Keine AfD im Kreistag, weil ich demokratische Ergebnisse nur akzeptiere, wenn sie mir gefallen. Bitte findet mich toll." Also stand Heidrich zum nächsten Termin mit zwei Schildern da – dem Original und dem manipulierten. Auch Morddrohungen hat er erhalten: "Wir kriegen dich auch noch, nur eine Frage der Zeit", schrieb ihm wer und legte einen Artikel über seine Mini-Demo bei.
Der Hausmeister schenkte ihm einen Stollen
Abschrecken ließ Heidrich sich nicht. Insgesamt 31 Kreistagssitzungen hat er mit seiner Ein-Mann-Demo begleitet. Christina Baum ließ das Gremium hinter sich und pöbelt nun im Bundestag, ein AfDler wurde krank und es rückte keiner mehr nach, 2022 verlor die AfD im Kreistag Main-Tauber ihren Fraktionsstatus. Und Heidrich? Wurde zum Inventar. "Ich hab immer mehr dazugehört", erzählt er. Aus Small Talk wurden persönliche Gespräche, aus Skepsis Gewohnheit, einmal brachte ihm einer von den Freien Wählern Kekse mit und der Hausmeister schenkte ihm einen kleinen Stollen zur Weihnachtszeit. Heidrich und der Kreistag waren irgendwie eine Einheit geworden.
Kurz vor der Kommunalwahl 2024 schrieb er eine Mail an die Redaktion: Ob er weitermache, wisse er noch nicht. "Ich hoffe immer noch sehr, dass die Leute gescheit wählen und mein Engagement an dieser Stelle nicht mehr nötig sein wird." Das war wohl Wunschdenken. Im Kreistag des Main-Tauber-Kreises werden in Zukunft fünf AfD-Räte sitzen, zwei mehr als nach der Wahl 2019. "Bei uns im Westen geht’s ja noch", sagt Heidrich, "aber schauen Sie sich mal die Wahlergebnisse im Osten an, wie soll man denn damit umgehen?"
Ob der Mann wirklich aufhören will zu demonstrieren? Alfred Bauch sitzt für die SPD im Kreistag. "Chapeau", sagt er auf Nachfrage, wie er denn Heidrichs Engagement der vergangenen Jahre fände. "Sehr mutig." Es wäre schade, meint der Sozialdemokrat, wenn Heidrich aufhören würde. "Gerade weil wir jetzt noch mehr AfDler im Kreistag sitzen haben." Heidrich selbst würde sich wünschen, dass es in Zukunft viel mehr Ein-Mann- oder Ein-Frau-Demos gibt. "Auf jeden Fall überall da, wo die AfD in Gemeinderäte gewählt wurde." Er selbst denke jetzt doch noch mal nach über seine Mini-Demo, verspricht er.
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