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Razzien bei Radio Dreyeckland

Pressefreiheit unter Druck

Razzien bei Radio Dreyeckland: Pressefreiheit unter Druck
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Razzia wegen eines Links: Mit fragwürdiger Begründung geht die Karlsruher Staatsanwaltschaft gegen den Journalisten Fabian Kienert von Radio Dreyeckland vor. Zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte hat der nun Verfassungsbeschwerde erhoben.

Der Verfolgungseifer ist bemerkenswert: Vergangenen Januar ließ die Karlsruher Staatsanwaltschaft mehrere Räumlichkeiten in Freiburg durchsuchen. Der freie Sender "Radio Dreyeckland" (RDL) hatte ein halbes Jahr zuvor eine kurze Meldung auf seiner Webseite veröffentlicht, die nüchtern feststellte, dass das Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßlichen Betreiber des verbotenen Portals "linksunten.indymedia" eingestellt worden ist. Der Bericht enthielt aber nicht nur ein Foto, auf dem eine mit der Parole "Wir sind alle linksunten" besprühte Hauswand zu sehen ist. In dem Artikel ist zudem ein Link auf ein Archiv des verbotenen Portals gesetzt.

In der "Gesamtschau", erläuterte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft gegenüber Kontext, begründe das einen Anfangsverdacht, dass hier für eine kriminelle Vereinigung geworben wird. Die Folge sind drei Razzien im Umfeld von RDL: in der Redaktion, beim Geschäftsführer und beim Journalisten Fabian Kienert, den die Ermittlungsbehörden als Urheber der Meldung vermuteten. Gegen diese Maßnahmen haben sich die Betroffenen zur Wehr gesetzt und in der Zwischenzeit einen Teilerfolg errungen. Juristisch abschließend ausgefochten ist, dass die Durchsuchungen beim Geschäftsführer und in den Büros des Senders rechtswidrig waren. Komplizierter gestaltet sich der Fall Kienert.

Ausgabe 617, 25.01.2023

Voll auf die Presse

Von Minh Schredle

Ein halbes Jahr nach Veröffentlichung eines Textes hat die Berichterstattung ein Nachspiel: Gleich drei Hausdurchsuchungen gab es in Freiburg. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte eine Verlinkung in einem Artikel von "Radio Dreyeckland" als Werbung für eine verbotene Vereinigung interpretiert.

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Das Landgericht Karlsruhe hielt den Sachverhalt für eindeutig und wollte der Argumentation der Staatsanwaltschaft nicht folgen. Daher beabsichtige das Gericht, keine Anklage gegen Kienert zu erheben und stufte die Durchsuchung als nicht legal ein. Das Oberlandesgericht Stuttgart gelangte jedoch nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu der Einschätzung, dass die Razzia legitim war, um zu klären, ob Kienert tatsächlich Urheber der strittigen Meldung ist. Kurios ist das insbesondere, weil die Meldung mit dem Kürzel FK gekennzeichnet war, was für Fabian Kienert steht und der Betroffene auf Rückfrage gar nicht bestreitet, dass er den Text geschrieben hat. Fraglich erscheint also, ob es nicht womöglich ein milderes Mittel gegeben hätte, diese Vermutung zu verifizieren und ob der schwerwiegende Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Wohnung durch die Staatsmacht verhältnismäßig war.

Klar ist nun jedenfalls, dass noch eine ganze Weile weiter prozessiert wird. Ganze elf Prozesstage sind im kommenden Jahr vor dem Landgericht Karlsruhe anberaumt, um der Frage nachzugehen, ob sich Kienert durch das Setzen eines Links strafbar gemacht hat, also wegen Unterstützung einer verbotenen Vereinigung schuldig gesprochen werden kann. Doch selbst für den Fall, dass er freigesprochen wird, ist Kienert pessimistisch, dass er dann seine Ruhe hat: Er traut der Staatsanwaltschaft zu, den Fall bis vor den Bundesgerichtshof zu bringen, was wohl noch ein paar Jahre dauern würde.

Daneben steht ein anderer Prozess in Raum, denn unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat Kienert eine Verfassungsbeschwerde erhoben: Sie soll feststellen, dass die Razzia gegen ihn unverhältnismäßig war. Der Jurist David Werdermann, aktiv bei der GFF, spricht in diesem Zusammenhang von einem "offenen Angriff auf die Pressefreiheit". Es müsse möglich sein, über Medienverbote zu berichten: "Dazu gehört auch die Verlinkung von relevanten Seiten. Wie sollen Leserinnen und Leser sich sonst selbst informieren und eine Meinung bilden?"

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