Staatsanwalt Manuel Graulich zeigte sich in der Verhandlung bemüht, eine Art Kontaktschuld zwischen Kienert und den "linksunten"-Betreiber:innen nachzuweisen – was bislang nicht gelungen ist. Graulich ist auch verantwortlich für die Hausdurchsuchung in Kienerts Wohnung am 17. Januar 2023, bei der unter anderem ein Laptop, zwei Handys und vier USB-Sticks beschlagnahmt worden sind. Offiziell diente die Beweismittelsicherung dem Zweck, die Urheberschaft des strittigen Artikels zu klären, der online mit dem Kürzel "FK" gekennzeichnet war. Obwohl Kienert bereits am Tag der Razzia einräumte, den Text verfasst zu haben, wurden die Datenträger mitgenommen. Jetzt drängt die Staatsanwaltschaft darauf, die Kommunikationsinhalte auf den Geräten im Verfahren auszuwerten.
Dadurch verspricht sich Graulich Anknüpfungspunkte, dass Kienert und die mutmaßlichen "linksunten"-Betreiber:innen verabredet haben, ein als Journalismus getarntes Propagandastück in die Welt zu setzen und zwar "einschließlich einer aktiven Verlinkung" auf die Archivseite. Bislang unterliegen die Kommunikationsinhalte auf den Datenträgern einem Beweisverwertungsverbot, das die Kammer in Karlsruhe aus den im Grundgesetz verankerten Medienrechten wie Quellenschutz und Redaktionsgeheimnis ableitet.
Der Verhandlungstag als "Wiederholungsstunde"
Staatsanwalt Graulich ist hingegen überzeugt, dass in diesem Fall das Interesse an der Strafverfolgung wichtiger sei. Seinem Begründungsversuch im Beweisantrag liegen jedoch erhebliche Verständnisschwierigkeiten zugrunde. Der ganze siebte Verhandlungstag ist laut Kienerts Anwältin Angela Furmaniak eine "Wiederholungsstunde". Die zwei Zeugen, die angehört werden, wurden beide schon einmal angehört. Die erneute Befragung ist nötig geworden, weil Graulich ihre Aussagen in einem Beweisantrag so eigenwillig ausgelegt hatte, dass sich sogar der Vorsitzende Richter Axel Heim wundert, ob alle Verfahrensbeteiligten wirklich dem gleichen Prozess beigewohnt haben.
So liefert die zweite Anhörung des Sachverständigen York Yannikos wenig Erkenntnisgewinn für den Rest der Verfahrensbeteiligten. Er wurde vom Gericht mit einem technischen Gutachten zu "linksunten.indymedia" und der Archivseite beauftragt und kam zum Schluss, dass es sehr viele Varianten gebe, wie so eine Archivseite im Netz landen kann, dass dazu auch unbeteiligte Dritte in der Lage wären und dass es unmöglich sei, belastbar zu sagen, welches Szenario nun zutreffe. Der Staatsanwalt hatte ihn bei der ersten Vernehmung so verstanden, dass bestimmte Varianten viel wahrscheinlicher wären als andere und dass sich dadurch unter anderem "konkrete Anknüpfungspunkte" für fortgesetzte Vereinsaktivitäten ergäben.
Aber der Gutachter will auch in Runde zwei nichts davon bestätigen. Der – noch ausstehende – Nachweis für eine fortgesetzte Aktivität der verbotenen Vereinigung wäre indessen für eine Verurteilung Kienerts von zentraler Bedeutung. Denn um die Vereinigung möglicherweise unterstützt haben zu können, muss sie denklogisch auch existieren. Die im Zuge der Verhandlung befragten Staats- und Verfassungsschützer konnten bislang allerdings keinerlei belastbare Hinweise auf irgendwelche "linksunten"-Aktivitäten seit 2017 vorlegen.
Staatsanwalt Graulich ist trotzdem überzeugt, dass es sie geben muss. So behauptet er im Beweisantrag einfach mal, wenn man die "Inaugenscheinnahme der Kommunikationsinhalte" auf den bei Kienert sichergestellten Datenträgern erlauben würde, ließen sich sogar "tatsächliche Anknüpfungstatsachen" finden, dass die "Betreiber der nunmehr verbotenen Vereinigung als Redakteure von RDL die unter dem Schutz der Pressefreiheit stehende Infrastruktur für den Aufbau" der nunmehr verbotenen "linksunten"-Plattform genutzt hätten.
Eigentlich hat der Zeuge das Gegenteil gesagt
Diese gravierenden Vorwürfe stützt Graulich allesamt auf die Aussage des Zeugen K. vom Freiburger Staatsschutz. Der habe "auf Nachfrage eine anhaltende persönliche Bekanntschaft zwischen dem Angeklagten und dem Betreiberkollektiv der Vereinigung 'linksunten.indymedia' bejahen können". Anders sieht das jedoch der Zeuge K. selbst. In seiner zweiten Vernehmung kann er auf Nachfrage von Richter Heim eine "anhaltende persönliche Bekanntschaft" zwischen dem Angeklagten und dem Betreiberkollektiv explizit nicht bejahen [Hervorhebung für Graulich]. Er habe auch keinerlei Kenntnisse darüber, dass "linksunten"-Betreiber für RDL arbeiten würden oder das je getan hätten. Ebenso wenig wisse er etwas davon, dass RDL irgendwann Infrastruktur für "linksunten" bereitgestellt hätte.
Was der Zeuge vom Staatsschutz allerdings schildert, ist "eine Art Dreiecksbeziehung" zwischen RDL, der autonomen Antifa Freiburg und "linksunten.indymedia". Wirklich handfest sind die Ausführungen nicht: So habe K. bei verschiedenen Veranstaltungen der Freiburger Antifa sowohl Kienert als auch [mutmaßliche, d. Red.] "linksunten"-Betreiber:innen beobachten können. Ob es mal ein Gespräch oder auch nur eine Begrüßung gegeben hat, kann der Zeuge nicht beantworten, erinnerlich sei es ihm jedenfalls nicht. Er hält es zudem für möglich, dass Kienert beruflich vor Ort war.
Aus diesen Angaben, die nicht einmal direkten Kontakt bejahen können, eine "stetige persönliche Bekanntschaft" zu konstruieren, erscheint bereits kühn. Staatsanwalt Graulich geht aber noch weiter und schreibt in seinem Beweisantrag, allein aus dieser [unbelegten] Bekanntschaft und dem Umstand, dass RDL als "erstes Medium überhaupt" über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die verdächtigten Betreiber:innen berichtet hat, dränge sich bereits "eine Kommunikation zwischen den Beteiligten (hier in Form einer 'bestellten' sympathisierenden Berichterstattung als Sprachrohr für die verbotene Vereinigung und deren Online-Archiv) auf".
Richter verteidigt Angeklagten
Die von jeglichen Fakten befreite Unterstellung, dass ein womöglich krimineller Verein sympathisierende Berichterstattung "bestellt" und sich ein Redakteur bereitwillig als Sprachrohr einspannen lässt, ist bereits ein Frontalangriff auf journalistische Integrität – erst recht, wenn nicht ein einziges ernstzunehmendes Indiz vorliegt, dass es überhaupt eine Kommunikation gegeben hat. Es ist aber noch lange nicht das dreisteste, was sich Graulich hat einfallen lassen.
So sieht der Staatsanwalt noch etwas, das er als "objektiven Anknüpfungspunkt" ausgibt, und zwar dafür, dass "der Angeklagte sich selbst weniger als einen am 'Pressekodex' orientierten Journalisten, sondern als einen der linken Szene zuzuordnenden politischen Aktivisten einordnet". Das schlussfolgert Graulich aus dem Umstand, dass der Angeklagte nach der Razzia in seiner Wohnung "bundesweite Reaktionen der linken Szene angekündigt" habe. Diese Wortwahl findet Graulich nicht besonders journalistisch, er glaubt nicht, dass die "Tagesschau" mit dieser Formulierung über den Vorgang berichtet hätte, sagt er in der in der Verhandlung. Zudem läge "Aktivismus in der DNA linker Medien".
16 Kommentare verfügbar
Ulrike Kötzle
am 25.05.2024wenn Sie das hier Berichtete sooo langweilt, warum lesen Sie es und schreiben sogar noch einen sehr negativen Kommentar ?
Ich fand die Berichterstattung über den außer Rand und Band geratenen Staatsanwalt und das ganze Verfahren sehr interessant.
Im Übrigen: hier…