KONTEXT:Wochenzeitung
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Innenansichten einer "Terrorzelle"

Innenansichten einer "Terrorzelle"
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Im August wurde das linke Zentrum KTS in Freiburg bundesweit bekannt. Im Zuge des Verbots der Onlineseite linksunten.indymedia.org wurde es vom LKA durchsucht. Von Seiten der Politik klang das, als sei das Versteck einer Terrorzelle hochgenommen worden. Ein Ortsbesuch.

Plötzlich stehen da zwei Frauen um die Sechzig im Flur, die "mal kucken" wollen. Sie heißen Eva-Maria und Dorothea, kommen aus Sachsen, und machen gerade Urlaub in Freiburg. Gemeinsam, weil Eva-Maria fußkrank ist und nicht mehr gut alleine laufen kann. Ihr Rollator steht unten an der Treppe neben dem Aufkleber "Stressdurchfall – Burnout war gestern". So eine tolle Landschaft sei das hier im Süden. Und die alten Häuser! Den Dom haben sie besichtigt, die Altstadt – und jetzt die KTS. Die kennen sie aus den Nachrichten.

Der Freiburger "Kulturtreff in Selbstverwaltung", von den Leuten im Haus immer "die KTS" genannt, wurde flächendeckender bekannt, als der Bundesinnenminister kurz nach dem G20-Gipfel und kurz vor der Bundestagswahl die linke Plattform "linksunten.indymedia.org" verbieten ließ (<link https: www.kontextwochenzeitung.de medien muskelspiel-4567.html internal-link-new-window>Kontext berichtete). Am 25. August 2017 wurden vier Privatwohnungen und die KTS durchsucht, weil die Betreiber der Online-Seite dieses genutzt haben sollen. Das LKA Baden-Württemberg habe im Haus Waffen gefunden, verkündete Bundesinnenminister Thomas De Maizière auf einer Pressekonferenz: Feuerwerkskörper, Schlagstöcke, einen Elektroschocker, Steinschleudern, Butterflymesser. Zeitungen titelten "Schlag gegen den gewaltbereiten Linksextremismus" und Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl teilte per Pressemeldung mit: "Der Rechtsstaat darf die Feinde unserer Freiheit nicht aus Furcht vor einer Reaktion gewähren lassen."

Eva-Maria und Dorothea wollen sich das radikale Haus mal selbst anschauen, sagen sie. Außerdem ist mittwochs VoKü, Volxküche, da darf mitkochen, wer will. Wenig später sitzen die zwei Frauen zwischen obligatorischen Dreadlock-Linken und schneiden Knoblauch für Schleifchennudeln mit Karotten-Kürbis-Gemüse. Bio, klar, jeden Dienstag fährt jemand vom Küchenteam zum Bauern und holt schief gewachsenes Gemüse, das zu krumm ist für deutsche Supermärkte. In der KTS gibt's außerdem immer vegan. Nach Mail-Anmeldung auch fructosefrei.

Laut Innenministerium sowas wie die neue RAF

Die KTS ist laut Innenministerium eine von diversen "Einrichtungen auf kommunaler Ebene, derer sich die linksextremistische gewaltorientierte Szene bedient" und das einzige Haus, "das als 'reines autonomes Zentrum' in Baden-Württemberg bezeichnet werden kann, da dieses Objekt nahezu ausschließlich von linksextremistischen Gruppierungen betrieben und genutzt wird", beispielsweise von der "Autonomen Antifa Freiburg". So steht es seit vorvergangener Woche in der Antwort auf eine große Anfrage der baden-württembergischen CDU-Fraktion zum Linksextremismus. Das Papier hat 20 Seiten und das KTS klingt darin wenig nach Kulturzentrum, dafür sehr nach finsterem Unterschlupf zum bewaffneten Aufstand.

Für die "gewaltbereiten Linksextremen" ist das Haus "Wohnzimmer", ein "Versuch, kollektiver Organisation" und der erste Club in Freiburg, der Club Mate hatte. 900 Quadratmeter linke Subkultur. Es gibt einen Infoladen mit Bibliothek (Antirassismus, Feminismus und viel linke Theorie), einen Werkraum, einen großen Veranstaltungsraum, zwei Konzerträume, einen Rechtshilferaum, eine Küche, eine Siebdruckwerkstatt für Jute-Taschen und so weiter, zwei Computerräume, in denen seit der Durchsuchung nur noch traurige lose Kabel ohne PCs über den Tischen hängen, und ein Büro mit Loch in der Wand. Da war der Tresor, den die Polizei bei der Hausdurchsuchung rausgebrochen hat. Ansonsten ist die Dichte an durchgesessenen Ledersofas enorm. Auf einigen von ihnen haben die Hausleute hier auch G20 nachbesprochen. Brennendes St. Pauli, heißt es, seien nicht die Bilder der Wahl gewesen. 

An den Wänden gibt es Schilder mit Handzeichen für Diskussionen, Schmierereien, Zeichnungen, Aufkleber, Plakate von Demos und Aktionen. In einem Raum hängt das postergroße Foto eines glücklichen Burschenschafters der Freiburger Neoborussia – mit Schärpe und Degen. Irgendein Mutiger soll das Bild aus dem Eingangsbereich des Verbindungshauses geklaut haben, sagt man. Aber das ist ein Gerücht. Wie die Autotür vom allseits völlig eskalierten G8-Gipfel in Genua 2001, die einer in seinem Wagen verbaut haben soll. Es sind die Heldensagen des KTS.

"Autonome Gruppen wollen den Staat abschaffen", steht im Papier des Innenministeriums. Und weiter: "Sie versuchen, ihre Vorstellungen von 'selbstbestimmtem Leben' bereits in der bestehenden Gesellschaftsordnung durch ihre eigene Lebensweise und die Einrichtung 'herrschaftsfreier Räume' zu verwirklichen und betrachten hierbei gewalttätige Maßnahmen als legitimen Bestandteil ihrer 'Politik'. Anarchisten propagieren eine 'freiheitliche Gesellschaft' ohne Herrschaft und ohne Gewalt von Menschen über Menschen. Allen anarchistischen Konzepten ist ein ausgeprägter Antiparlamentarismus gemein; ihnen geht es um die Beseitigung des Staates an sich. Antiimperialisten weisen eine enge Verbundenheit zur Strategie und Taktik insbesondere der damaligen "Roten Armee Fraktion" auf, wenngleich eine Wiederauflage nicht akut ist, weil Antiimperialisten sie derzeit nicht als zielführend bewerten."

Beseitigung des Staates? Vorher erstmal aufräumen

Das eigentliche Problem der autonomen Freiburger ist zumindest an diesem Tag, dass da Presse kommt und keiner aufgeräumt hat. "Ich wollte heute anfangen...", sagt ein junger Kerl in Haremshosen, der im Chaos des Umsonstladens steht. In einem Regal fleddern Bücher durcheinander, in einem anderen stapelt sich Geschirr, im nächsten Klamotten über Klamotten in "klein" und "groß" Es gibt Langlaufskier, Schuhe, Elektrokram, Nippes, Zeug, Zeug und noch mehr Zeug, das die einen nicht mehr brauchen und es anderen überlassen, die es haben wollen. Alles für alle, oder zumindest für viele, das ist das Prinzip.

Fürs Kollektiv klebt im "Bandpennraum" neben einer Penis-Zeichnung und einem Satanskreuz ein Zettel mit der Überschrift "Haushalt macht keinen Spaß, ist aber wichtig". Drunter ist der optimale Waschzyklus definiert: Schmutzwäsche in Waschmaschine, gewaschene Wäsche aufhängen, trockene Wäsche ordentlich ins Regal sortieren, "eure Spießer, gute Nacht". Von der Tür zum Fenster spannt sich denn auch eine vorbildliche Wäscheleine voller blickdichter Strumpfhosen und Schlüpfer. Auch bei Anarchisten gilt das Wohlfühlprinzip.

Autonome Zentren in Freiburg

In den Achtzigerjahren besetzten die Freiburger Linken ein Haus und erschufen das AZ, das autonome Zentrum. Vier Jahre später brannte das Haus ab. Anfang der Neunziger, als in der Freiburger Stadtgesellschaft verbittert um das neue Konzerthaus (Arbeitstitel KTS – "Konzert- und Tagungsstätte") gestritten wurde, besetzte das AZ Haus 11 der Vauban-Kaserne. Wenige Monate später riss die Stadt dieses ab. Die Linken zogen weiter in Haus 34, tauften ihr neues Domizil in Anlehnung an das "bonzige Konzerthaus für die 'Hochkultur'" von AZ in KTS um – "Kulturtreff in Selbstverwaltung" – und flogen wenig später wieder raus. Um das Ganze zu befrieden, mietete die Stadt ein leerstehendes Betriebswerk der Deutschen Bahn, am 14. Februar 1999 wurde die KTS dort offiziell eröffnet. "Die" KTS bzw. Kats übrigens wegen des geklauten Kürzels der "Konzert- und Tagesstätte" und "da wir KatzenliebhaberInnen sind und eine Katze auch das Logo der KTS darstellt", erklärt das KTS-Journal "Koraktor". (ana)

Außerdem hat unter anderem auch Vermüllung schon einmal fast zur Räumungsklage geführt. Es wäre der x-te Rauswurf in der Freiburger Autonomen-Geschichte gewesen. Anfang der Achtziger begab sich die Szene auf Raumsuche. Nach mehreren Hausbesetzungen, viel Rabbatz von allen Seiten und mehreren Räumungen (siehe Kasten), mietete die Stadt den Linken 1999 ein ungenutztes Gebäude der Deutschen Bahn in der Baslerstraße 103. Das klappt gut, bis 2005 die Bahn Müll, Glasscherben und zugeparkte Wege auf ihrem Gelände beklagte und der Stadt beinahe das Mietverhältnis kündigte. Seit 2009 gilt der Mietvertrag unbefristet. Seitdem wird penibel darauf geachtet, dass bloß keiner mehr dem Bahnpersonal im Weg parkt.

Fester Posten im Freiburger Haushalt

"Wurden der verbotene Verein (linksunten, d. Red.) oder die von ihm genutzten Räume durch Gelder des Landes oder der Kommune unterstützt?" Auch das ist Thema der Anfrage der CDU. Die Sprecherin der Stadt Freiburg, Edith Lamersdorf, hört sich durchs Telefon an, als würde sie die Augen rollen: "Nach der Razzia kucken wir uns alles genau an und wollen natürlich wissen, was da passiert ist. Aber die Finanzierung des KTS steht seit Jahren als fester Posten im Haushalt und bislang gab es dafür auch immer eine Mehrheit", sagt sie.

282 000 Euro pro Jahr Stadt zahlt für das gesamte Gebäude, Miete und Nebenkosten. 212 000 davon entfallen auf die Räumlichkeiten des KTS, "für kulturelle und soziale Zwecke" steht im Mietvertrag, der Rest auf Künstler-Ateliers im Zweiten Stock, die von außen betrachtet da anfangen, wo der Backstein aufhört. Im Keller gibt es noch einen Proberaum der Bahn-Band, erzählt ein Kerl mit Schiebermütze und Autonomen-Stern. "Wenn das Badener-Lied kommt, wissen wir, dass die wieder üben."

Ein oller Kombi rollt vom Hof, bepackt mit Leergut und auf dem Weg zum Getränkeladen für Nachschub. Der Kerl mit Schiebermütze winkt. Bis zum Ende des Backsteins ist Graffiti erlaubt, sagt er. Aber nur solches mit politischem Anspruch. Als einer mal anfing, das Gemälde zum Gedenken an die zum Tode verurteilten Fußballfans in Ägypten mit irgendwas Belanglosem zu übersprühen, gab es Ärger, weil das so respektlos ist. Im Hintergrund rollt der Kombi rückwärts wieder an, einer mit riesigen Löchern in den Ohren steigt aus - Geld vergessen. So sind halt die Zwänge des kapitalistischen Systems, das sie hier ablehnen, weil Kapitalismus immer mit Herrschaft zu tun hat und Herrschaft die Selbstbestimmtheit tötet.

"Sie", das sind die Leute aus dem Haus, die nicht mit Namen genannt und nicht fotografiert werden wollen. Wegen der "gesteigerten Aufmerksamkeit durch LKA und Verfassungsschutz".

"Nervt ultra": Die Frage nach Gewalt

Da gibt es den Studenten mit der Mütze, aufgewachsen in einer linken Familie auf dem Land, der sich mit NAFTA, dem Nordamerikanische Freihandelsabkommen, politisierte und ab da nicht mehr "nur passiv konsumieren" wollte. "Die einzigen Hierarchien sollten Wissenshierarchien sein", sagt er. "Und auch die wollen wir abbauen."

Oder der Typ mit den Tattoos, den die Frage nach Gewalt "ultra nervt" und der zurückfragt: "Wer eine Autoscheibe einwirft, wird belangt. Wer Flüchtlinge von Europäischem Boden auf afrikanischen zurückprügelt, ersaufen lässt, versenkt, der nicht?"

Oder die junge Frau mit den Ringelstulpen aus einem Dorf im Osten, die als einzige Linke in einer rechtsradikalen Großfamilie aufgewachsen ist. Sie sitzt im Flur vor dem Infoladen, wickelt eine Selbstgedrehte und erzählt von ideologischen Grabenkämpfen, linkem Engagement und rechten Schlägen und davon, wie sie mit 18 endlich abhauen konnte nach Freiburg, wo man den Leuten ihren Rechtsradikalismus wenigstens nicht auf den ersten Blick ansieht. Sie erzählt vom System, das unterdrückt, und von Freiheit. Der Sozialismus sei nicht die Lösung, sagt sie. Vielleicht der Anarchismus, aber sicher ist sie sich nicht. Die KTS jedenfalls sei ein Projekt, das versuche, den Menschen die Verantwortung wieder zurück zu geben.

Und dann gibt es den mit den Hosenträgern überm Shirt, der erzählt, wie er morgens um halb sechs auf dem Fahrrad erfahren hat, dass die KTS gerade "gerazzt" wird. Sieben Stunden Arbeit lagen zwischen dieser Nachricht und Neuigkeiten aus der Baslerstraße. Das sei der allerlängste Tag seines Lebens gewesen. Sogar die Jusos hätten sich später mit "linksunten.Indymedia.org" und der KTS solidarisiert, sagt er und verzieht das Gesicht, weil er mit solchen Leuten ja eigentlich nichts zu tun haben will. KTS würde übrigens "Kats" gesprochen, "das klingt nicht so kacke wie Ka Te Es". Neben ihm steht der "super-sexy Infoladenwagen" des Hauses, eine Handkarre für Veranstaltungen und Demos für Punkmusik, Infomaterial und Bier.

Am Abend ist Infoveranstaltung mit der Hausanwältin zur Hausdurchsuchung der KTS. Sie erzählt, dass sie trotz mehrfacher Nachfrage noch keinen Durchsuchungsbeschluss gesehen habe. Wie sie überhaupt erst nach einer Woche Akteneinsicht bekommen habe. Die Papiere, eine Loseblattsammlung, mit fehlenden Mailanhängen und vielen schwarzen Stellen. "Das alles ist ein Skandal, da kann ich mich stundenlang drüber aufregen", sagt sie. "Wir sind hier im kuscheligen Freiburg. Wir sind keine Leute, die die Revolution ausgerufen haben." Und der Elektroschocker, der da als "Waffe" gefunden wurde, sei kaputt gewesen.

In der Küche nebenan dampft Nudelwasser in großen Töpfen, Karotten, Kürbisschnitzel und Knoblauch türmen sich zu einem kleinen Alpenpanorama. Eva-Maria und Dorothea, die zwei Frauen im Freiburg-Urlaub, sitzen da, schnippeln und lächeln. Gelungener Ausflug. Eva Maria sagt, an ihnen sehe man ja, dass auch "ganz normale Leute" im KTS sein können. Dann ist es ihr peinlich, denn was ist schon normal? Ein besonders harter Linksextremer legt sich schniefend den Arm auf die Augen und hastet zur Tür an die frische Luft. Scheiß Zwiebeln.


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2 Kommentare verfügbar

  • Philipp Horn
    am 09.11.2017
    Antworten
    ganz schön schmutzig da
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