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Prozess gegen Fabian Kienert, RDL

Staatsanwalt lässt nicht locker

Prozess gegen Fabian Kienert, RDL: Staatsanwalt lässt nicht locker
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Der Journalist Fabian Kienert wurde wegen einer Verlinkung angeklagt und nun freigesprochen. Ein Sieg für die Pressefreiheit ist das nur eingeschränkt, meint unser Autor. Dass der Staatsanwalt agieren konnte, wie er es getan hat, ist ein Skandal.

Denkwürdige Szenen spielen sich ab vor dem Landgericht Karlsruhe: Der Staatsanwalt steht hinter seinem Stuhl und hält sich mit beiden Händen an der Lehne fest, während er sein Plädoyer vorträgt. Mit zitternder Stimme erklärt Manuel Graulich, die linksextremistische Agitationsplattform "linksunten.indymedia" habe "eine Struktur geschaffen, die es ermöglicht hat, beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg halbe Stadtteile in Schutt und Asche zu legen". Wer hinter dem Betrieb dieser seit sieben Jahren verbotenen Plattform steckt, konnte zwar nie vor Gericht bewiesen werden. Graulich aber ist sich sicher, dass es die Freiburger Antifa gewesen sein muss, als deren "Haus- und Hofberichterstatter" der linksalternative Sender "Radio Dreyeckland" (RDL) auftrete. Dem dort angestellten Redakteur Fabian Kienert wirft die Staatsanwaltschaft vor, durch die Verlinkung der Archivseite von "linksunten.indymedia" in einem seiner Artikel die weitere Betätigung einer verbotenen Vereinigung unterstützt zu haben.

Auf dieser Archivseite, führt Graulich aus, gebe es Anleitungen, wie Schienenverkehr sabotiert oder Molotow-Cocktails gebaut werden können. "Man stelle sich vor, es gäbe das Archiv als physischen Ort und der Angeklagte stellt sich vor die Tür mit einem großen Schild 'Hier geht es zum Archiv!' – dann wäre das auch strafbar." Nach Auffassung des Staatsanwalts habe Kienert mit seiner Verlinkung nicht nur für eine kriminelle Bande geworben, er habe überdies Straftaten gebilligt, indirekt dazu aufgefordert, welche zu begehen, und die Gefährdung von Menschen, "insbesondere Polizisten", in Kauf genommen. Deswegen hält er eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen für angemessen.

Wie es zur Verhandlung kam

•  Am 25.8.2017 verbietet das Bundesinnenministerium "inksunten.indymedia", weil es "das derzeit wichtigste Informations- und Propagandamedium für die linksextremistische Szene im deutschsprachigen Raum" sei.
•  Zeitgleich finden auf Antrag von Staatsanwalt Manuel Graulich diverse Hausdurchsuchungen in Freiburg statt, auch im linksalternativen Zentrum KTS. Dabei werden zahlreiche Datenträger beschlagnahmt.
•  In der Folge wird gegen fünf Personen ermittelt, die angeblich die Plattform "linksunten.indymedia" betrieben haben. Dem baden-württembergischen Landeskriminalamt gelingt es nicht, die Verschlüsselung der beschlagnahmten Datenträger zu knacken.
•  Am 12.10.2020 stellt das Verwaltungsgericht Mannheim fest, dass die Hausdurchsuchung im Zentrum KTS rechtswidrig war.
•  Am 29.7.2022 wird bekannt, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen die fünf mutmaßlichen Betreiber:innen eingestellt worden ist, da keine ausreichenden Beweise für eine Anklageerhebung gefunden werden konnten.
•  Am 30.7.2022 berichtet "Radio Dreyeckland" (RDL) über die Einstellung des Verfahrens. Redakteur Fabian Kienert schreibt den Satz "Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite" und setzt einen entsprechenden Link. Die Meldung ist mit dem Autorenkürzel "FK" versehen.
•  Am 17.1.2023 werden die Wohnung des RDL-Geschäftsführers sowie die des RDL-Redakteurs Fabian Kienert durchsucht, offiziell um die Urheberschaft des Artikels vom 30.7.2022 zu klären. Aus Polizeiunterlagen geht hervor, dass das Kürzel "FK" schon vorab Fabian Kienert zugeordnet worden war.
•  Am 16.5.2023 lehnt das Landgericht (LG) Karlsruhe die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen Kienert ab, weil keine Strafbarkeit vorliege. Staatsanwalt Graulich legt Beschwerde vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart ein.
•  Am 12.6.2023 hebt das OLG Stuttgart den Beschluss des LG Karlsruhe auf und lässt die Anklageerhebung zu.
•  Am 2.8.2023 kommt es auf Antrag von Staatsanwalt Graulich zu erneuten Hausdurchsuchungen in Freiburg, betroffen sind erneut die fünf mutmaßlichen Betreiber von "linksunten.indymedia". Erneut werden Datenträger beschlagnahmt, erneut gelingt es den Behörden nicht, sie zu entschlüsseln.
•  Am 18.4.2024 startet das Hauptsacheverfahren gegen Kienert vor dem LG Karlsruhe (Kontext berichtete über den Prozessauftakt).  (min)

Nun hatte Fabian Kienert kein Schild in der Hand, er verfasste in einem journalistischen Beitrag den sachlichen und faktisch zutreffenden Satz: "Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite." Bis heute kann der Redakteur nicht fassen, dass er deswegen vor Gericht gezerrt wurde. Auch den Vorsitzenden Richter Axel Heim konnte die assoziative Argumentationskette der Staatsanwaltschaft letztlich nicht überzeugen: Er machte klar, dass er das Verhalten des Angeklagten unter keinem Gesichtspunkt für strafwürdig hält. Da Kienerts inkriminierter Artikel nirgendwo explizit für eine verbotene Vereinigung wirbt oder erkennbar zur Unterstützung aufruft, meinte der Richter in der Urteilsbegründung zum Freispruch sogar, wenn es dem Angeklagten wirklich darauf angekommen wäre, "hätte er sich bei der Fürsprache mehr Mühe geben können".

Einschüchternde Wirkung auf viele Journalist:innen

Der Fall ist Tragödie und Farce zugleich. Einerseits stellt der Vorsitzende Richter ein paar Dinge in erfreulicher Klarheit fest: Kienerts angegriffener Artikel enthält keine tatbestandsmäßige Unterstützungshandlung, schon allein deswegen, weil es ihm an eindeutig werbenden Aussagen mangelt. Für die rechtliche Bewertung ist nicht entscheidend, was sich auf Biegen und Brechen hineininterpretieren lässt, sondern eine "unvoreingenommene und verständige Würdigung". Kienerts Meldung sei dem Richter zufolge in der Grundtendenz erkennbar kritisch gegenüber dem Verbot von "linksunten.indymedia". Allerdings sei es erlaubt, staatliches Handeln zu hinterfragen, und "Verbote müssen kritisiert werden können, ohne reflexartig eine Unterstützung der verbotenen Inhalte zu unterstellen".

All das sind Punkte, die in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein sollten. Leider sind sie es nicht. So zeigt sich Kienert zwar erleichtert über den Freispruch. Allerdings betont er, dass sich ein großer Teil des Schadens nicht mehr korrigieren lasse. Sein Artikel führte zu gleich drei Hausdurchsuchungen im Januar 2023. Auch die Redaktionsräume von "Radio Dreyeckland" waren betroffen und ohne anwaltliche Intervention wäre laut Kienert "die gesamte technische Infrastruktur beschlagnahmt" worden und damit "das Programm eines lizenzierten Rundfunkanbieters lahmgelegt". Die Razzia in seiner Wohnung habe zudem tiefe Spuren hinterlassen, acht bewaffnete Beamte sind in seine Privatsphäre eingedrungen: "Zahlreiche Nächte nach dem 17. Januar 2023 waren bei mir vom Albtraum geprägt, da poltert jemand an der Tür." Er versuche nun über eine Verfassungsbeschwerde feststellen zu lassen, dass dieses Vorgehen rechtswidrig war. "Dass es überhaupt möglich war, wirkt einschüchternd auf viele Journalist:innen, insbesondere freie Radios", sagt Kienert.

Erschreckend ist, wie wenig Staatsanwalt Graulich an konkreten Beweisen vorlegen musste, damit die Razzien durchgewunken wurden und es zu einer Anklage kam. Um eine verbotene Vereinigung überhaupt unterstützen zu können, muss sie erst mal existieren. Nach Ansicht der Kammer ist es aber trotz umfangreicher Beweisaufnahme nicht gelungen, "stichhaltige Hinweise" dafür zu finden, dass "linksunten.indymedia" seit dem Verbot 2017 noch fortbesteht. Geheimdienste und Staatsschutz konnten dazu keine Erkenntnisse vorlegen, und der einzige konkrete Anhaltspunkt, den der Staatsanwalt anführen konnte, war, dass es seit 2020 eine Archivseite der verbotenen Plattform gibt. Wer diese online gestellt hat, ist allerdings nicht bekannt. Und selbst falls es der ehemalige Betreiberkreis gewesen sein sollte, wäre das noch kein Beweis, dass die Vereinigung 2022, zum Zeitpunkt von Kienerts Artikel, noch aktiv war.

Razzia und Anklage ohne stichhaltige Beweise

Mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft steht mit völlig leeren Händen da. So meinte Graulich zu Beginn seines Plädoyers zwar, er befinde sich "in einer vorteilhaften Position", da das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) seine Rechtsauffassung bereits bestätigt habe. Das Landgericht Karlsruhe hatte die Anklage eigentlich gar nicht zulassen wollen, dagegen legte der Staatsanwalt aber Beschwerde ein, und das OLG entschied, dass der Fall verhandelt werden muss. In der Begründung dazu wird Kienerts Artikel aber falsch zitiert und auf dieser Grundlage eine Verurteilung als wahrscheinlich eingestuft. Das OLG blendete zudem aus, dass unbekannt ist, wer das "linskunten"-Archiv ins Netz gestellt hat und schreibt, allein dadurch, dass es existiert, sei "mehr als 2 Jahre nach Erlass des Verbotes noch eine verbotene Betätigung des Vereins erkennbar".

Weiter heißt es: "Gegen die Annahme, dies sei eine einmalige Handlung gewesen, mit der man sich lediglich eine Art 'Denkmal' habe setzen wollen, spricht neben der auf Dauerhaftigkeit angelegten Wirkung eines Denkmals die umfangreiche Information zur Vereinstätigkeit, die im Archiv nach wie vor zu finden ist; auch hinsichtlich der Möglichkeiten, die Vereinigung finanziell zu unterstützen." Allerdings enthält das Archiv, wie die Beweisaufnahme in Karlsruhe ergeben hat, gar keine Möglichkeiten, die Vereinigung finanziell zu unterstützen. Und Richter Heim erläuterte nebenbei, dass es durchaus Denkmäler für Gruppierungen gibt, die heute nicht mehr aktiv sind.

Um die Groteske zu komplementieren, stellte der Staatsanwalt noch einen Beweisantrag, der eine massive Bedrohung für die Pressefreiheit darstellt und vor Falschbehauptungen strotzt. Graulich wollte bewirken, Kienerts beschlagnahmte Datenträger auswerten zu dürfen. Nach Angaben der Verteidigung wären dadurch über 50.000 Redaktionsmails von "Radio Dreyeckland" einsehbar geworden. In der Begründung führte Graulich an, einem Kriminalhauptkommissar sei es im Zeugenstand möglich gewesen, "auf Nachfrage eine anhaltende persönliche Bekanntschaft zwischen dem Angeklagten und dem Betreiberkollektiv der Vereinigung 'linksunten.indymedia' zu bejahen". Der Vorsitzende Richter und die Verteidigung hatten die entsprechende Aussage ganz anders verstanden, also wurde der Kriminalhauptkommissar ein zweites Mal vorgeladen – und betonte dabei explizit, er könne überhaupt keinen Kontakt zwischen dem Angeklagten und dem Betreiberkollektiv bejahen.

Auch die Aussage eines technischen Gutachters hatte Graulich in seinem Beweisantrag sinnentstellt wiedergegeben, wie eine erneute Befragung des technischen Gutachters deutlich machte. Doch von der Wiederholungsstunde unbeeindruckt, stellte Graulich seinen Beweisantrag trotzdem unverändert. Darin mutmaßte er zudem, durch eine Auswertung von Kienerts Kommunikationsinhalten, der sich angeblich eher als Aktivist denn als Journalist verstehe, könnte sich ergeben, dass dieser und die mutmaßlichen "linksunten"-Betreiber ein Propagandastück verabredet hätten, und zwar "einschließlich einer aktiven Verlinkung" auf die Archivseite. In Ermangelung konkreter Anhaltspunkte für diese Vermutung betonte Richter Heim, die Darstellung bewege sich "an der Grenze zur Behauptung ins Blaue hinein". Der Beweisantrag der Staatsanwaltschaft wurde unter Verweis auf Redaktionsgeheimnis, Informantenschutz und Verhältnismäßigkeit abgelehnt.

Staatsanwalt Graulich ist jetzt Pressesprecher

Kienerts Anwältin Angela Furmaniak erklärte, dass angesichts des Vorgehens von Staatsanwaltschaft und OLG trotz Freispruch "ein sehr bitterer Nachgeschmack" bleibe und das Verfahren einen "erheblichen Flurschaden" angerichtet habe. Allein die Anklageerhebung habe die journalistische Branche verunsichert, "in fast jedem Gespräch mit Medienvertreter:innen kam die Sorge zum Ausdruck: Was ist noch erlaubt?"

Die Juristin verweist auf das Bundesverfassungsgericht, das mehrfach klargestellt hat, dass Presse- und Meinungsfreiheit historisch "gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen" sind, und dass es nicht Aufgabe des Staates ist, zwischen gefälligem und unerwünschtem Journalismus zu unterscheiden. Einen kleinen Seitenhieb kann sich Furmaniak in ihrem Plädoyer nicht verkneifen: "Ich sage das jetzt nur halb ironisch: Aber durch das Vorgehen der Staatsanwaltschaft und das Medienecho dürfte der Archivseite von 'linksunten.indymedia' deutlich mehr Aufmerksamkeit zuteilgeworden sein als durch den Artikel meines Mandanten."

Der Freigesprochene selbst nutzte seine letzten Worte auf der Anklagebank für eine Warnung: "Gerade angesichts der stetigen politischen Entwicklung nach rechts kann einem dieser Fall Angst machen. Er zeigt nämlich, wie wenig Schutz die Presse- und Rundfunkfreiheit und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schon jetzt bieten", sagte er. Wenn in naher Zukunft immer mehr "Menschen mit dezidiert rechter Gesinnung" in die Institutionen des Staates drängen würden, werde es ihnen "ganz offensichtlich ein Leichtes sein, gegen unliebsame Journalist:innen vorzugehen".

Inzwischen ist zudem klar, dass der Fall noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Zwar erklärte Staatsanwalt Graulich unmittelbar nach der Urteilsverkündung Medienvertreter:innen gegenüber, er wolle die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, um zu prüfen, ob er eine Revision beantragen werde. Doch schon am Tag danach, dem 7. Juni, war das nicht mehr aktuell: Fabian Kienert berichtet, dass ein Fax eingetrudelt sei: "Wie zu erwarten war", teilt er mit, "hat die Karlsruher Staatsanwaltschaft nur einen Tag nach dem Freispruch das Rechtsmittel der Revision eingelegt." Für die Prüfung ist der Bundesgerichtshof zuständig. Graulich argumentierte im Prozess, die Pressefreiheit solle im Fall Kienert weniger stark berücksichtigt werden, weil "Aktivismus in der DNA linker Medien" liege und "Radio Dreyeckland" im Übrigen "Haus- und Hofberichterstatter der Freibuger Antifa" sei. Schlusspointe: Seit dem 1. Juni dieses Jahres ist Manuel Graulich nicht nur für die Verfolgung politischer Kriminalität zuständig. Er ist außerdem der neue Pressesprecher der Karlsruher Staatsanwaltschaft.


Transparenzhinweis: RDL-Redakteur Fabian Kienert verfasst als freier Autor Texte für Kontext.

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9 Kommentare verfügbar

  • Reality
    vor 5 Tagen
    Antworten
    Und weiter geht’s mit besagtem Staatsanwalt. Das mit der Presse war schon ein Hammer aber der Blick nach Karlsruhe kann nur weiter Kopfschütteln hinterlassen. Sozialarbeit mit Füßen treten, völlig überzogene Strafe. Wofür? Wer hat was davon? Nur der Staatsanwalt. Die Gesellschaft sicherlich nicht.…
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