Und da ist auch der 7. März 2022. An jenem Montag sollte eigentlich die letzte Menschenkette stattfinden, da es den Organisator:innen mittlerweile an Kapazitäten fehlte, viele der dort Aktiven engagierten sich nun stärker in der Ukraine-Hilfe. An jenem dunklen Montag wurde die kleine Veranstaltung mit rund 50 Menschen beinahe von der rechten Demonstration überrannt. Die änderte spontan ihre Route und bewegte sich genau dahin, wo die Menschenkette stand. Aber die wich nicht vom Fleck. In unheimlicher Nähe zogen die rechten Demonstrant:innen vorbei. Sie beleidigten, warfen Glasflaschen und rissen an den Bannern. Die wenigen Polizist:innen vor Ort waren machtlos. "Ich stand direkt vorne", erinnert sich eine junge Antifaschistin, die den Spitznamen Giraffe trägt. Wie andere auch hat sie das Erlebnis eher gefestigt als verängstigt. "Das war krass, auf jeden Fall", erinnert sie sich. "Und es war auch sehr beeindruckend, zu sehen, wie machtlos dann Behörden sind. Letztendlich ist ja nichts passiert an dem Tag so, aber es hätte halt was passieren können – und wäre was passiert, hätte niemand was dagegen getan."
Eben dieses Gefühl, dass die Behörden nicht ausreichend tätig sind, zieht sich durch die Reihen derjenigen, die sich gegen die rechtsextremen Umtriebe wehren. Gefühlt gibt es für die Rechten keinerlei Auflagen. Und wenn, werden sie nicht eingehalten. Sie zündeten nicht angemeldete Feuerwerke, sie führen Hunde mit, sie leuchten mit Taschenlampen in Wohnungen, bedrohen Parteibüros und Personen – und nichts passiert. Für alle, die sich antifaschistisch betätigen, fühlt sich das nach Ohnmacht an. "Das Gefühl, dass das Ordnungsamt mit zweierlei Maß misst", beschreibt es Luis Schäfer, der im Kreisvorstand der Grünen ist und oft an den Kundgebungen teilnimmt. Oder dass die Rechten Narrenfreiheit haben. Und dass Antifaschismus oft erschwert wird, wie Liselotte*, die in der AAG wirkt, sagt. "Mich macht viel ohnmächtiger, wenn ich mich antifaschistisch engagiere, dass ich das immer mit der Angst tue, dass mich jemand dafür diskreditiert oder mit Repressionen überzieht oder ich sozusagen meinem Leben nicht mehr nachgehen kann." Dabei seien sie von der AAG fester Teil der Gesellschaft, oft im sozialen und kulturellen Bereich tätig. Doch aus Angst vor Repressionen müssten sie ihre Identitäten schützen, könnten nicht Gesicht zeigen. Zuletzt sorgte die Teilnahme einiger "Vermummter" bei "Momento" für Ärger auf der bürgerlichen Seite. Die schwarze Kleidung und Vermummung, die den Antifas vor allem als Selbstschutz dient, wird von vielen Bürger:innen mit dem berüchtigten schwarzen Block, Krawall und Ausschreitungen assoziiert. "Ich war an dem Tag auch ganz in Schwarz, also insofern …", beschwichtigt Pfarrer Körner.
Anfang März, ein ruhiger, nebliger Montag. Nur das Glockengeläut und der Motor eines wartenden Polizeiautos durchdringen die Ruhe. Von den Rechten ist nichts zu sehen und nichts zu hören. Sie spazieren zwar weiterhin jeden Montag, hetzen gegen Geflüchtete, die Presse, die Ampelregierung. Doch ihre Route wurde geändert. Vor der Kirche stehen mehr Menschen als zuvor. Es ist Stille eingekehrt. Zeit, sich zu besinnen. "Es gibt verschiedene Aktionsformate", sagt Liselotte*, "und jeder sucht sich das aus, wo man sich wohlfühlt. Aber es muss mehr passieren."
Es braucht mehr aktive Demokrat:innen
Denn in Gera passiert viel. Zeitsprung. Mittlerweile ist es Anfang Mai. In der Zwischenzeit gab es ein rechtsextremes Protestcamp vor einer Geflüchtetenunterkunft, Festnahmen von zwei mutmaßlichen IS-Terroristen, einen ARD-"Kontraste"-Beitrag, der fragt, ob Gera eine gefallene Stadt sei, und ein bundesweites Reichsbürgertreffen. Die Aktionswochen gegen Rassismus Ende März erreichten kaum Leute außerhalb der eigenen Blase; auch die Antwort auf den "Kontraste"-Beitrag in Form einer Demokratiekundgebung fiel mau aus und gegen das Reichsbürgertreffen stellten sich nur 50 Leute auf die Straße. Immerhin nahmen 135 Menschen an einem Mahngang gegen das Protestcamp teil.
Nun stehen am 26. Mai in Gera die Kommunalwahlen an. Nicht nur der Stadtrat wird neu gewählt, auch das Oberbürgermeisteramt ist neu zu vergeben. Es gibt einen Machtkampf zwischen dem amtierenden Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos) und dem Geraer Finanzdezernenten und Bürgermeister Kurt Dannenberg (CDU). Außerdem treten an: Wieland Altenkirch für die AfD, David Kaschta (Die Partei), Yves Berlinghoff aus den Kreisen der Montagsdemos. Von Linken, SPD und Grünen kandidiert niemand, obwohl die drei Parteien zuvor angekündigt hatten, eine:n gemeinsame:n Kandidat:in finden zu wollen. Aber sie haben große Stadtratslisten, mehr Menschen wollen sich für Demokratie engagieren. Und auch "Momento" hat sich fest als Veranstaltung etabliert. Es bleibt spannend, schwierig und zugleich hoffnungsvoll in Gera.
*Einige der Menschen wollten aus Sicherheitsgründen nicht mit Klarnamen auftreten. Ihre Namen wurden geändert.
2 Kommentare verfügbar
Gerda Wünscher
am 03.06.2024Doch die AfD braucht keinen Mehrheitsbeschaffer, weil sich In Gera der Stadtrat schon immer von ganz allein blockiert. Ein Parteiproporz, als säßen sie bei den Vereinten Nationen: Da wird dem Gegenantrag…