KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Kommunalwahl in Gera, Thüringen

Gegen die Ohnmacht

Kommunalwahl in Gera, Thüringen: Gegen die Ohnmacht
|

Datum:

Der Kampf gegen rechts ist in großen Teilen Ostdeutschlands deutlich schwieriger als hier. Auch gefährlicher. Im thüringischen Gera formieren sich seit einigen Monaten die demokratischen Kräfte wieder stärker. Auch weil am 26. Mai Gemeinderäte und Oberbürgermeister gewählt werden.

Zurück Weiter

Montagabend Mitte Februar im ostthüringischen Gera. Über der Altstadt thront die barocke Salvatorkirche, deren Turmspitze im Dunkeln der Nacht verschwindet. Unten vor dem Tor haben sich etwa 60 Menschen versammelt. Unter dem Motto "Momento – Gutes über die Stadt" wollen sie ein Gegenprogramm zu den rechten Demos veranstalten. Pfarrer Stefan Körner, einer der Organisatoren, erklärt: "Je größer die Angst, desto stärker können sie sich auch als Retter positionieren und unsere Idee war zu sagen: Das stimmt nicht, es gibt andere Geschichten. Wir setzen ein positives Narrativ dagegen, ohne Hetze."

Die 96.000-Einwohner-Stadt Gera in Thüringen gerät recht häufig in die Nachrichten. Meist geht es um rechte Übergriffe oder um Wahlerfolge der AfD. Diejenigen, die sich wehren gegen Ausgrenzung und Hetze, gegen die Normalisierung rechtsextremen Gedankenguts, kommen selten vor in der westdeutschen Berichterstattung. Aber es gibt sie.

Eigentlich ist der Montag in Gera in rechter Hand. Seit dem 27. Dezember 2021 gibt es jeden Montag eine Demonstration durch die Stadt. Waren es anfangs mehrere Tausend, die in der allgemeinen Verunsicherung der Corona-Pandemie auf die Straße gingen, hat sich mittlerweile ein harter Kern von rund 400 Wutbürger:innen, Rechtsextremist:innen und Reichsbürger:innen herauskristallisiert. Sie sind laut, drohen und beleidigen. Sie sind schon vors Privathaus des Oberbürgermeisters gezogen, wollten auf den Weihnachtsmarkt stürmen und haben Menschen bedroht.

Die Vorgänge sind alle gut dokumentiert. Was die Lokalpresse nicht schafft, machen andere. Da ist "Der Aufrichtige", der kontinuierlich die Teilnehmer zählt und über seinen Twitter-Account dokumentiert. Da ist die Gruppe "Ostthüringer Divan", die zu den Rechten in der Region recherchiert und die Ergebnisse der Presse und anderen über ihren Twitter-Account zur Verfügung stellt. Dann gibt es noch die Recherchegruppe Ostthüringen, in der seit Ende der 1990er eine lose Gruppe Antifas in Gera alle Nazi-Aktivitäten dokumentiert. "Eigentlich ist es so viel Material, dass man kaum mit der tatsächlichen Auswertung hinterherkommt", berichtet Erwin*, der mitrecherchiert. Sein Einstieg in den Antifaschismus waren Gewalterfahrungen mit Nazis. Leute wie er können das Geschehen gut einschätzen und sehen den Wandel in den vergangenen Jahrzehnten. "In den 90ern war das eher Jugendkultur. Heute sind es eher Ältere mit Biografiebruch in der Nachwendezeit, die jetzt auch diese Proteste hier mittragen", erklärt er. Er stelle auch fest, dass die Leute in diesen unsicheren Zeiten mit sehr viel Verschwörungserzählungen abgeholt werden und die Themen häufig wechseln. "Jede mögliche Sau, die es gibt, wird da durchs Empörungsdorf getrieben." Ob die Recherchen sich auf die Teilnehmerzahlen ausgewirkt haben, lässt sich nicht sagen. Aber die Beteiligten sehen es als Erfolg, dass Medien die Vorgänge nun richtig einordnen.

Zwei Wochen später, Ende Februar. Diesen Montag verläuft die Route der Rechten vor der Kirche lang. Die fünfte Momento-Veranstaltung hat noch gar nicht begonnen, als der rechte Anführer, ein vorbestrafter Rechtsextremist, direkt davor anhält und seine Meute anheizt. Die steht unten auf der Straße, brüllt in Richtung Momento "Kriegstreiber", "Kinderficker" und "Nazis raus". Die so Beschimpften stehen oben, bleiben stumm. Für viele ist es die erste Konfrontation dieser Art. Nach ein paar Minuten ist der Spuk vorbei, die Demo zieht weiter. Dass nicht zurückgebrüllt wurde von den Demokrat:innen, scheint die Montagsspaziergänger:innen irritiert zu haben. "Es gab ja nichts Entlarvenderes als das Gegenüber von diesen beiden Veranstaltungen", findet Pfarrer Körner später. "Da hast du die Hetze und das Gebrüll mit extrem gewaltvoller Sprache von der Straße unten und dann den ruhigen, besonnenen Kontrast hier oben." "Das ist eine Aggressivität, das hat für mich nichts mehr mit freier Meinungsäußerung zu tun", findet Martha*, eine junge Mutter, deren Kind durch den Lärm der Demos abends länger wachgehalten wird, und die nach langer Zeit wieder an Kundgebungen teilnimmt.

Auch auf der Straße gibt es Widerstand. Schon bei der ersten Montagsdemo gab es einen kleinen Gegenprotest. Das Aktionsbündnis Gera gegen Rechts, welches sich 2010 im Rahmen der Gegenproteste zu einem Neonazifestival in Gera formierte, organisierte mehrere Monate lang eine Menschenkette als Gegenprotest. Irgendwann hörte das aber auf und es fanden einzelne Aktionen statt. Das Aktionsbündnis ist ein Netzwerk aus engagierten Bürger:innen und lokalen Parteivertreter:innen, die über die Jahre in den verschiedensten Aktionsformen aktiv sind. Ebenso wie die Antifaschistische Aktion Gera, kurz AAG. Auch wenn die Anti-Rechts-Aktivitäten Ende der 2010er Jahre mehr oder weniger einschliefen, blieben die Strukturen bestehen und so konnten sie vor zwei Jahren wieder aktiviert werden. Seit 2022 organisiert die AAG Demos, kümmert sich um Vernetzung und will mit Konzerten und anderen Veranstaltungen die alternative Jugendkultur wiederbeleben.

Die Behörden schauen nach links

Antifaschismus ist in Gera oft auch mit Rückschlägen verbunden. Da ist der 3. Oktober 2022, an dem Antifaschist:innen bei einem Gegenprotest von der Polizei festgehalten wurden. Da ist der 1. Mai 2023, an dem die antifaschistische Demo erneut festgehalten wurde. Ein Ausbruchsversuch hatte einen mehrstündigen Polizei-Kessel sowie bundesweite Razzien im Nachgang zur Folge.

Und da ist auch der 7. März 2022. An jenem Montag sollte eigentlich die letzte Menschenkette stattfinden, da es den Organisator:innen mittlerweile an Kapazitäten fehlte, viele der dort Aktiven engagierten sich nun stärker in der Ukraine-Hilfe. An jenem dunklen Montag wurde die kleine Veranstaltung mit rund 50 Menschen beinahe von der rechten Demonstration überrannt. Die änderte spontan ihre Route und bewegte sich genau dahin, wo die Menschenkette stand. Aber die wich nicht vom Fleck. In unheimlicher Nähe zogen die rechten Demonstrant:innen vorbei. Sie beleidigten, warfen Glasflaschen und rissen an den Bannern. Die wenigen Polizist:innen vor Ort waren machtlos. "Ich stand direkt vorne", erinnert sich eine junge Antifaschistin, die den Spitznamen Giraffe trägt. Wie andere auch hat sie das Erlebnis eher gefestigt als verängstigt. "Das war krass, auf jeden Fall", erinnert sie sich. "Und es war auch sehr beeindruckend, zu sehen, wie machtlos dann Behörden sind. Letztendlich ist ja nichts passiert an dem Tag so, aber es hätte halt was passieren können – und wäre was passiert, hätte niemand was dagegen getan."

Eben dieses Gefühl, dass die Behörden nicht ausreichend tätig sind, zieht sich durch die Reihen derjenigen, die sich gegen die rechtsextremen Umtriebe wehren. Gefühlt gibt es für die Rechten keinerlei Auflagen. Und wenn, werden sie nicht eingehalten. Sie zündeten nicht angemeldete Feuerwerke, sie führen Hunde mit, sie leuchten mit Taschenlampen in Wohnungen, bedrohen Parteibüros und Personen – und nichts passiert. Für alle, die sich antifaschistisch betätigen, fühlt sich das nach Ohnmacht an. "Das Gefühl, dass das Ordnungsamt mit zweierlei Maß misst", beschreibt es Luis Schäfer, der im Kreisvorstand der Grünen ist und oft an den Kundgebungen teilnimmt. Oder dass die Rechten Narrenfreiheit haben. Und dass Antifaschismus oft erschwert wird, wie Liselotte*, die in der AAG wirkt, sagt. "Mich macht viel ohnmächtiger, wenn ich mich antifaschistisch engagiere, dass ich das immer mit der Angst tue, dass mich jemand dafür diskreditiert oder mit Repressionen überzieht oder ich sozusagen meinem Leben nicht mehr nachgehen kann." Dabei seien sie von der AAG fester Teil der Gesellschaft, oft im sozialen und kulturellen Bereich tätig. Doch aus Angst vor Repressionen müssten sie ihre Identitäten schützen, könnten nicht Gesicht zeigen. Zuletzt sorgte die Teilnahme einiger "Vermummter" bei "Momento" für Ärger auf der bürgerlichen Seite. Die schwarze Kleidung und Vermummung, die den Antifas vor allem als Selbstschutz dient, wird von vielen Bürger:innen mit dem berüchtigten schwarzen Block, Krawall und Ausschreitungen assoziiert. "Ich war an dem Tag auch ganz in Schwarz, also insofern …", beschwichtigt Pfarrer Körner.

Anfang März, ein ruhiger, nebliger Montag. Nur das Glockengeläut und der Motor eines wartenden Polizeiautos durchdringen die Ruhe. Von den Rechten ist nichts zu sehen und nichts zu hören. Sie spazieren zwar weiterhin jeden Montag, hetzen gegen Geflüchtete, die Presse, die Ampelregierung. Doch ihre Route wurde geändert. Vor der Kirche stehen mehr Menschen als zuvor. Es ist Stille eingekehrt. Zeit, sich zu besinnen. "Es gibt verschiedene Aktionsformate", sagt Liselotte*, "und jeder sucht sich das aus, wo man sich wohlfühlt. Aber es muss mehr passieren."

Es braucht mehr aktive Demokrat:innen

Denn in Gera passiert viel. Zeitsprung. Mittlerweile ist es Anfang Mai. In der Zwischenzeit gab es ein rechtsextremes Protestcamp vor einer Geflüchtetenunterkunft, Festnahmen von zwei mutmaßlichen IS-Terroristen, einen ARD-"Kontraste"-Beitrag, der fragt, ob Gera eine gefallene Stadt sei, und ein bundesweites Reichsbürgertreffen. Die Aktionswochen gegen Rassismus Ende März erreichten kaum Leute außerhalb der eigenen Blase; auch die Antwort auf den "Kontraste"-Beitrag in Form einer Demokratiekundgebung fiel mau aus und gegen das Reichsbürgertreffen stellten sich nur 50 Leute auf die Straße. Immerhin nahmen 135 Menschen an einem Mahngang gegen das Protestcamp teil.

Nun stehen am 26. Mai  in Gera die Kommunalwahlen an. Nicht nur der Stadtrat wird neu gewählt, auch das Oberbürgermeisteramt ist neu zu vergeben. Es gibt einen Machtkampf zwischen dem amtierenden Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos) und dem Geraer Finanzdezernenten und Bürgermeister Kurt Dannenberg (CDU). Außerdem treten an: Wieland Altenkirch für die AfD, David Kaschta (Die Partei), Yves Berlinghoff aus den Kreisen der Montagsdemos. Von Linken, SPD und Grünen kandidiert niemand, obwohl die drei Parteien zuvor angekündigt hatten, eine:n gemeinsame:n Kandidat:in finden zu wollen. Aber sie haben große Stadtratslisten, mehr Menschen wollen sich für Demokratie engagieren. Und auch "Momento" hat sich fest als Veranstaltung etabliert. Es bleibt spannend, schwierig und zugleich hoffnungsvoll in Gera.
 

*Einige der Menschen wollten aus Sicherheitsgründen nicht mit Klarnamen auftreten. Ihre Namen wurden geändert.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


2 Kommentare verfügbar

  • Gerda Wünscher
    am 03.06.2024
    Antworten
    @Gerald hat hier leider recht, auch wenn es die FDP, was die Sitze betrifft, gar nicht gibt.

    Doch die AfD braucht keinen Mehrheitsbeschaffer, weil sich In Gera der Stadtrat schon immer von ganz allein blockiert. Ein Parteiproporz, als säßen sie bei den Vereinten Nationen: Da wird dem Gegenantrag…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!