Zuerst habe er gedacht, da wären Einbrecher in seiner Wohnung, sagt der Journalist Fabian Kienert – und lässt wissen, dass es schönere Dinge gibt, als morgens um 6:45 Uhr von der Polizei geweckt zu werden. Die Staatsmacht ist in seine Wohnung eingedrungen, um zu klären, ob er der Autor eines Textes ist, der drei Hausdurchsuchungen am 17. Januar dieses Jahres rechtfertigen soll.
Verstehen lässt sich der Vorgang nur, wenn man die inzwischen fünf Jahre alte Vorgeschichte kennt. Denn auf vielen Umwegen handelt es sich um eine Spätfolge der Ausschreitungen beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg.
Eigentlich wollte der Staat damals seine Handlungsfähigkeit demonstrieren. "Die heutigen Maßnahmen sind ein Schlag gegen den gewaltbereiten Linksextremismus in Deutschland", erklärte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) im August 2017, nachdem 250 Polizist:innen das linke Kulturzentrum KTS und weitere Räumlichkeiten in Freiburg durchsucht hatten. Hintergrund war das zeitgleich erfolgte Verbot von "linksunten.indymedia", laut Strobl die "wichtigste Plattform des gewalttätigen Linksextremismus": Auf dem Portal konnten alle Menschen mit Internetzugang anonyme Beiträge verfassen, wobei die Moderation nur in Ausnahmefällen eingriff. Neben Recherchen, Dossiers und Leaks, die auch von professionellen Medien wie "Correctiv" aufgegriffen wurden, erschienen auf "linksunten.indymedia" strafrechtlich relevante Beiträge, etwa Gewaltaufrufe gegen Polizist:innen, Bekennerschreiben aus der linksradikalen Szene oder Anleitungen zum Bombenbau.
Auf Verfügung des Bundesinnenministeriums wurde "linksunten.indymedia" kurz nach dem G20-Gipfel verboten. Doch bei den staatlichen Bemühungen, die Betreiber:innen der Plattform zur Verantwortung zu ziehen, ist eine Aneinanderreihung der Pleiten festzustellen. Trotz jahrelanger Bemühungen von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz gelang es nicht, eine verschlüsselte Festplatte zu knacken, die bei der Durchsuchung in der KTS beschlagnahmt worden ist. Im Oktober 2020 urteilte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim, dass die Razzia im Kulturzentrum rechtswidrig war. Und, wie unter anderem der Freiburger Sender "Radio Dreyeckland" (RDL) vermeldete, wurde das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen "Bildung einer krimineller Vereinigung" am 12. Juli 2022 aus Mangel an Beweisen eingestellt.
Die drei Indizien
Ein halbes Jahr später sollte die Berichterstattung ein Nachspiel haben. Der Artikel bei RDL ist zwar nur einen Absatz lang – in der "Gesamtschau" habe er aber, wie ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegenüber Kontext ausführt, einen Anfangsverdacht begründet, dass hier ein Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot vorliegen könnte. Woran das festzumachen ist? Laut der Staatsanwaltschaft am Zusammenspiel von drei Indizien. Erstens heißt es im ersten Satz der inkriminierten Publikation: "Bald fünf Jahre ist der konstruierte Verein Indymedia Linksunten nun verboten." Das ist zwar eine zutreffende Tatsachenbehauptung: Einen eingetragenen linksunten e.V. gibt es nicht, das Bundesinnenministerium hat 2017 einen linksunten-Verein konstruiert, um den informellen Zusammenschluss verbieten zu können – aber der Sprecher der Staatsanwaltschaft nimmt Anstoß daran, dass der Verein mit dem Attribut "konstruiert" und nicht mit "verboten" eingeführt wird.
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Dietmar Rauter
am 25.01.2023