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AfD-Verbot

"Nie wieder" ernst nehmen

AfD-Verbot: "Nie wieder" ernst nehmen
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Dass die "Alternative für Deutschland" (AfD) nicht bereit ist, demokratische Grundbedingungen zu erfüllen, beweist sie in allen Parlamenten. Deshalb muss ein Verbotsverfahren genauso ernsthaft ins Auge gefasst werden wie andere Maßnahmen.

Für sechs Jahre ist die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die seit vergangenem Sommer "Heimat" heißt, von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe hat am Dienstag, 23. Januar unmissverständlich geurteilt – und weitreichend: Die Partei ziele "auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen 'Volksgemeinschaft' ausgerichteten autoritären Staat". Ihr politisches Konzept missachte "die Menschenwürde aller, die der ethnischen 'Volksgemeinschaft' nicht angehören, und ist mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar." Johannes Fechner, SPD-Bundestagsabgeordneter und Rechtsanwalt aus dem badischen Emmendingen, ordnet den Spruch aus Karlsruhe auch als denkbare Grundlage für juristische Schritte gegen die AfD ein. Und auch Grüne, Union und FDP kündigten sofort an, die Urteilsbegründung genau unter diesem Aspekt intensiv zu prüfen.

Denn unbestritten haben die zahllosen Bekenntnisse, Ankündigungen und Aufforderungen, die Partei politisch zu bekämpfen und zu stellen, das erhoffte Ergebnis nicht gebracht. Das Gift der Lügen, der persönlichen Angriffe, der haltlosen Unterstellungen und hanebüchenen Vergleiche träufelt in die reale und in die digitale Welt. Seit 2016 sitzen die Rechtspopulist:innen der AfD im baden-württembergischen Landtag. In mehr als 2.000 Reden haben ihre Abgeordneten keine Gelegenheit verstreichen lassen, um ihre Geisteshaltung ungeniert zu dokumentieren. Die Schnittmengen mit dem, was die Bundesverfassungsrichter:innen einstimmig der "Heimat" zuschreiben, sind unübersehbar: So lasse "die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung (...) deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen." Oder: Mit einer Vielzahl von Aktivitäten versuche die Partei, "ihre verfassungsfeindlichen Ziele umzusetzen. Sie überschreitet damit die Schwelle vom bloßen Bekenntnis der Ablehnung zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und ist auf deren Beseitigung ausgerichtet."

Die Befürworter:innen eines Verbotsverfahrens können ins Feld führen, dass das Bundesverfassungsgericht 2017 seine Ablehnung eines NPD-Verbots unter anderem mit der geringen Bedeutung der Partei begründet hat sowie mit den zu geringen Einflussmöglichkeiten, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu zerstören. "Es fehlen hinreichende Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen", hieß es in dem Urteil damals.

In Thüringen winken der AfD allerhöchste Ämter

Sieben Jahre später ist davon auszugehen, dass die AfD nach den Septemberwahlen in drei deutschen Landtagen, in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, die stärkste Fraktion stellen wird. Björn Höcke, ihr einflussreichster Ideologe und Stratege, strebt eine entscheidende Rolle in Thüringen an, einschließlich der des Regierungschefs. Die des Parlamentspräsidenten ist ihm, die aktuellen Umfragen zugrunde gelegt, sicher. Die Rechtsnationalist:innen werden also die Parlamentsverwaltung verantworten und das zweithöchste in einem Bundesland zu vergebende politische Amt weidlich nutzen für Propaganda und Außendarstellung – einschließlich der eingeübten Verdrehungen und dem immer neuen Bemühen, mit Unterstellungen aus Täter:innen Opfer zu machen.

Eindrückliche Beispiele dafür bieten die Reaktionen auf die Correctiv-Enthüllungen über das Geheimtreffen von Rechtsextremen und AfD-Funktionären in Potsdam oder die dadurch ausgelösten Großdemonstrationen. Auch in Baden-Württemberg: Carola Wolle, AfD-Landtagsabgeordnete aus Neckarsulm, die in Plenarsitzungen durch permanente schrille Zwischenrufe auffällt, stellte am Wochenende Strafanzeige "wegen Volksverhetzung" gegen die Programmdirektorin des Deutschlandradios, gegen zwei Moderatoren des Morgenmagazins der ARD und gegen die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. Ihre Begründung: "Wer substanzlose Berichte über ein sogenanntes Geheimtreffen im vorigen Jahr in Potsdam zur 'Wannseekonferenz 2.0' aufbläht, spielt mit dem Feuer. So ein Vergleich verrät nicht nur eine unbeschreibliche historische Dummheit. Nein, es stellt auch eine unglaubliche Verhöhnung von Millionen Holocaust-Opfern dar." Und weiter: "Dieser Tage lassen sich tausende Menschen von der Propagandamaschine der Einheitsmedien aufhetzen, weil es angeblich um die Verhinderung der Massendeportation und Vernichtung von Millionen Migranten durch die AfD geht. (…) Der Wannsee-Vergleich von Correctiv und Komplizen ist die fürchterliche Verharmlosung eines unvergleichlichen Verbrechens. Wer dieses Geschäft betreibt, gehört vor Gericht."

An der Spitze der Diffamierungen: natürlich Höcke

Wie Verächtlichmachung von Demonstrant:innen konkret vor Ort funktioniert, meinen auch viele AfD-Bundestagsabgeordnete zu wissen. Im Netz kursieren viele ähnliche Formulierungen, die AfD-MdB Jürgen Braun sogar per Pressemitteilung zu den "Hetzkundgebungen der AfD-Hasser" verschickt: "Die Lügenstory von Potsdam wird nun in meinem Wahlkreis von Linksradikalen und politischem Establishment gegen die einzige Oppositionspartei instrumentalisiert. (…) Mit im Boot der Hetzer sitzt auch Schorndorfs Oberbürgermeister Hornikel, der trotz seiner gesetzlich verankerten politischen Neutralitätspflicht das Wort bei diesem Aufmarsch ergreifen will." An der Spitze der unappetitlichen Gegenbewegung steht – wer sonst? – Höcke, der die Teilnehmenden als "bestellte Massen" diffamiert: "Man hat zwar Taschenlampen, also Handy-Leuchten, in den Himmel gehalten, aber es sah so ein bisschen aus wie 1933 die Fackelmärsche der Nazis." Ganz nebenbei warf er Medien vor, Bilder zu manipulieren.

Ein Phänomen hatten die Verfassungsrichter:innen im NPD-Verbotsverfahren 2017 noch nicht auf dem Schirm, das gegen die AfD auf jeden Fall zum Tragen käme: die Brandbeschleunigung durch die digitale Kommunikation. Wolle, Braun, Höcke, Weidel und viele andere sammeln online sehr viel Zustimmung, Likes und positive Kommentare ein. Vor allem für den Thüringer Scharfmacher Höcke wird unter Staatsrechtler:innen deshalb die Anwendung von Artikel 18 Grundgesetz diskutiert. "Wie und warum dem Neonazi die Wählbarkeit aberkannt und alle politischen Aktivitäten verboten werden können", beschreibt auch Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung" schon Anfang November. Und weiter: "Es wäre eine gezielte Maßnahme zum Schutz der Demokratie."

Wann eine wehrhafte Demokratie handeln muss

Schon vor fast zehn Jahren war in einer Untersuchung im Auftrag des ersten parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) dargelegt worden, wie die Schwächung der Demokratie funktioniert, wie aus aufrührerischen Parolen und der Zustimmung dazu Einzelne sogar zu Taten oder deren konkreter Vorbereitung animiert werden können. Und das Deutsche Institut für Menschenrechte hat vor einem halben Jahr die Chancen eines Verbotsverfahrens analysiert: "Der Rechtsstaat hat das Verbot einer Partei als letztes Mittel im Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen einer Demokratie also zumindest dann zu wählen, wenn die von der Partei ausgehende Gefahr so groß ist, dass eine 'wehrhafte Demokratie' handeln muss, da sie sonst ihre Abschaffung riskiert, was durchaus schleichend und doch unaufhaltsam passieren kann, insbesondere dadurch, dass die Partei im Laufe der Zeit zunehmend an Einfluss gewinnt."

Gerade in den Landtagen und im Bundestag zeigen sich derart schleichende Veränderungen auf vielfältige Weise. Ungeheuerlichkeiten gehören längst zum Parlamentsalltag. Selbst der Schulterschluss der anderen Fraktionen gegen Hassreden läuft weitgehend ins Leere. Wer "Nie wieder" ernst nimmt, darf Verbotsanträge nicht vorschnell ablehnen, selbst wenn die Verfahren lange dauern oder die Gefahr besteht, dass die AfD versucht, daraus Nektar in der eigenen Anhängerschaft zu saugen. Denn alle die agitieren gegen rechts, in kleinen Dörfern – im Osten unter Inkaufnahme von Drohungen und sogar tätlichen Angriffen – und in großen Städten, alle die aufstehen, auch die schweigende und nicht radikale Mehrheit, sie alle haben eine ernsthafte Prüfung des AfD-Verbots verdient. Der kürzlich gestorbene Wolfgang Schäuble (CDU) nannte Parlamente die Herzkammer der Demokratie. Ein Schrittmacher allein wird die lebensnotwendigen Funktionen nicht mehr aufrechterhalten können. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat weitere Instrumente bereitgelegt.

Im Stechschritt durchs Brandenburger Tor

Jede:r prüfe sich selbst: Wer kennt Beispiele für einen offensiven politischen Umgang mit der AfD oder weiß selber damit zu argumentieren? Wer erinnert sich an die vielen Versuche, rechtsnationale und -radikale Abgeordnete zu entlarven? Etwa an den FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, der im Dezember 2018 im baden-württembergischen Landtag astrein gegen die Aufrührer:innen vorgegangen ist: "Ich bin weiß Gott nicht immer einer Meinung mit der SPD, aber zur Art und Weise, wie Sie fortgesetzt über diese Partei reden, will ich Ihnen nur eines sagen: Schauen Sie mal 80 Jahre in unserer Geschichte zurück, damals saßen die Vorgänger dieser Abgeordneten im KZ, weil sie gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, und die geistigen Vorläufer von Leuten wie Stefan Räpple sind im Stechschritt durch das Brandenburger Tor marschiert."

Das ist schon fünf Jahre her, die Empörung auf der ganz rechten Seite war riesig, die Zustimmung für den Liberalen weit über die eigenen Reihen und den Landtag hinaus groß. Das Problem: Zu große Teile der Bevölkerung werden von solcher Argumentation nicht erreicht. Oder halten sie für unerheblich, weil historisch. Als wenn es sie nicht längst gäbe, die Drohung der Geschichte mit ihrer Wiederkehr.

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5 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 28.01.2024
    Antworten
    Es ist natürlich absurd, wenn eine AFD-Politikerin sich über die Shoah-Relativierung echauffiert, wenn das rechte Treffen in Potsdam mit der Wannseekonferenz verglichen wird. Doch es sollte nicht vergessen werden, dass auch Linke, die sich mit dem deutschen Vernichtungsantisemitismus…
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