Nun hatte Fabian Kienert kein Schild in der Hand, er verfasste in einem journalistischen Beitrag den sachlichen und faktisch zutreffenden Satz: "Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite." Bis heute kann der Redakteur nicht fassen, dass er deswegen vor Gericht gezerrt wurde. Auch den Vorsitzenden Richter Axel Heim konnte die assoziative Argumentationskette der Staatsanwaltschaft letztlich nicht überzeugen: Er machte klar, dass er das Verhalten des Angeklagten unter keinem Gesichtspunkt für strafwürdig hält. Da Kienerts inkriminierter Artikel nirgendwo explizit für eine verbotene Vereinigung wirbt oder erkennbar zur Unterstützung aufruft, meinte der Richter in der Urteilsbegründung zum Freispruch sogar, wenn es dem Angeklagten wirklich darauf angekommen wäre, "hätte er sich bei der Fürsprache mehr Mühe geben können".
Einschüchternde Wirkung auf viele Journalist:innen
Der Fall ist Tragödie und Farce zugleich. Einerseits stellt der Vorsitzende Richter ein paar Dinge in erfreulicher Klarheit fest: Kienerts angegriffener Artikel enthält keine tatbestandsmäßige Unterstützungshandlung, schon allein deswegen, weil es ihm an eindeutig werbenden Aussagen mangelt. Für die rechtliche Bewertung ist nicht entscheidend, was sich auf Biegen und Brechen hineininterpretieren lässt, sondern eine "unvoreingenommene und verständige Würdigung". Kienerts Meldung sei dem Richter zufolge in der Grundtendenz erkennbar kritisch gegenüber dem Verbot von "linksunten.indymedia". Allerdings sei es erlaubt, staatliches Handeln zu hinterfragen, und "Verbote müssen kritisiert werden können, ohne reflexartig eine Unterstützung der verbotenen Inhalte zu unterstellen".
All das sind Punkte, die in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein sollten. Leider sind sie es nicht. So zeigt sich Kienert zwar erleichtert über den Freispruch. Allerdings betont er, dass sich ein großer Teil des Schadens nicht mehr korrigieren lasse. Sein Artikel führte zu gleich drei Hausdurchsuchungen im Januar 2023. Auch die Redaktionsräume von "Radio Dreyeckland" waren betroffen und ohne anwaltliche Intervention wäre laut Kienert "die gesamte technische Infrastruktur beschlagnahmt" worden und damit "das Programm eines lizenzierten Rundfunkanbieters lahmgelegt". Die Razzia in seiner Wohnung habe zudem tiefe Spuren hinterlassen, acht bewaffnete Beamte sind in seine Privatsphäre eingedrungen: "Zahlreiche Nächte nach dem 17. Januar 2023 waren bei mir vom Albtraum geprägt, da poltert jemand an der Tür." Er versuche nun über eine Verfassungsbeschwerde feststellen zu lassen, dass dieses Vorgehen rechtswidrig war. "Dass es überhaupt möglich war, wirkt einschüchternd auf viele Journalist:innen, insbesondere freie Radios", sagt Kienert.
Erschreckend ist, wie wenig Staatsanwalt Graulich an konkreten Beweisen vorlegen musste, damit die Razzien durchgewunken wurden und es zu einer Anklage kam. Um eine verbotene Vereinigung überhaupt unterstützen zu können, muss sie erst mal existieren. Nach Ansicht der Kammer ist es aber trotz umfangreicher Beweisaufnahme nicht gelungen, "stichhaltige Hinweise" dafür zu finden, dass "linksunten.indymedia" seit dem Verbot 2017 noch fortbesteht. Geheimdienste und Staatsschutz konnten dazu keine Erkenntnisse vorlegen, und der einzige konkrete Anhaltspunkt, den der Staatsanwalt anführen konnte, war, dass es seit 2020 eine Archivseite der verbotenen Plattform gibt. Wer diese online gestellt hat, ist allerdings nicht bekannt. Und selbst falls es der ehemalige Betreiberkreis gewesen sein sollte, wäre das noch kein Beweis, dass die Vereinigung 2022, zum Zeitpunkt von Kienerts Artikel, noch aktiv war.
Razzia und Anklage ohne stichhaltige Beweise
Mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft steht mit völlig leeren Händen da. So meinte Graulich zu Beginn seines Plädoyers zwar, er befinde sich "in einer vorteilhaften Position", da das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) seine Rechtsauffassung bereits bestätigt habe. Das Landgericht Karlsruhe hatte die Anklage eigentlich gar nicht zulassen wollen, dagegen legte der Staatsanwalt aber Beschwerde ein, und das OLG entschied, dass der Fall verhandelt werden muss. In der Begründung dazu wird Kienerts Artikel aber falsch zitiert und auf dieser Grundlage eine Verurteilung als wahrscheinlich eingestuft. Das OLG blendete zudem aus, dass unbekannt ist, wer das "linskunten"-Archiv ins Netz gestellt hat und schreibt, allein dadurch, dass es existiert, sei "mehr als 2 Jahre nach Erlass des Verbotes noch eine verbotene Betätigung des Vereins erkennbar".
Weiter heißt es: "Gegen die Annahme, dies sei eine einmalige Handlung gewesen, mit der man sich lediglich eine Art 'Denkmal' habe setzen wollen, spricht neben der auf Dauerhaftigkeit angelegten Wirkung eines Denkmals die umfangreiche Information zur Vereinstätigkeit, die im Archiv nach wie vor zu finden ist; auch hinsichtlich der Möglichkeiten, die Vereinigung finanziell zu unterstützen." Allerdings enthält das Archiv, wie die Beweisaufnahme in Karlsruhe ergeben hat, gar keine Möglichkeiten, die Vereinigung finanziell zu unterstützen. Und Richter Heim erläuterte nebenbei, dass es durchaus Denkmäler für Gruppierungen gibt, die heute nicht mehr aktiv sind.
Um die Groteske zu komplementieren, stellte der Staatsanwalt noch einen Beweisantrag, der eine massive Bedrohung für die Pressefreiheit darstellt und vor Falschbehauptungen strotzt. Graulich wollte bewirken, Kienerts beschlagnahmte Datenträger auswerten zu dürfen. Nach Angaben der Verteidigung wären dadurch über 50.000 Redaktionsmails von "Radio Dreyeckland" einsehbar geworden. In der Begründung führte Graulich an, einem Kriminalhauptkommissar sei es im Zeugenstand möglich gewesen, "auf Nachfrage eine anhaltende persönliche Bekanntschaft zwischen dem Angeklagten und dem Betreiberkollektiv der Vereinigung 'linksunten.indymedia' zu bejahen". Der Vorsitzende Richter und die Verteidigung hatten die entsprechende Aussage ganz anders verstanden, also wurde der Kriminalhauptkommissar ein zweites Mal vorgeladen – und betonte dabei explizit, er könne überhaupt keinen Kontakt zwischen dem Angeklagten und dem Betreiberkollektiv bejahen.
Auch die Aussage eines technischen Gutachters hatte Graulich in seinem Beweisantrag sinnentstellt wiedergegeben, wie eine erneute Befragung des technischen Gutachters deutlich machte. Doch von der Wiederholungsstunde unbeeindruckt, stellte Graulich seinen Beweisantrag trotzdem unverändert. Darin mutmaßte er zudem, durch eine Auswertung von Kienerts Kommunikationsinhalten, der sich angeblich eher als Aktivist denn als Journalist verstehe, könnte sich ergeben, dass dieser und die mutmaßlichen "linksunten"-Betreiber ein Propagandastück verabredet hätten, und zwar "einschließlich einer aktiven Verlinkung" auf die Archivseite. In Ermangelung konkreter Anhaltspunkte für diese Vermutung betonte Richter Heim, die Darstellung bewege sich "an der Grenze zur Behauptung ins Blaue hinein". Der Beweisantrag der Staatsanwaltschaft wurde unter Verweis auf Redaktionsgeheimnis, Informantenschutz und Verhältnismäßigkeit abgelehnt.
Staatsanwalt Graulich ist jetzt Pressesprecher
Kienerts Anwältin Angela Furmaniak erklärte, dass angesichts des Vorgehens von Staatsanwaltschaft und OLG trotz Freispruch "ein sehr bitterer Nachgeschmack" bleibe und das Verfahren einen "erheblichen Flurschaden" angerichtet habe. Allein die Anklageerhebung habe die journalistische Branche verunsichert, "in fast jedem Gespräch mit Medienvertreter:innen kam die Sorge zum Ausdruck: Was ist noch erlaubt?"
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Reality
vor 5 Tagen